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Beruf Coach

Vor- und Nachteile von Online-Coaching

Pro & Kontra

6 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 2 | 2009 am 26.05.2009

Pro

Online-Coaching – Beratung der besonderen Art

von Brigitte Koch

Stellen Sie sich vor: Sie brauchen nicht mehr mühsam einen gemeinsamen Termin mit Ihrer Coach zu finden. Sie können immer dann, wenn es Ihnen passt, Ihre Gedanken formulieren. Manches wird sich für Sie schon beim Schreiben klären. Sie können sich so lange wie Sie möchten mit der Antwort Ihrer Coach beschäftigen. Sie werden nicht abgelenkt durch ihr Aussehen, ihre Mimik, ihre Gestik, Sie können sich ganz auf sich konzentrieren. Sie können Ihren Coaching-Prozess jederzeit nachlesen und anknüpfen, wo immer Sie wollen. Es geht Ihnen kein Wort verloren. Das bietet Ihnen Online-Coaching als zeitlich versetzter schriftlicher Dialog.

Es ist nicht nur möglich, sich online zu verlieben, sondern auch, eine tragfähige Beziehung zwischen Coach und Klientin aufzubauen. Es entwickelt sich durch die computervermittelte Kommunikation eine Nähe durch Distanz. Die Entwicklung einer Beratungsbeziehung wird durch keine dissonanten Nebensächlichkeiten gestört, wie es durchaus in einer Face-to-Face-Situation vorkommen kann.

Die räumliche Abwesenheit der Coach führt zu einer privaten Selbstaufmerksamkeit, die den Bezug auf die eigenen Standards und Werte unterstützt. Durch den Effekt der psychologischen Anonymität in der computervermittelten Kommunikation ist das Ansprechen persönlich schwieriger Themen leichter möglich als von Angesicht zu Angesicht.

Das Besondere und Wertvolle am Online-Coaching ist das Schreiben. Das schriftliche Ausdrücken entlastet, schafft Distanz zum Beschriebenen, strukturiert, sortiert und unterstützt die (Selbst-) Reflexion. Andererseits zwingt das Schreiben, Position zu beziehen, auf den Punkt zu kommen. Klientinnen kommen zu Einsichten und Erkenntnissen beim Lesen ihrer eigenen Texte. Dieser Schreibprozess macht Online-Coaching nicht zu einem schnellen Coaching „mal eben zwischendurch“, sondern zu einem besonders intensiven Prozess, der auch und gerade im Alltag stattfindet und wirkt.

Für die Coach geben das Geschriebene und Nicht-Geschriebene sowie das Zwischen-den-Zeilen-Stehende ausreichend Informationen, um mit der Klientin mehr als nur an der Oberfläche arbeiten zu können.

Mit einer durchgängig akzeptierenden Haltung der Coach, mit Empathie, dem Ernstnehmen der Autonomie und Eigenverantwortlichkeit der Klientin und der konsequenten Orientierung an ihren vorhandenen Ressourcen und Stärken ist Online-Coaching trotz des ungewöhnlichen Settings erfolgreich.

Seit Jahren schon hat sich im psychosozialen Bereich Online-Beratung erfolgreich etabliert. An dieser Praxis lassen sich die vom Online-Coach geforderten Kompetenzen und Standards ableiten. So sollte aus Gründen der Datensicherheit und des Datenschutzes nur webbasiert und verschlüsselt computervermittelt kommuniziert werden. Und die Arbeit mit Menschen mittels Texten erfordert aufgrund der fehlenden sichtbaren Gefühlsäußerungen und der fehlenden Unmittelbarkeit eine besondere Lese- und Schreibkompetenz.

Coachs müssen von der Vorstellung Abschied nehmen, dass sie aufgrund von Hinweisreizen Menschen wirklich erkennen und durchschauen können und damit alles über sie wissen – denn Online-Coaching geht nur auf gleicher Augenhöhe; wie auch von der Meinung, dass nur mündliche Kommunikation von Angesicht zu Angesicht gelungene und helfende Kommunikation sein kann.

Professionelles Online-Coaching ist unter diesen Voraussetzungen intensiv, systematisch, ergebnisorientiert und effizient. Es unterstützt die Klienten in ihrer (selbst-) bewussten Veränderung und Entwicklung und ist damit ein gleichwertiges Angebot neben dem Präsenz-Coaching.

Last but not least ist Online-Coaching („unabhängig von Raum und Zeit“) für viele Menschen die einzig praktikable Möglichkeit, sich eine notwendige professionelle Unterstützung zu organisieren.

Kontra

Online-Coaching – erwogen und für zu leicht befunden

von Prof. Dr. Evelyn Albrecht

Online-Beratung boomt: Sie haben schnell einmal eine Frage? Dann stellen Sie diese auf einschlägige Online-Portals ein – und es wird Ihnen umgehend geholfen!

Auch ich kommuniziere mit meinen Klienten online: Für Terminabsprachen und zur Übersendung von Dokumenten oder ausgearbeiteten Klienten-Aufgaben. Kann aber der gesamte Coaching-Prozess online funktionieren? Ich bin der Meinung: Das geht nicht.

Warum? Das beginnt schon bei der Fragestellung: Coaching ist ein sehr individueller Prozess. Selbst bei gleicher Fragestellung, wie beispielsweise zur Karriere, gibt es je nach Ausbildung, Lebenshistorie, Rahmenbedingungen, Charakter, Prioritäten und Zielvorstellungen fast unendlich viele Lösungsalternativen. Kann der Klient überhaupt präzise seine Frage formulieren? Oft ist die Frageformulierung selbst bereits ein wesentlicher Bestandteil des Coaching-Prozesses.

Um einen nachhaltigen Coaching-Erfolg zu erzielen, müsste der Coach also beim Online-Coaching mehrfach schriftlich nachhacken, bis überhaupt die Thematik geklärt ist, um die es beim Coaching gehen soll. Die anfängliche Zeitersparnis und Leichtigkeit des Online-Mediums führt also durch die Schriftlichkeit zum erhöhten Zeitaufwand und entwickelt sich zum Prozess-Hemmnis.

Die Problematik der Schriftlichkeit hat noch weitere Aspekte: Aus internationalen Managementstudien wissen wir, dass Missverständnisse durch kurze E-Mails exponentiell eskalieren. Wir verfassen online keinen umfangreichen Prosatext, sondern versuchen so kurz und knapp soviel Information wie möglich zu übermitteln. Auch hier müsste der Coach immer wieder – was er im Face-to-Face-Gespräch en passant machen würde – möglichst exakt und damit ausführlich schriftlich nachfragen.

Wichtige Informationsquellen über den Klienten stehen dem Coach beim Online-Coaching gar nicht zur Verfügung – wie zum Beispiel: Köpersprache, Reaktionszeit auf Interventionen, Stimmmodulation und spontane mündliche Ausdrucksweise.

Und was ist mit dem Vertrauen? Erzählen Sie online jedem Unbekannten alle Details ihres Lebens? Wohl kaum. Aber ohne dieses Vertrauen und diese wichtigen Details wird das Potenzial eines guten Coachings mit all seinen positiven Ergebnissen für den Klienten nicht ausgeschöpft.

Natürlich kann man im Online-Coaching auch keine physischen Interventionen anwenden, was die Coaching-Methodik nochmals wesentlich einschränkt.

Ich vertrete deshalb die Meinung, dass es kein Online-Coaching geben kann. Verwendet man das online-Medium zu diesem Zweck, wird es immer auf dem Niveau einer unpersönlichen standardisierten Beratung bleiben.

Wie coache ich aber meine Klienten in Japan, Südafrika und USA? Nach meiner Erfahrung sind ein persönliches Vorgespräch und mindestens ein persönliches Einzelgespräch notwendig, um die Vertrauensbasis herzustellen und die individuellen Sprachmuster des Klienten zu erkennen. Weitere Coaching-Gespräche werden abwechselnd als Telefon-/Videokonferenz und Einzelgespräche vor Ort durchgeführt. Denn auch aus der interkulturellen Kommunikationsforschung wissen wir – ein persönliches Einzelgespräch ist in seiner Qualität durch nichts zu ersetzen.

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