Konzepte
Als Abteilungsleiterin macht Elke A. (Name geändert) ihren Job ausgesprochen gut. Sie ist kompetent, entscheidungsfreudig, kommuniziert gut mit Mitarbeitern und Kollegen und ist stolz auf das gute Betriebsklima in ihrem Team. Nun aber steht sie vor einer schwierigen Situation, die ihr regelrecht Magendrücken bereitet. Sie muss einen Mitarbeiter abmahnen. Dieses Gespräch schiebt sie seit einiger Zeit vor sich her. Im Coaching spricht sie darüber, wie schwer es ihr fällt, diese unangenehme Sache hinter sich zu bringen, und was sie sich alles einfallen lässt, um die Konfrontation mit dem Mitarbeiter zu vermeiden. Dabei berichtet sie, dass sie diese Maßnahme im Grunde für vollkommen richtig hält. Trotzdem konnte sie sich bislang nicht aufraffen, mit dem Mitarbeiter einen Termin zu vereinbaren. Sie versteht ihre eigene Reaktion nicht, spürt nur deutlich die innere Barriere.
Auf genaueres Nachfragen durch den Coach berichtet A., dass sie in einer Familie aufgewachsen ist, in der es absolut verpönt war, sich gegenseitig zu konfrontieren. Harmonie war das oberste Gebot, auf dessen Verletzung Liebesentzug folgte. So hatte sich bei ihr die Angst vor Ablehnung, sollte sie auf Konfrontationskurs gehen, ausgeprägt. Es wurde klar, dass ihr innerer Widerstand gegen das notwendige Gespräch weder daher rührte, dass sie gegen die Abmahnung war, noch daher, dass sie nicht gewusst hätte, wie ein solches Gespräch geführt wird. Das eigentliche Problem war ihre Angst vor Ablehnung – eine in der Kindheit erworbene Furcht, die als tiefeingegrabenes, konditioniertes Muster in ihr fortwirkte.
Diese Befürchtung war ihr wunder Punkt, sodass sie innerlich zusammenzuckte, wenn sie auch nur an das bevorstehende Gespräch dachte. Die unbewusste Angst war schneller da als ihre vernünftigen, rationalen Überlegungen und löste einen inneren Erregungszustand bei ihr aus, der mit sehr unangenehmen körperlichen Empfindungen und Gefühlen verknüpft war. Später mehr zu dem Fall.
Die innere Erregung – sprich der Alarmzustand – in den Jemand wie im obigen Beispiel geraten kann, ist eine Stressreaktion, die in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit eine überlebenswichtige Rolle gespielt hat. Hier kommt die Amygdala ins Spiel. Die Amygdala ist jener Teil des limbischen Systems, der Informationen aus dem Organismus und Botschaften von außen verarbeitet und sie bewertet, insbesondere Furchtreize. Denn die von der Amygdala initiierte Ausschüttung von Stresshormonen, auch nach konditionierten Furchtreizen, befähigt den Menschen, von Null auf Hundert Höchstleistungen zu erbringen, um zu fliehen oder zu kämpfen. (vgl. Introvision Association, 2022) Angesichts einer Bedrohung, wie sie beispielsweise ein wildes Tier darstellt, reagierte der Urmensch ohne zu überlegen und rannte weg, so schnell er nur konnte. In der sicheren Höhle angekommen, brauchte er zwar ein Weilchen, um sich von diesem Adrenalinschock zu erholen, hatte jedoch eine Sache eindrücklich gelernt: Sobald das bedrohliche Fauchen zu hören ist – rennen, was das Zeug hält. In seiner Zukunft löste dann schon die Andeutung dieses Geräuschs den inneren Alarm und damit den Ausstoß von Stresshormonen aus.
Die Amygdala reagiert viel schneller als das Großhirn, in dem unsere Ratio angesiedelt ist. Sie entscheidet im Bruchteil von Sekunden, ob eine Gefahrensituation vorliegt, und alarmiert bei Bedarf andere Gehirnareale. (ebd.) Dieser Tatsache entsprechend springt ein innerer Alarm mitsamt seiner Wirkungen viel schneller an, als das Großhirn seine vernünftigen, sachlichen (Gegen-)Argumente – so berechtigt sie auch sein mögen – ins Spiel bringen kann. Der Alarm kann körperliche, mentale und emotionale Auswirkungen hervorbringen.
Auf der Körperebene z.B.:
Auf der mentalen Ebene z.B.:
Auf der emotionalen Ebene z.B.:
Dass unser Großhirn mit all seinem Wissen, seinen rationalen Argumenten in Stress- und Gefahrensituationen bei vielen Menschen oft nichts ausrichten kann, weil die Amygdala schneller reagiert, erklärt auch, weshalb eine rein kognitive Aufarbeitung belastender Erfahrungen meistens keine dauerhaften Ergebnisse hervorbringt. Das Verstehen allein hilft selten nachhaltig weiter – diese frustrierende Erfahrung haben schon viele Menschen gemacht, die sich immer wieder über sich selbst ärgern, weil sie „wieder einmal so irrational“ reagiert haben, obwohl sie es doch längst „besser wussten“. Nichts gegen das rationale Verstehen: Oft ist es für die betreffende Person schon eine erhebliche Erleichterung, wenn ihr klar wird, wie die eigenen Reaktionen mit der Lebensgeschichte zusammenhängen. Dieses Verständnis hilft dann oft auch, schneller wieder aus dem Alarmzustand herauszukommen. Aber wenn ein entsprechender Trigger vorhanden ist, springt der Alarm zunächst einmal an, mit allen Begleiterscheinungen. Dieser innere Stresszustand mit seinem Alarm zwingt den Menschen, sich auf eine ganz bestimmte Art und Weise schnell und entschlossen zu verhalten, selbst wenn es in seinen eigenen Augen gar keinen Sinn macht.
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