Beruf Coach

Was Coaching nicht ist. Teil 1

Alibi- und Sündenbock-Funktionen von Coaching

6 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 11 | 2009

Viele große und in zunehmenden Maße auch mittelständische und kleine Unternehmen setzen Coaching ein. Zumindest kann man davon immer wieder hören und lesen. Begnügt man sich jedoch nicht mit der Haltung, dass alles Coaching ist, nur weil es Coaching genannt wird, ergibt sich ein ganz anderes Bild.

Was ist überhaupt "Coaching"? Und wer kann und darf sich anmaßen, dies allgemeingültig definieren zu wollen? Wohlmöglich lassen sich diese beiden Fragen gar nicht beantworten, zumindest nicht im allgemeinen Konsens. Allerdings scheint es mir durchaus machbar, den Begriff "Coaching" zu schärfen - beispielsweise durch die Frage, was Coaching nicht ist.

Schaut man sich einmal genauer an, was unter dem Label "Coaching" in Unternehmen praktiziert wird, wird eine enorme Vielfalt und Unterschiedlichkeit an Definitionen und Vorgehensweisen sichtbar. Leider geben sich viele Personen mit dem Schlagwort "Coaching" zufrieden und meinen, damit wäre alles geklärt. Selbst in einigen wissenschaftlichen Studien werden auf diese Weise nicht nur Äpfel mit Birnen, sondern eher Bananen mit Glühbirnen verglichen. Und am Ende folgt dann in Wissenschaft und in der Praxis nicht selten die "Erkenntnis": Egal was Coaching ist, irgendwie hat es gewirkt. Viel nackter kann der Kaiser nicht sein …

Daher möchte ich die These aufstellen, dass das, was in vielen Unternehmen als "Coaching" eingekauft und praktiziert wird, gar kein Coaching ist. Tatsächlich handelt es sich häufig um ein Pseudo-Coaching, das weder in der Art seiner Durchführung, noch in seiner Zielsetzung einen Unterschied zu Altbekanntem darstellt.

Diese These soll hier aber nicht nur postuliert, sondern anhand von leicht nachvollziehbaren Argumenten belegt werden. Dazu werde ich folgend einige typische Einsatzfelder aufzeigen, in denen angeblich Coaching angewendet wird und darlegen, dass es sich dabei nicht um Coaching handelt.

Pseudo-Coaching

Ein typisches Pseudo-Coaching ist das zielorientierte Coaching. Dieses folgt der Idee, Coach und Klient (und ggf. auch noch ein Auftraggeber, z.B. die Führungskraft oder die Personalentwicklungsabteilung) erklären das Erreichen eines Ziels im Sinne einer vorgedachten Lösung zum Coaching. Ein solcher Vorgang entspricht faktisch dem Management by Objectives (MbO), ist also ein Führen durch Zielvereinbarung. Und damit ist bereits im Kern entlarvt, worum es hier tatsächlich geht: Eine originäre Führungsaufgabe wird auf den Coach übertragen. Denn eigentlich ist es die Aufgabe einer Führungskraft, ihre Mitarbeiter – z.B. durch Zielvereinbarungen – zu steuern und zu entwickeln. Es darf also verwundern, wenn ein Coach diese Aufgabe übernehmen soll. Oder anders formuliert: Ganz offensichtlich wird hier die falsche Person gecoacht und dafür wird es Gründe geben …

Solche Konstellationen sind gut geeignet, eine oberhalb des Klienten angesiedelte Führungsschwäche zu kaschieren und damit die Chance auf eine nachhaltige Lösung zu "übersehen". D.h. statt ein Problem zu lösen wird es verdeckt, der "Coach" freut sich über stetige Folgeaufträge und die Personalentwicklung ist wohlmöglich zufrieden, wie gut die "Lösung" mit der Co(ach)-Führungskraft funktioniert. Und auch die Führungskraft freut sich, nicht an sich arbeiten zu müssen und so weiter machen zu können wie bisher.

Damit keine Missverständnisse entstehen: Natürlich gibt es Coaching-Prozesse, in denen Ziele verfolgt und erreicht werden. Der entscheidende Unterschied ist jedoch, ob ein Ziel eine vorgedachte Lösung enthält oder sogar von der Organisation vorgegeben ist (und eine Schnittmenge zu den persönlichen Zielen des Klienten bezweifelt werden kann). Coaching braucht hingegen den Rahmen eines offenen Ziels, in dem Sinne, dass keine vor- oder fremdgedachte Lösung angestrebt wird, sondern eine individuelle Lösung entwickelt werden kann. Ansonsten reduziert sich ein Coach auf eine Rolle als Erfüllungsgehilfe, was z.B. seine Glaubwürdigkeit und Neutralität sehr deutlich in Frage stellt.

Weiterhin lässt eine eingeengte Auftragstellung kaum Platz für einen Perspektivenwechsel, der meistens einer tragfähigen Lösung vorangeht. Denn wenn die Deutungs- und Erklärungsmuster des Klienten (oder seiner Organisation) das Problem sind, macht es wenig Sinn, eben auf der Basis dieser Muster eine vorgefertigte Lösung "umzusetzen" – es sei denn, man versteht sich als Führungskräfte-Dompteur. Wer als Coach so agiert, verschenkt einen Großteil des Nutzens, den Coaching entfalten kann: Die Bearbeitung dessen, was zum Problem geführt hat und/oder es aufrecht erhält.

Tatsächlich ist das Akzeptieren einer vorgedachten Lösung oder eines fixierten Zieles nicht selten der Denklogik einer Wirtschaft geschuldet, die in diesen Dimensionen Erfolg vermutet und Leiden verursacht. Um Anschlussfähigkeit herzustellen, ordnen sich Coachs daher durchaus diesem Denkschema unter und verfolgen dann auch (quasi als hidden agenda) Denkwege jenseits der ausgetrampelten Pfade. Dennoch ist die Gefahr groß, hier einen Irrweg zu beschreiten und ihn weiter auszutrampeln.

Auch ist es keine Rechtfertigung, den Coach zur Co-Führung zu machen, weil es immer wieder Ziele gibt, die eine Führungskraft kaum selbst mit einem Mitarbeiter vereinbaren kann; z.B. wenn es um den Erwerb bestimmter Spezialkenntnisse oder Sozialkompetenzen geht. Denn meist ist auch dies kein Coaching, sondern ein Training.

Abgrenzung von Training

Und dies bringt uns zu dem nächsten Punkt: Zahlreiche klassische und durchaus profunde Trainings werden mittlerweile als "Coaching" bezeichnet. Viele wollen und können Coaching und Training ohnehin nicht trennscharf unterscheiden, obwohl dies durchaus möglich ist (siehe Coaching-Report). Gerne wird auch die konzeptionelle Klarheit in Frage gestellt, in dem man auf die gute Kombination von Coaching und Training verweist. Doch ist auch dies nur eine semantische Ausrede. Auch Felgen und Gummireifen ergänzen sich gut, ohne das jemand deshalb auf die Idee käme, die Begriffe synonym zu verwenden. Somit kann man getrost davon ausgehen, dass es im besten Falle eine marketingtechnische Motivation gibt, ein Coaching als Training zu verkaufen.

Ähnliches gilt auch, wenn man einen klassischen Unternehmensberater engagiert, der behauptet, eigentlich "schon immer" gecoacht zu haben, auch wenn seine Gesprächskompetenz die Grenzen des Harvard-Konzeptes nie verlassen hat. Würde das ganze nicht allzuhäufig auf das übliche "Analysieren - Bericht schreiben - Entlassungen empfehlen" hinauslaufen, könnte man es von der humorvollen Seite betrachten. Viele Unternehmensberater wissen genau, dass ihre Funktion nicht selten die des gut bezahlten Sündenbocks ist, der dann für schlechte Nachrichten verantwortlich gemacht wird. Die Führungskräfte können sich dann ganz auf die Expertise des Beraters berufen, die Globalisierung zum Schuldigen erklären und die notwendigen Spar- und Outplacement-Programme ankündigen. Business as usual eben. Aber sicherlich kein Coaching.

(Zwischen-)Fazit:

Einiges, das in Unternehmen als "Coaching" bezeichnet wird, hat primär Alibi- und Sündenbock-Funktionen und dient der Teilsubstitution der originären Aufgaben von Führungskräften. Will man den Begriff "Coaching" nicht gänzlich unscharf verwenden, wird in bedrückender Weise deutlich, dass in den meisten Unternehmen weniger Coaching praktiziert wird, als diese selbst annehmen. Das tatsächliche Potenzial, welches Coaching beinhaltet, ist bisher nicht einmal ansatzweise erschlossen.

Dieser Artikel gefällt Ihnen?

Dann unterstützen Sie unsere redaktionelle Arbeit durch den Abschluss eines Abonnements und ermöglichen Sie es uns, auch in Zukunft fundiert über das Thema Coaching informieren zu können.

Nach oben