Portrait

Interview mit Christine Moscho

Was Consultants ins Coaching führt

Christine Moscho beschreibt die Fähigkeit, Menschen zusammenzubringen und hierbei die Bedürfnisse aller wahrzunehmen, als eine ihrer Stärken. Diese kommt der Wirtschaftsingenieurin sowohl im Rahmen ihres Engagements für den DBVC – sie ist 2. Vorsitzende des Verbands – als auch im Kontext ihrer Coachings von Führungskräften und Teams zugute. Auch Consultants zählt Moscho zu ihren Klientinnen und Klienten. Wie es gerade hier gelingt, eine Balance zwischen Arbeitsanforderungen und persönlichen Bedürfnissen herzustellen, ohne aus dem System zu fallen, erläutert die ehemalige Unternehmensberaterin.

19 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 3 | 2021 am 08.09.2021

Ein Gespräch mit David Ebermann

Sie sind 2. Vorsitzende des Deutschen Bundesverbands Coaching e.V. (DBVC). Was hat Sie motiviert, sich 2018 in den Vorstand des Verbands wählen zu lassen?

Es gab Gespräche mit den damaligen Vorstandsmitgliedern, die den Eindruck hatten, dass meine Kompetenzen den Vorstand gut ergänzen könnten. Da der Verband mir sehr wichtig ist, war ich aufgeschlossen, mich zur Wahl zu stellen. Ich bin bereits 2012 in den DBVC, der für seine Mitglieder und so auch für mich eine professionelle Heimat darstellt, eingetreten. Es war mein Anliegen, etwas zurückzugeben und dazu beizutragen, die Mitglieder und ihre Arbeit noch besser zu vernetzen. Ich kenne sehr viele unserer engagierten Mitglieder und Gremienleiter in den Regionalgruppen sowie Fachausschüssen und glaube, jemand zu sein, der Menschen und ihre unterschiedlichen Ziele und Erwartungen gut zusammenbringen und verbinden kann. Das ist für einen Verband wichtig und für die Mitglieder bereichernd. Jedenfalls wird es mir aus dem DBVC entsprechend zurückgespiegelt.

Sie verstehen die vernetzende Arbeit als den Kern Ihrer Aufgaben im Verband?

Der DBVC verfolgt ein Vier-Säulen-Konzept und setzt damit auf die Einbindung von Akteuren aus allen Bereichen, die für Coaching wichtig sind: Coaches, Coaching-Weiterbildungsanbieter, Unternehmens- und Wissenschaftsexperten. Als Vorstand bilden wir u.a. diese Struktur ab. Jedes Vorstandsmitglied übernimmt eine spezifische Rolle und Zuständigkeit. Ich bin insbesondere für den Bereich der Coaches verantwortlich, in dem ich mich auch sehr wohlfühle, da ich selber als Coach tätig bin. Somit bin ich z.B. auch für die Zusammenarbeit mit den Regionalgruppen des Verbands, für die ich als Ansprechpartnerin fungiere, und für Veranstaltungen zuständig – natürlich immer in enger Abstimmung mit den Vorstandskollegen und der DBVC-Geschäftsstelle, ohne die sowieso nichts liefe.

Der DBVC setzt sich für die Weiterentwicklung der Profession Coaching ein. Wo sehen Sie aktuell wichtige Bedarfe?

Im Verband befassen wir uns derzeit unter anderem mit der Frage, wie professionelles Online-Coaching aussieht. Wir arbeiten daran, Klarheit darüber herzustellen, was in diesem Bereich benötigt wird. Es geht darum, sich bewusstzumachen, dass Online-Coaching eben nicht nur ein weiteres Medium ist, sondern auch spezifische Kompetenzen erforderlich sind, um in diesem Setting gut zu coachen. Anzumerken ist hierbei, dass der DBVC zwar hohe Qualitätsansprüche und Standards hat und eine generelle Werthaltung voraussetzt, aber nicht vorgibt: „Das muss es sein! So hat das auszusehen und nicht anders!“ Zudem bleiben aber auch jene Themen, die in unserem Kompendium festgeschrieben sind, unglaublich wichtig. Als Verband für Business-Coaching möchten wir darüber aufklären und auch jüngeren Coaches mitgeben, was es braucht, ein guter Business-Coach zu sein.

Was ist aus Ihrer Sicht von zentraler Bedeutung, um ein guter Business-Coach zu sein?

Business-Coaches müssen – um nur einen sehr wichtigen Aspekt hervorzuheben – in der Lage sein, auf Augenhöhe zu agieren. Hierfür ist es unerlässlich, dass sie einen Eindruck davon haben, wie ihre Klienten arbeiten. Sie müssen zwar keine Experten auf dem Gebiet ihrer Klienten sein, sollten aber ein gutes Hintergrundverständnis für deren Tätigkeit mitbringen. Das sehe ich als äußerst bedeutend an, um im Business-Coaching wirksam zu werden. 

Seit 2010 sind Sie als Coach tätig. Wer sind Ihre Klientinnen und Klienten und welche Themen bringen diese ins Coaching mit?

Das sind zum einen Führungskräfte. Ein häufiger Coaching-Anlass besteht darin, dass jemand eine Führungsrolle übernimmt und sich mit einer Herausforderung konfrontiert sieht, die sich mit folgendem Satz umschreiben lässt: „What got you here, won’t get you there.“ Dies bedeutet so viel wie: Was bisher zum Erfolg geführt hat, ist fortan nur noch bedingt hilfreich. Es geht dann darum, sich ein Stück weit neu zu definieren und zu lernen, verstärkt auf Ressourcen zurückzugreifen, die zuvor noch nicht so sehr benötigt wurden. Peter Drucker sagte, wer führen wolle, müsse genau eine Person, nämlich sich selbst, führen. Dieses Zitat, das eigentlich aus der Beratung bzw. der Managementlehre stammt, reicht sehr schön in den Bereich des Coachings rüber. Im Vorstands-Coaching geht es mehr um Sparring, um Ideen und Haltungen oder auch darum, die Perspektive der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf bestimmte Themen zu reflektieren. Oft erlebe ich, dass Vorstände im Unternehmen relativ einsam sind und den Kontakt zu dem, was vor Ort gebraucht wird, verloren haben. Zum anderen arbeite ich oft mit Teams, die sich beispielsweise neu finden müssen, weiterentwickeln wollen, mit Konfliktthemen zu kämpfen haben oder in eine neue Projektphase einsteigen und sich dafür gut aufstellen möchten.
 

Christine Moscho © Thomas Geisel

Christine Moscho © Thomas Geisel

Sie coachen auch Consultants …

Richtig, das ist mein Hintergrund. Ich bin von 1998 bis 2010 Beraterin gewesen. Für meine heutige Arbeit als Coach ist das weiterhin ein Anknüpfungspunkt, weil das Beratungsfeld spezielle Anforderungen aufweist. 

Kommen Consultants mit spezifischen Themen ins Coaching?

Consultants kommen oft mit einer sehr hohen Leistungsorientierung. Zudem handelt es sich häufig um sogenannte insecure overachievers, um einen Fachterminus aus der Beratung zu verwenden. Das bedeutet, dass die Betroffenen – obwohl sie bereits tolle und überdurchschnittliche Leistungen erbringen – unsicher sind, ob sie den an sie gestellten Ansprüchen gerecht werden. Dies betrifft Männer und Frauen gleichermaßen. Diese Sicherheit herzustellen, ist im Coaching von Consultants oftmals der erste Schritt. Dazu kommt die Arbeit mit den Partnerinnen und Partnern der Unternehmensberatungen (äquivalent zur Geschäftsführung). Für diese geht es eher um die Reflexion von Fragen wie: Wofür möchte ich stehen? Wie möchte ich die Partnerrolle ausfüllen? Wie kann ich meinen Business-Case aufsetzen?

Wie sehr hilft Ihnen die eigene Erfahrung im Consulting-Feld?

Es ist hilfreich, dass ich die Arbeitsatmosphäre, die in der Branche herrscht, und den Druck, den viele Consultants verspüren, kenne. Berater sind oft von montags, wenn sie morgens um fünf Uhr zum Flughafen fahren, bis donnerstags, wenn sie abends um 23 Uhr ins Homeoffice zurückkehren, oder noch länger unterwegs. Hier herrschen Arbeitszeiten und -modelle, die man in anderen Unternehmen eher nicht kennt. Hinzu kommt, dass sich die sehr leistungsbereiten Kollegen oft gegenseitig zu noch mehr Leistung anstacheln, und es macht ja auch – gerade den jüngeren Leuten in der Branche – sehr viel Spaß, im direkten Kontakt mit Klienten zu arbeiten, Analysen durchzuführen und zu überlegen, wie es vorangehen kann. Hier eine Balance herzustellen, ohne aus dem System zu fallen, ist oft ein Anliegen im Coaching.

Kommt hier das Thema Achtsamkeit ins Spiel?

Ja, durchaus. Es geht aber nicht ausschließlich darum, z.B. morgens für zehn Minuten zu meditieren, sondern darum, dass die Person sich und ihre Stärken sehen kann, und befähigt wird, Dinge aus einem anderen Blickwinkel wahrzunehmen. Wenn z.B. ein Gespräch mit einem Projektleiter oder Partner ansteht, ist es wichtig, zu merken: Ich habe auch eine Stimme und kann Fragen stellen, um beispielsweise unnötige Mehrarbeit zu vermeiden. 

Würden Sie Coaching-Einsteigern raten, ihre Zielgruppen zunächst der eigenen Felderfahrung entsprechend zu bestimmen?

Inzwischen kenne ich sehr viele Lebensläufe von tollen Coaches, die auf ganz unterschiedliche Weisen funktionieren. Daher bin ich der Auffassung, dass es stärker um die Frage geht, was jemanden dazu gebracht hat, Coach zu werden. Klar, der Hintergrund spielt oft eine große Rolle und ein grundlegendes Verständnis für die Arbeit der Klientinnen und Klienten sollte vorhanden sein. Ich denke aber, dass man hier keine generelle Empfehlung aussprechen kann.

Auf Ihrer Homepage heißt es, Sie arbeiten stärken- und lösungsorientiert. Was verstehen Sie darunter?

Coaching sollte nicht defizitorientiert sein. Wir Coaches sind davon überzeugt, aber unsere Klienten wissen es oft noch nicht. Sie kommen oft mit der Haltung ins Coaching, dieses und jenes nicht zu können. Unter Stärken-, Ressourcen- und Lösungsorientierung verstehe ich, Menschen wieder auf den Weg zu bringen, sich zu vergegenwärtigen, was sie erreichen möchten, was sie dafür benötigen und was sie bereits mitbringen. 

Hätten Sie ein Praxisbeispiel, um dies zu illustrieren?

Ich coachte eine Führungskraft, die in dieser Rolle neu war und kurz vor ihrem ersten Workshop stand. Im Coaching ging es darum, dass sie im Hinblick auf die Veranstaltung sehr aufgeregt war. Sie konnte gut erklären, wie sich diese Aufregung zeigte. Mit ihr habe ich den anstehenden Workshop visualisiert. Wir haben alle Teilnehmer in den Blick genommen und reflektiert: Wie stehen diese zu ihr? Was weiß sie über die Personen? Wer steht ihr nah und kann als Ansprechpartner fungieren? Danach hatte sie ein ganz anderes Bild von dem Workshop und von den Teilnehmern. Für sie war dies bereits der Clou, der es ihr ermöglicht hat, ganz anders in die Veranstaltung hineinzugehen. Eine andere Klientin, eine noch relativ junge Führungskraft, wollte eine Führungsfunktion übernehmen, verhielt sich jedoch nicht entsprechend. Sie unterstützte zwar diejenigen, die sie führen sollte, gab der übergeordneten Leitungsebene aber keinerlei Rapport. Sie nahm sich einerseits stark zurück und arbeitete im Hintergrund, war aber andererseits irritiert, weil sie nicht gesehen wurde. In einem solchen Fall kann im Gespräch lösungsorientiert gefragt werden, wie sich die Klientin unter Rückgriff auf eigene Ressourcen und Stärken verhalten könnte, damit sie wahrgenommen und entsprechend gewürdigt wird.

Verspürt man in einem Fall wie dem letztgenannten mitunter die Verlockung, auch Ratschläge zu erteilen?

Im Coaching arbeite ich viel mit Spiegelungen und Feedbacks. Ich teile meinem Gegenüber mit, wie ich es gerade erlebe. Das ist einer meiner zentralen Ansätze. In den ersten Jahren dachte ich oft: „Das Problem ist mir bekannt. Ich weiß, was Du machen musst.“ Aber mit der Zeit merkt man immer deutlicher, dass die individuell sinnvollen Lösungen ganz anders aussehen können.    

Christine Moscho © Thomas Geisel

Christine Moscho © Thomas Geisel

Sie setzen auch Testverfahren zur Erstellung von Persönlichkeits- bzw. Motivationsprofilen ein …

Ich arbeite mit dem MBTI (Myers-Briggs-Typenindikator), ein aus der Jung’schen Theorie abgeleitetes Verfahren, und mit dem Reiss Motivation Profile, mit dem sich auf das Thema Lebensmotive gucken lässt. Ich sage nicht, dass man die Verfahren einsetzen muss. Ich nutze sie sehr selektiv. Gerade Consultants kennen den MBTI oftmals schon, sodass man hier gut ansetzen kann. 

In welchen Fällen bietet sich der Einsatz solcher Testverfahren besonders an?

Ich setze die Verfahren immer dann ein, wenn Klienten danach fragen oder wenn ich das Gefühl habe, dass die Einsichten, die sie dadurch gewinnen können, besonders nützlich wären. Ein Beispiel: Wenn sich ein Teammitglied darüber wundert, dass niemand seiner Mitstreiter so zahlen-, daten- und faktenorientiert ist, wie es selber, kann es sehr hilfreich sein, anhand des Profils die eigenen Präferenzen zu beleuchten und in diesem Zuge zu reflektieren, dass es unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Präferenzen gibt. Dies hilft der sehr sachlichen und faktenorientierten Person, den – übertrieben gesprochen – immer strahlend freundlichen und überschäumenden Kollegen besser zu verstehen und nicht zu denken: Meine Güte, der macht einen Zirkus, dabei sollte er sich besser so verhalten, wie ich es tue. (lacht) Es geht hier aber um etwas mehr als einen Perspektivwechsel, nämlich darum, Verständnis für die Unterschiedlichkeit des Menschen herzustellen und auf dieser Basis ein Zusammenspiel zu ermöglichen.

Testverfahren können demnach in der Arbeit mit Teams wertvoll sein?

Ja, auch dafür sind die Verfahren gedacht. Inzwischen arbeite ich im Team-Coaching aber sehr viel intensiver mit Reteaming und Lösungsfokussierung, um direkt in die Ressourcenarbeit einsteigen zu können.

Wie ermitteln Sie die Ziele eines Teams? 

Oft höre ich zu Beginn Aussagen wie: „Es herrscht eine derart schlechte Stimmung bei uns. Es sind so viele Themen zu bearbeiten, dass wir gar nicht wissen, wo wir anfangen sollen. Jeder hat eine andere Vorstellung davon, was am dringlichsten ist.“ Dann bietet es sich an, einen Workshop durchzuführen, um zu klären, wie die Zukunft gemeinsam gestaltet werden soll. Daraus ergeben sich dann wiederum die weiteren Entwicklungsziele. 

Wird in der Arbeit mit Teams auch das Einzel-Setting eingesetzt?

Man kann Team-Coachings ganz unterschiedlich aufsetzen. Im Rahmen der Zielorientierung können auch Einzelgespräche geführt werden, um herauszuarbeiten, was jedes einzelne Mitglied benötigt.  Viele Klienten sind froh, wenn etwas in einer sehr lösungsorientierten Struktur erarbeitet wird. Ich kann hier ein Beispiel skizzieren: Ich begleitete ein Ingenieursteam, bestehend aus 16 Herren im Alter von Anfang 20 bis Mitte 50. Anfangs saßen wir im Stuhlkreis zusammen. Hier gab es schon das erste Murren, was sich jedoch änderte, als das Team merkte, dass mittels des Reteamings wirklich positiv orientiert gearbeitet werden sollte. Im Reteaming gehen wir zunächst folgendermaßen vor: Jede Person stellt zwei Aspekte vor, die sie selbst betreffen, und anschließend nennen zwei oder drei andere Teammitglieder Dinge, die sie an der Person schätzen. Hier eröffnet sich eine neue, motivierende Wahrnehmung: „So haben wir ja noch nie miteinander gesprochen. Wow, so sehen die mich?“ Ich habe dieses Beispiel angeführt, weil man – zumindest dem Klischee nach – annehmen würde, dass eine solche Kommunikation unter Männern noch seltener vorkommt als unter Frauen. Ich kann aber auch einen Fall beschreiben, in dem ich ein rein weiblich besetztes Team begleitete. Mittags waren wir in Richtung Zieldefinition unterwegs. Es lief eigentlich super, dennoch gab es Bedenken: „Wie sollen wir das nur alles umsetzen?“ Als wir nachmittags bereits verdichtet hatten, was die nächsten konkreten Schritte sein sollten, herrschten große Erleichterung und die Überzeugung, die Schritte auch gehen zu können. Ich finde es immer sehr schön, wenn sich die Situation aufhellt und Zweifel von einer klaren und positiven Orientierung abgelöst werden. 

Sie arbeiten auch mit dem Konzept der fünf Dysfunktionen eines Teams von Patrick Lencioni: Spielen Glaubenssätze der Mitglieder eine Rolle, wenn sich im Team z.B. fehlendes Vertrauen oder Scheu vor Konflikten und Verantwortung bemerkbar machen?

Das Konzept funktioniert sehr gut in der Arbeit mit Leadership- bzw. Vorstandsteams. Das Thema Verantwortung ist hier extrem wichtig. Sich zu trauen, eine kontroverse Meinung zu äußern bzw. eine solche anzuhören, ohne sie als Angriff zu verstehen, ist für diese Teams ebenfalls sehr bedeutend. Um auf die vorherige Frage zurückzukommen: In diesem Kontext bietet es sich natürlich an, auch im Einzel-Setting zu arbeiten. Glaubenssätze zu hinterfragen, kann dann definitiv eine Rolle spielen. Die Annahme, allen gefallen zu müssen, ist auch unter Personen in Leadership-Verantwortung nicht selten anzutreffen. Das gilt ebenso für den Wunsch, immer harmonisch arbeiten und einer Meinung sein zu müssen. In der Kommunikation nach außen ist es natürlich richtig, mit einer Stimme zu sprechen, aber nicht hinsichtlich des internen Abstimmungsprozesses. Auch Machtthemen kommen hier zum Tragen, wenn jemand z.B. wichtige Informationen für sich behält. Aufgedeckt werden Glaubenssätze häufig, indem ich Teamgesprächen zuhöre und anschließend meine Beobachtungen spiegele.

Neben dem Coaching sind Sie als Trainerin tätig. Gibt es Coaching-Fälle, in denen Sie ergänzend auch Trainings-Elemente nutzen – oder andersherum?

Als Trainerin bin ich niemand, der die ganze Zeit referiert und vorgibt, was zu tun ist. Stattdessen suche ich auch in diesem Kontext die Verbundenheit mit den Teilnehmenden und versuche, ihnen die Möglichkeit zu geben, sich auszutauschen und die eigene Person kennenzulernen. Insofern finden sich Coaching-Elemente auch in meinen Trainings. Im Coaching kann es immer dann, wenn es ins konkrete Verhalten und damit auf die Handlungsebene geht, schon einmal die Erklärung eines Zusammenhangs oder ein Rollenspiel geben, mit dem etwas eingeübt werden soll. Hierin kann man Trainingselemente sehen.

Was sollte ein Coach in der Kommunikation mit dem Klienten beachten, wenn er zwischen den Beratungsformaten wechselt?

Ich mache schon am Anfang deutlich, dass Wechsel möglich sind, denn ich finde es sehr wichtig, im gesamten Coaching-Prozess transparent zu sein. Ein Klient sollte nie das Gefühl haben, es würde irgendetwas gemacht, was er nicht versteht. Ich selber kann es nur sehr schwer aushalten, wenn mir beispielsweise ein Arzt ohne nähere Erklärung sagt: Wir machen mal dieses und jenes und in zwei Wochen sehen wir, wozu das gut war. So möchte ich nicht arbeiten.
 

Christine Moscho © Thomas Geisel

Christine Moscho © Thomas Geisel

An der TU Karlsruhe studierten Sie Wirtschaftsingenieurwesen. Zudem haben Sie einen MBA an der University of Massachusetts in Dartmouth absolviert. Weshalb haben Sie diese Richtung gewählt?

Es waren wahrscheinlich zwei Aspekte: Zum einen das Interesse am Feld – von der Informatik und der Physik bis hin zur Werkstoffkunde und natürlich auch der wirtschaftlichen Anteile. Zum anderen war es mir damals wichtig, zu zeigen, dass auch Frauen in diesem Studiengang erfolgreich sein können. Der Frauenanteil lag bei zehn Prozent. Ich hatte damals die Vorstellung, eine Art Dolmetscherin zwischen den technischen Bereichen und den Betriebswirten im Unternehmen zu werden. Je weiter ich im Studium kam, desto klarer wurde mir aber, dass ich insbesondere den Bereich Strategie äußerst spannend fand. So habe ich zusätzlich den MBA in den USA absolviert, um Auslandserfahrung zu sammeln und um noch mehr über Wirtschaft zu lernen. Dort war alles praxisorientierter, es wurde z.B. viel mit Fallstudien gearbeitet. Meine Begeisterung wurde dadurch nochmals verstärkt. Deshalb habe ich in der Beratung angefangen und bin dieser Tätigkeit über viele Jahre hinweg mit Freude nachgegangen. Das Leben im Ausland begeisterte mich ebenfalls. Während meiner Studienzeit hatte ich zudem die Möglichkeit, in Istanbul und Paris Auslandserfahrung zu sammeln. Vor einigen Jahren arbeitete ich für ein Jahr als Coach in England mit Sitz in Windsor, unweit der Queen.

Von 1998 bis 2000 waren Sie in der internen Organisationsentwicklung der Fraunhofer Gesellschaft beschäftigt …

Ja, das war eine tolle Zeit, aber kein Karriereschritt. Es war vielmehr eine gute Möglichkeit, im Arbeiten zu bleiben, denn ich war mit meinem ersten Sohn schwanger und sah mich daher – zumindest vorerst – nicht mehr im „McKinsey-Leben“. Bei McKinsey hatte ich zuvor zwei Praktika durchlaufen und hätte meine Arbeit in dem Unternehmen auch fortsetzen können. Mein Mann war ebenfalls dort beschäftigt. Die Tätigkeit bei der Fraunhofer Gesellschaft war für mich eine passende Gelegenheit, herauszufinden, wie ich das Familien- und Berufsleben miteinander vereinbaren kann.

Gibt es dennoch Aspekte, die Sie – hinsichtlich Ihrer heutigen Arbeit – aus der internen Tätigkeit mitgenommen haben?

Ich denke schon. Wir haben damals versucht, Innovationen – z.B. in administrativen Bereichen – anzustoßen. Hierfür galt es, Überzeugungsarbeit zu leisten. Die Organisation war sehr dezentral aufgestellt. Ich bin daher viel umhergereist und habe mich mit den Institutsleitern ausgetauscht. Hierin spiegeln sich sicher Aspekte wie offene, verbindende Kommunikation, das Schaffen von Transparenz und die Berücksichtigung der Bedürfnisse aller Beteiligten wider, die hinsichtlich meiner heutigen Arbeit wichtig sind und in denen ich – wie eingangs angesprochen – eine meiner Stärken sehe. Das Thema Coaching hat zu diesem Zeitpunkt für mich aber noch keine Rolle gespielt.

Wie rückte das Thema Coaching dann in Ihren Fokus?

Ich arbeitete wieder in der externen Beratung – bei Simon, Kucher & Partners. 2009 fragte mich ein Klient: „Jetzt haben Sie das Team gesehen. Wo stehen wir denn, wenn Sie es in Schulnoten ausdrücken würden?“ Ich antwortete, dass sich dies so nicht benennen ließe und dass wir stattdessen reflektieren sollten, was die Ziele sind, was die Teammitglieder können und wie sie an den gewünschten Punkt kommen können. Das war – rückblickend betrachtet – sicher das erste Mal, dass ich einen coachenden Ansatz angewandt habe, ohne mich zuvor bewusst mit Coaching befasst zu haben. Dies wurde mir klar, als ich Coaches kennenlernte und mich in der Folge mit dem Thema auseinandersetzte.

Bevor Sie 2010 Moscho Leadership Coaching gründeten, waren Sie nochmals rund zehn Jahre in der externen Beratung tätig …

Richtig. Meine Zeit bei Simon-Kucher war ein prägender und wichtiger Abschnitt, in dem ich auch weitere Auslandserfahrung sammelte. Ich war zunächst in München tätig, wechselte zwischenzeitlich nach Zürich und schließlich nach Bonn. Das Unternehmen hat mit Hermann Simon eine beeindruckende Gründerfigur. Vielen ist er dadurch, dass er den Begriff der „Hidden Champions“ eingeführt hat, und aufgrund seiner Expertise im Pricing bekannt. Obwohl er sich offiziell im Ruhestand befindet, arbeitet er auch heute noch viel, reist, wenn die Möglichkeit besteht, und ist oft in der Presse. Sogar eine Business School in China (Weifang) wurde nach ihm benannt. Er ist eine große, sehr belesene und zugewandte Führungspersönlichkeit, kennt immer noch meinen Namen und schreibt mir jedes Jahr eine persönliche Weihnachtskarte. Für mich ist er ein Führungsvorbild. Letztlich hatte ich den Eindruck, dass andere in der Weiterentwicklung fachlicher Inhalte vielleicht etwas besser waren als ich. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass es meine Stärke ist, Führungskräfte und Teams in ihrer Arbeit und als Menschen zu unterstützen.

Und hierdurch motiviert kam es zum Schritt in die Selbstständigkeit als Coach?

Einige Jahre nach der Geburt unseres dritten Kindes und der weiteren Tätigkeit in der Beratung kam ich an meine Grenzen und steuerte auf ein Burnout zu. Dadurch ausgelöst stellte ich mir – so würde ich es heute als Coach formulieren – die Sinnfrage: Will ich in meinem Beruf die Position eines Partners anstreben, unabhängig davon, wie lange das noch dauert, oder möchte ich einen anderen Weg einschlagen? Im Endeffekt war das der Punkt, an dem ich entschied, eine Coaching-Ausbildung zu absolvieren, im Coaching Fuß zu fassen und dann zu gucken, was passiert.

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