Konzepte

Veränderungen durch Coaching

Beziehungsgestaltung

6 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 09 | 2009

Auf einer vordergründigen Ebene wird Coaching in Anspruch genommen, um Veränderungen und Entwicklungsprozesse zu begleiten, zu initiieren oder bezüglich Tempo und Ausmaß zu optimieren. Somit liegt es nahe, Coaching als eine Art "Change-Tool" zu verstehen. Obwohl dieser Gedanke richtig erscheint, ist er für sich genommen jedoch unzureichend – und im Zweifelsfall daher falsch. Diese Behauptung bedarf natürlich einer näheren Ausführung, was im Folgenden geschehen soll.
 

Zunächst einmal sind Veränderungs- bzw. Entwicklungsprozesse nie genau steuerbar. Die Illusion einer zielgerichteten, kontrollierten Entwicklung ist zwar ebenso weit verbreitet wie beliebt, wird dadurch jedoch nicht richtig(er). Ein Veränderungsprozess ist immer individuell und von so vielen unvorhersehbaren Faktoren abhängig, dass er sich schlichtweg der Planung entzieht. Die Vorstellung, dass durch einige Coaching-Termine und (scheinbar) raffinierte Tools nach einem Raster Entwicklungsschritte erreicht und abgehakt werden können, zeugt eher von einem eindimensionalen Weltbild, als von einer realistischen Einschätzung über die Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Veränderung.

Weiterhin weiß jeder erfahrene Coach, dass auch ein vom Klienten glaubwürdig formulierter Veränderungswunsch auf der Basis derjenigen Deutungsmuster entstanden ist, die dem Klienten momentan zur Verfügung stehen. In diesem Sinne ist der Veränderungswunsch nicht abzuwerten, sondern als diagnostisch wertvolles Symptom anzusehen. Jedoch wäre es ein Kunstfehler, anzunehmen, die Zielsetzung des Klienten – oder des Auftraggebers – wäre damit klar.

Wie Klaus Eidenschink bereits vor Jahren festgestellt hat, gibt es Coaching-Klienten, die sich nicht verändern wollen, sondern Perfektion und Stabilisierung anstreben. Der Perfektionsanspruch entspringt dabei nicht selten einer narzisstischen Innenwelt – und der Coach soll dabei helfen, die "Überlebensstrategie" des Klienten zu verbessern. Übersetzt bedeutet dies: noch idealer, toller und erfolgreicher zu werden, oder diese "Großartigkeit" (wieder) herzustellen. Hinter einer vordergründigen Veränderungsabsicht steckt dann der Wunsch nach Stabilisierung eines dysfunktionalen und Leiden schaffenden Systems.

Veränderung ist daher weder per se das eigentliche Ziel von Klienten, noch muss ein vorformuliertes Ziel sinnvoll oder erreichbar sein, geschweige denn, dass sich der Coach zum Erfüllungsgehilfen eines jeden Wunsches machen darf. Und erst recht sollte ein Coach seinerseits nicht mittels unglaubwürdiger Garantieversprechen der Illusion Vorschub leisten, dass ein Veränderungsziel geplant und genau steuerbar erreichbar ist.

Nun mag man sich fragen, wozu ein Coaching denn überhaupt taugt, wenn all dies nicht leistbar ist. Die Antwort darauf geben die Faktoren, von denen der eine absichtlich herbeigeführte Entwicklung abhängig ist (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

1. Timing

Bei Entwicklungs- und Veränderungsvorhaben wird oft übersehen, dass nicht jede Veränderung jederzeit möglich ist. Häufig stehen für eine Veränderung nur bestimmte Zeitfenster zur Verfügung. Das bedeutet auch, dass eine zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgreiche Strategie zu einem anderen Zeitpunkt vollkommen wirkungslos und sogar kontraproduktiv sein kann. Das richtige Timing beinhaltet auch das Berücksichtigen einer Reihenfolge.

2. Analyse

Eigentlich handelt es sich hierbei um eine schiere Selbstverständlichkeit, die aber offenbar genau deshalb gerne vernachlässigt wird, wenn postuliert wird, es sei ja schon "alles klar". Veränderungen sind aber nur möglich, wenn genügend Ressourcen dafür zur Verfügung stehen (z.B. materielle, körperliche, geistige Ressourcen). Dies muss vorher analysiert und auch für die Umsetzungsphase samt diverser Puffer sichergestellt werden.

3. Mut

Veränderung bedeutet, sich eigenen und fremden Widerständen und Ängsten zu stellen und sich zumindeste teilweise auf Unbekanntes einzulassen zu können. Dies bedeutet, bewusst ein Wagnis einzugehen und erfordet Mut. Entsprechend wichtig ist die Ermutigung.

4. Improvisation

Die Unmöglichkeit einer festen Planung erfordert im besonderen Maße die Fähigkeit und den Willen zur Improvisation, sobald der theoretisch richtige Weg verlassen werden muss, z.B. weil sich die Ausgangsbedingungen geändert haben oder unvorhersehbare Ereignisse eine spontane Lösung erfordern.

5. Ausdauer und Entschlossenheit

Veränderungen können schnell verlaufen, benötigen aber häufig Zeit und die Fähigkeit, Rückschläge zu verarbeiten ohne sofort aufzugeben. Entsprechend wichtig ist die Ausdauer. Dies ist nicht mit einem Zögern zu verwechseln. Veränderung verlangt ebenso entschlossenes Entscheiden und Handeln.

 

So wie die Veränderung selbst, können diese Faktoren durch Coaching-Prozesse nicht kontrolliert werden. Jedoch ist es möglich, diese Faktoren durch ein Coaching positiv zu beeinflussen. Dies gibt zwar keinerlei Garantie für einen besseren oder schnelleren Erfolg, aber immerhin die Chance auf eine professionelle(re) Gestaltung des Veränderungsprozesses. Mehr ist mit Coaching realistischerweise nicht zu erreichen. Allerdings ist dies bereits schon eine Menge.

Veränderung mit Hilfe von Coaching möglichst positiv zu beeinflussen, bedeutet, eine angemessen umfangreiche Analysephase einzuplanen, in der auch Aspekte abgefragt und geklärt werden, die dem Klienten möglicherweise zunächst weniger wichtig erscheinen oder ihm gar nicht bewusst sind. Analysiert wird dabei sowohl der Klient, als auch sein Umfeld.

Dabei sollte der Coach in der Lage sein, dem Klienten zu ermutigen (ihm aber auch etwas zuzumuten). Dies bedeutet auch, dass ein ernsthaftes Veränderungsvorhaben von dem Coach erfordert, ausschließlich mit den Klienten zu arbeiten, an deren Erfolg er grundsätzlich glaubt. Wer seinem Klienten eine Veränderung nicht zutraut, sollte seine Bedenken – gut begründet – mit dem Klienten besprechen. Entweder verliert dann der Coach seine Bedenken oder der Klient findet zusammen mit dem Coach ein anderes Ziel. Es kann aber auch sein, dass das Coaching hier beendet werden muss – bzw. dass der Klient einen anderen Coach wählt.

Rahmengestaltungskompetenz des Coachs

Entscheidend bleibt bei der Begleitung von Veränderungsvorhaben die Rahmengestaltungskompetenz des Coachs. Für den Klienten einen Rahmen zu schaffen, in dem dieser sich ohne Sorge um Stigmatisierung äußern und öffnen kann, wird häufig zugunsten von Tools unterschätzt. Einer der wesentlichen Aspekte von Rahmengestaltungskompetenz ist dabei die Fähigkeit des Coachs, durch eigene Öffnung und Vorleben von Authentizität eine tragfeste Beziehung zum Klienten herstellen zu können. Die Bereitschaft zur Begegnung ist nicht substituierbar und bildet die Grundlage für den konstruktiven und bereichernden Dialog im Coaching, sowie für das positive Beeinflussen der Faktoren, die auf eine Entwicklung Einfluss nehmen. Der Einsatz von Methoden kann unbestritten nützlich sein – er sollte aber erst auf einer Ebene folgen, die auf einer zuvor erarbeiteten Beziehung aufbaut.

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