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Methoden

Coaching in Zeiten der Krise

Umgang mit krisenhaften Situationen und schwierigen Gefühlen

8 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 03 | 2020

Zum Umgang mit Krisen oder krisenhaften Situationen gab und gibt es insbesondere aktuell eine Vielzahl von plausibel klingenden Tipps. Die meisten Hinweise dazu sind aber eher „technischer“ Natur und versuchen ein emotional besetztes Thema rational zu klären. Emotionen kann man jedoch nicht dauerhaft „wegdrücken“. Sie bedürfen einer anderen Form der Auseinandersetzung.

Auf einmal ist sie da: Die Krise. Etwas ist passiert, womit man nicht gerechnet hat – und es lässt sich nicht abschätzen, wie, wann und ob man überhaupt der Situation gewachsen ist. Derartige Situationen sind im Coaching nicht ungewöhnlich. Echte Krisen lösen Sorgen und zuweilen Ängste aus, was als normaler und ggf. sogar gesunder Vorgang betrachtet werden kann. Verfestigen sich Ängste zu pathologischen Mustern, ist Coaching allerdings keine Option mehr, sondern es bedarf einer Therapie. Soweit muss es jedoch nicht kommen, wenn man sich rechtzeitig bewusst wird, woher Ängste kommen, welche Funktion sie haben und in welch unterschiedlichen Formen sie sich zeigen.

In der Entwicklungsgeschichte des Menschen (bzw. aller Säugetiere) ist Angst von großer Bedeutung, denn sie stellt einen Überlebensvorteil dar. Wer auf eine drohende Gefahr schnell reagiert, kann dem Tod entrinnen. Oder anders formuliert: Der Affe, der eine Liane nicht von einer Schlange unterscheiden konnte, kann nicht unser Vorfahr gewesen sein. Diese archaischen Ängste (z.B. vor Schlangen, Spinnen oder Höhe) sind häufig verbunden mit Affekthandlungen. Unter einem Affekt versteht man eine kurze, meist heftige Emotion, oft mit Verlust der bewussten Kontrolle. Dies war und ist dem Umstand geschuldet, möglichst schnell reagieren zu müssen, d.h., ein bewusstes Erleben findet in der Situation nicht statt. Dies geschieht erst im Nachhinein und vermengt sich dann nicht selten in der Erinnerung.

Das Leben des modernen Menschen ist inzwischen mehr von abstrakten als von konkreten Gefährdungen geprägt. Und obwohl sich unsere Lebensumwelt erheblich in den letzten Jahrtausenden verändert hat, sind die genetischen Veränderungen überschaubar. D.h., unsere genetische „Angstausstattung“ ist für ein ganz anderes Lebensumfeld entwickelt worden, als die Welt, in der wir leben.

Situationen, die heutzutage von der Ausschüttung von Stresshormonen begleitet sind, bedürfen nur noch selten einer körperlichen Anstrengung, um die Situation erfolgreich bewältigen zu können. Genau diese körperliche Anstrengung ist aber erforderlich, um die Stresshormone abbauen zu können. Bleibt die körperliche Aktivität nun aus, werden bereits neue Stresshormone ausgeschüttet, bevor die alten abgebaut sind. Dies ist in Krisensituationen eher die Regel, als die Ausnahme. Die Folge: Massives Stresserleben, Gefühle von Überforderung bis hin zu Angst und Panikattacken. Im Grunde handelt es sich damit um die Konsequenz aus einer „nicht artgerechten Haltung“. Und Haltung ist hier im doppelten Wortsinn zu verstehen, denn es geht hier auch um die innere Haltung, den „Mindset“.

Routinen helfen

Stressberufe und Krisensituationen bedürfen daher einer angemessenen inneren Haltung und einer körperlichen Aktivität, um Stresshormone abzubauen. Regelmäßiger Sport ist hier das Mittel der Wahl, soweit körperlich irgendwie möglich. Neben der physischen Anstrengung ist dabei auch die Regelmäßigkeit ein wichtiges psychologisches Element. Denn Krisen sorgen meist dafür, dass gewohnte (und somit stabilisierende) Muster wegfallen. Umso wichtiger sind dann regelmäßige Rituale, die uns Halt und Orientierung geben und den Tag und die Woche strukturieren.

In dem Zusammenhang sei angemerkt: Es ist kein Zufall, dass die neurotische Verarbeitung von Ängsten sich häufig in strukturierenden Zwangshandlungen zeigt (z.B. Waschzwänge); diese Handlungen sind der (letztlich dysfunktionale) Versuch unserer unbewussten Verarbeitungssysteme, mit der Angst umzugehen.

Im Laufe unseres Lebens erlernen wir viele Muster, der Angst zu begegnen, die meisten davon bleiben unbewusst. Eidenschink (2020) versteht Ängste daher auch als gelernte Verarbeitungsmuster. Ein Aspekt ist dabei besonders bedeutsam: „Angst informiert mich nicht über die Gefahren der Welt, sondern darüber, was ich gelernt habe, für gefährlich zu halten!“ (ebenda). Ganz in diesem Sinne sagte schon Epiktet: „Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben.“

Angst ist immer biografisch geprägt

Und diese Meinungen beruhen auf gemachten Erlebnissen. Empfinden wir Ängste, sind diese daher immer Ausdruck der eigenen Lernbiografie. Die Angst aktualisiert dann vergangene (schlechte) Erfahrungen in der Gegenwart. Unsere Ängste sagen also mehr über unsere Vergangenheit aus, als über die aktuellen Geschehnisse um uns herum. Bleibt dieser Zusammenhang unreflektiert, können sich Muster durch diese Wiederholungen verfestigen – bis hin zu Krankheitsbildern.

Gab es in der eigenen Lernbiografie also z.B. die Erfahrung, einer ängstigenden Situation hilflos ausgeliefert zu sein, kann dies in Krisen dazu führen, reflexhaft Panikattacken zu entwickeln. Der Effekt der sich selbst erfüllenden Prophezeiung kann dieses Muster zusätzlich verstärken. Entsprechendes gilt nach Eidenschink (2020) aber auch für Lernmuster, die Angst zu verdrängen: „weil ich gelernt habe, Ängste zu ignorieren, fühle ich mich unverwundbar und schaue auf die ängstlichen Mitmenschen mitleidig herab“ (ebenda). Auch hier kommt es zu Verstärkungseffekten, so dass man von der Richtigkeit bzw. Überzeugung, dass es wie erwartet kommen muss, komplett eingenommen wird.

Unverstandene Ängste erzeugen selbstverstärkende Muster

Diese für unverstandene Ängste typischen Muster sind jedoch keine Lösungen, sondern sie verschärfen die Problematik mittel- bis langfristig. Denn hier wird eine Lösung im Außen gesucht, für ein Thema, das im Inneren stattfindet. So gibt es z.B. keine materielle Sicherheit, die innere Unsicherheit auflösen kann. Dies ist eine Scheinstrategie, die eher dem Trinken von Salzwasser bei Durst ähnelt. Es scheint das Problem im Moment zu lösen, schafft aber einen Kreislauf (genauer: eine Abwärtsspirale!), dessen Ende absehbar unvorteilhaft ist.

Lösungswege

Eine bessere Strategie im Umgang mit zunehmenden (aber auch fehlenden!) Sorgen ist es, eine innere Distanz (s.o.) aufzubauen, in eine Metaposition zu gehen und sich die Fragen zu stellen: „Was passiert hier gerade mit mir? Warum reagiere ich auf diese Art und Weise? Löst dies wirklich mein Problem? Welches Anliegen verfolge ich wirklich?“ Es geht darum, sich mit seinen Gefühlen konstruktiv auseinanderzusetzen, um sie letztlich annehmen zu können und ihnen damit die negative Wirkung zu nehmen.

Es fällt vielen Menschen nicht leicht, sich mit schwierigen, intensiv erlebten Emotionen auf diese Weise auseinanderzusetzen. Statt den inneren Dialog zu suchen, möchten sie ihre Ängste wegdrücken. Methoden wie die Introvision (Dehner & Dehner, 2020) können hier helfen, intensive negative Emotionen mit einer beobachtenden, akzeptierenden Haltung anzunehmen. Im Ergebnis stellt sich dann heraus: Wir sind unseren Gefühlen nicht ausgeliefert. Sie sind zwar ein Teil von uns, aber auch genau deshalb ist die Beeinflussung von rationalen Gedanken (bzw. Kognitionen) und Emotionen immer gegenseitig. Ein achtsames Gleichgewicht ohne Scheinrationalisierungen, aber auch ohne Gefühlsüberflutung, kann daher ein erstrebenswertes Ziel sein.

Einen ebenfalls guten Weg zu diesem Ziel stellt auch die BESSER-Strategie (Kernstock-Redl & Pall, 2009, S. 89) dar, mit deren Hilfe man nicht nur den Umgang mit Ängsten, sondern auch anderen „schwierigen“ Gefühlen erlernen kann. Auch hier ist es ein zentrales Element, Gefühle nicht zu ignorieren, sondern den Anteil an ihnen zu verstehen, der grundsätzlich wertzuschätzen ist. Und ein erster kleiner Zwischenschritt im Umgang mit Sorgen kann ein äußerer Dialog sein, in dem beklemmende Gefühle offen besprochen werden – möglichst bevor sie ein pathologisches Ausmaß angenommen haben.

Geringes Gemeinschaftsgefühl

Der Dialog mit einem anderen Menschen hat individualpsychologisch betrachtet meist noch einen anderen wichtigen Effekt. Dort wird Angst auch immer als Ausdruck eines reduzierten Gemeinschaftsgefühls verstanden. Wer sich also einsam, verlassen, missverstanden oder gar im Stich gelassen fühlt, hat gute Chancen, sich bereits mit den Mustern unbewusster Angstphänomene sein Leben zu teilen. Das „Gegengift“ ist vergleichsweise einfach: Es gilt, Gemeinschaftserfahrungen zu machen und seine innere Haltung zu seiner Umwelt zu hinterfragen. Denn einsam kann man auch mitten unter Menschen sein. Eine reine Lösung im Äußeren kann es daher auch hier nicht geben.

In letzter Konsequenz wird damit vermutlich auch deutlicher, was Epiktet meinte: Es ist unsere Haltung, die Probleme zu Problemen macht. Äußere Ereignisse und uns überfallende Krisen scheinen zwar der Auslöser für innere Nöte zu sein. Ohne eine frühere negative Lernerfahrung haben diese Dinge aber kaum schlechten Einfluss auf uns. Nicht wenige Menschen beharren auf der Strategie, eine Klärung im Innen durch eine Kontrolle des Außen zu ersetzen. Sie kämpfen damit gegen Andere, aber letztlich immer gegen sich selbst, weil sie aus Angst vor der Angst nicht mehr den Mut aufbringen, sich ihrer Lernbiografie zu stellen. Dieses „Trinken von Salzwasser“ kann teilweise tragische Ausmaße annehmen.

In diesem Sinne kann eine Krise zu einer echten Gelegenheit werden, sich selbst besser kennenzulernen und alte Muster hinter sich zu lassen. Nicht selten ist dies der Beginn einer spannenden und lohnenswerten Reise.

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