Beruf Coach

Management und Beratung

Künftig ein Fall für Zwei?

8 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 12 | 2003

Die Marktentwicklung im Bildungs- und Beratungsmarkt zeigt Anzeichen für Krise. Die Beraterbranche hat inflationäre Entwicklungen genommen und mancherorts ist die heiße Luft schon mit einer Verpuffung entwichen. Ähnlichkeiten zum neuen Markt sind durchaus gegeben. Auf dem Endkundenmarkt konkurrieren noch mehr Anbieter um noch weniger Möglichkeiten. Wenn der marktwirtschaftliche Reinigungseffekt greift, heißt das höhere Qualität der Dienstleistungen bei sinkenden Preisen, mehr Entwicklungs- und Leistungsdruck bei den Anbietern und das Sterben der weniger potenten Anbieter, vielleicht auch neue Entwicklungszweige und Märkte.

Zeitperspektiven

Auf der anderen Seite sind viele positive Entwicklungen zu beobachten und weiterhin plausibel. Um richtig zu urteilen, müssen wir Zeithorizonte verändern. Und in Zeiten der Vierteljahreskennzahlen, an die Mentalität von Waldbauern zu erinnern, schadet sicher nicht. Es braucht einen weiten Horizont, wenn das Behauen der ersten Steine mit der Würde und Erfüllung dessen geschehen soll, der eine Kirche baut, obwohl er diese nie sehen wird.

Speziell im Bereich Management und Führung ist längst nicht alles getan. Der Bedarf ist riesig. Er war es wohl auch bisher, doch fiel das in Boomzeiten nicht so auf. Es war die Zeit des Schönwettersegelns. Der warme Wind des Wachstums blies in Fahrtrichtung. Handgestricktes mittelmäßiges reichte aus, um voranzukommen und sich als großer Seemann zu fühlen. Seit schwereres Wetter angesagt ist, wird sichtbar, wie gering die Steuerungskompetenz wirklich ist. Eine Pisa-Studie des Managements und der Führung wäre sicher interessant. Eine solche für Berater allerdings auch. 

Vor zehn Jahren habe ich in der Zeitschrift für Organisationsentwicklung Prognosen veröffentlicht. Aus meiner Sicht hat sich in diesen zehn Jahren sich nicht fürchterlich viel erledigt, so dass das meiste weiterhin zurecht auf der To expect-Liste und auf der To do-Liste verbleiben kann. Dadurch wird auch deutlich, wie langsam sich das Rad nachhaltiger Entwicklungen dreht. Dennoch aus heutiger Sicht vieles deutlicher geworden und einiges ist auch zu ergänzen.

Bildung und Beratung – Kompensation oder Fermente?

Ich habe mich oft gefragt, ob die Tatsache, dass Unternehmen viele Berater beschäftigen, ein Zeichen für Weltoffenheit und Vitalität oder für Orientierungslosigkeit und Niedergang zu verstehen ist.Beratung oder generell eingekaufte kulturorientierte Dienstleistungen sind auch Ausdruck für das, wovon sich Organisationen entfremdet haben. Beratung hat hier eine Kompensationsfunktion. Was Organisationen fehlt, begegnet ihnen wieder über Beratung. Aber, ob Beratung die richtige Verortung ist, ist fraglich. Wir sind auf der Suche nach unternehmerischer Verantwortung, z.T. nach der verlorenen, z.T. nach der neuerdings erforderlichen, überall, nicht nur in den Ich-AGs.

Marktentwicklungen

Der Beratermarkt nimmt die verlorenen Fäden auf - im Guten wie im Schlechten. Im Guten können wir - im Sinne einer verlängerten Werkbank - Pionierfunktionen wahrnehmen oder Ergänzungen dort liefern, wo eigene Funktionen zeitweilig nicht zur Verfügung stehen. 
Solche Märkte werden Externen erhalten bleiben. 

Im Schlechten helfen wir bei der Vermeidung von Verantwortung. Wir stehen als Dauerkrücken zur Verfügung. Doch dort, wo eigene Verantwortung dünn geworden ist und externe Dienstleistungen sie ersetzen sollen, wird dies irgendwann als untauglich, ja schädlich erkannt werden.

Solche Märkte werden Externen verloren gehen und Internen wieder zuwachsen.

Unternehmerische Verantwortung für alle

Vielleicht müssen wir in unserem Denken weg vom Übergewicht der heutigen Großorganisationen. Dort herrscht zu leicht die Magie der Unvernunft. Seltsamerweise werden von dieser Krankheit auch Menschen befallen, die im sonstigen Leben ganz gut wissen, was oben und was unten ist. Doch wenn sie in Unternehmens-, Branchen-, Berufstrancen verfallen, führen sie einen seltsamen Tanz auf. Und jeder von uns weiß, wie schwer diese Trance abzuschütteln ist, wenn sie erst einmal Besitz von uns ergriffen hat.

Auch gesellschaftlich treten das Kleinunternehmen und der Mittelstand zu sehr in den Hintergrund, obwohl überschaubares Management durch Eigentümer viele der Vernunftorientierungen ganz von selbst aktiviert. Ich ziehe in meiner Arbeit ständig die Parallelen zu mir als Unternehmer und zu unserem Institut. Zwar liegen wichtige Märkte im Bereich der Großunternehmen, doch dürfen wir in unseren Leitbildern nicht groß mit vital verwechseln. Bei den Dinosauriern hat das auch nicht gestimmt. Zu unrecht wird klein mit provinziell assoziiert. Wenn unsere Beratungsprodukte so gut sind, dass ein kompetenter Mittelständler sie kauft, ist schon viel erreicht. Und Hand auf’s Herz: Welche unserer eigenen Produkte würden wir selbst kaufen? Und zu welchem Preis?

Aneignung der Verantwortung

Insgesamt wird die oft weg delegierte Verantwortung wieder dorthin zurückkehren müssen, wo die Macht und die Zuständigkeiten angesiedelt sind. D.h.

  • Rückverschiebung von Verantwortung von den Projekten in die Hierarchie, deren Selbstverständnis allerdings neu zu fassen sein wird, und
  • Rückverschiebung von Externen zu Internen. Der Prophet wird dann doch wieder im eigenen Land gefragt sein, wenn auch nicht mit überhöhten Bedeutungen und Honoraren.
  • Rückverschiebung von Verantwortung von den Stabs zu den Führungsfunktionen

Neue Profile im Zuschnitt von Beratung, von Identitäten und Qualifikationen

  • Man wird weniger Überfremdung durch Beratungskulturen zulassen. Man wird sich klarer darüber werden wollen, welche Kultur man sich ins Haus holt.
  • Die Internen müssen sich mehr als Garanten der Unternehmenspassung und der Nachhaltigkeit ausweisen.
  • Die Drehscheibenfunktion der Internen muss mehr gefordert werden. 
  • Die Externen müssen neben Beratungskompetenzmehr fachliche Expertise für etwas, was man nicht im Hause hat, ausweisen.
  • Man wird vielleicht von Unternehmens-Beratern erwarten, dass sie selbst ganzheitlich unternehmerisch denken und handeln können, so, wie man das vom Manager, von der Führungskraft auch erwartet. Nicht Wasser predigen und sich selbst wegen Selbstüberhöhung und weil das Wachstum es hergibt inflationäres Wirtschaften erlauben. Genau daran sind mittlerweile genügend zugrunde gegangen. 
  • Dabei werden Branchen-, Markt- und Unternehmenskenntnisse eine größere Rolle spielen.
  • Und interne wie externe Berater werden mehr für die Implementierung und nachhaltige Pflegbarkeit ihrer Produkte verantwortlich gemacht werden. Die Herausforderungen, in diese Richtung auch Anreize zu mehr Gesamtnutzenverantwortung zu geben, werden steigen.

Schwerpunktverlagerungen und Entwicklungsbedarf in unseren Kundenorganisationen

  • Außer für das Betreiben des eigenen Geschäfts wird man das gleichzeitige Entwickeln des eigenen Geschäfts verlangen, als Konsequenz des Dauerwandels.
  • Innovationsökonomische Überlegungen werden eine größere Rolle spielen. Stichwörter sind hier: Neuinszenierung des Unternehmensalltags, statt für jede neue Idee, neue Ereignisse zu kreieren. In mancher Workshopkultur sind wir nicht weit vom Prinzip: "Und wenn Du nicht mehr weiterweist, dann gründe einen Arbeitskreis." Die Umbauten müssen bitteschön bei laufendem Geschäft bewerkstelligt werden.
  • Kernprozesse statt unterhaltsame und heilsversprechende Abenteuer. Klassische Tugenden und Lebbarkeit von Ideen und Ansprüchen.
  • Prozesse der kontinuierliche Verbesserung (KVP) werden als Kernprozesse des Wandels wieder mehr gewürdigt werden. Spektakuläre Entwicklungsideen wird man neu auf die Goldwaage legen.
  • Wir brauchen neue Modelle für Teamarbeit, dafür wie personale und unpersönliche Zusammenarbeit in gemeinsamer Sache und Zugehörigkeit möglich ist. (Virtuelle Teams sind hier ein extremer Begriff)
  • Wir müssen hier selbst Vorstellungen entwickeln und verständlich darstellen, was intelligente Zentralisierung und Dezentralisierung im Bereich Humanressourcen meinen und leisten kann. Dann können weise Mittelwege gefunden werden.
  • In Unternehmen sollten strategisches Management, Führung und Umgang mit Teams besser integriert werden. Also vertikale Optimierung sollte mit horizontaler Optimierung kombiniert werden. Jede Führungskraft lernt als kompetente Drehscheibe einerseits in Teams auf gleicher Ebene und andererseits in Führungsbeziehungen zu fungieren.
  • Es bedarf neuer Komplementarität, Integrationsfähigkeit und Systemoptimierung statt Partikularoptimierung, Ganzheitlichkeit statt abwechselndes inflationäres Aufblähen von Teilperspektiven.
  • Entsprechend brauchen wir neue Verständnisse von Führung in dezentralen Organisationen. Wir brauchen nicht weniger, sondern andere und bessere Führung. Führung durch Kultur.
  • Insgesamt sind komplexe Organisationen nicht durchkonzipiert und durchkontrolliert zu führen, sondern an Beispielen sollen die Schlüsselfiguren ein "Fahrgefühl" für die richtige Fortbewegung bekommen, damit sie bei eigenständigen Entscheidungen spüren, ob sie richtig unterwegs sind. D.h. Verschiebung -> Kulturverantwortung -> Verantwortungskultur Beiträge zu einem Verantwortungsdialog und Konfrontationskultur.
  • Unternehmenskultur muss Chefsache werden. Auch und gerade vom Topmanagement muss in Sachen Organisationskultur Topkompetenz und Topverantwortlichkeit erwartet werden und das im konkreten Tun Tag für Tag.

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