Konzepte

Karriere-Coaching für Jugendliche mit dem 3-Zonen-Modell

Bedürfnisorientierte Aktivierung von Schülern beim Berufseinstieg

Der Übergang von der Schule in die Berufsausbildung stellt für viele junge Menschen eine große Herausforderung dar. Berufsberatung und Coaching ermöglichen eine individuelle Unterstützung und Förderung der Jugendlichen. Dieser Lern- und Entwicklungsprozess wird im Folgenden anhand eines Modells veranschaulicht, das auf der Idee des lebenslangen Lernens basiert.

7 Min.

Coaching-Magazin Online, 23.04.2025

Viele Schüler und Schülerinnen benötigen beim Übergang in den Beruf zusätzliche Unterstützung und Motivation. In der Berufseinstiegsbegleitung werden sie von Coaches unterstützt und vom Schulabschluss bis zum Einstieg ins Berufsleben begleitet. Damit sollen die Chancen der Jugendlichen auf einen erfolgreichen Übergang in eine berufliche Ausbildung verbessert und das Ausbildungsverhältnis stabilisiert werden.

In der beruflichen Begleitung von Jugendlichen hat sich das 3-Zonen-Modell bewährt, das im Folgenden mit der Theorie der proximalen Entwicklung eines Kindes nach Wygotski (auch Vygotskij) (Dorsch Lexikon der Psychologie, 2021) in Verbindung gebracht wird (s. Abb.). Beide Modelle haben eine besondere Zone gemeinsam (in der Abbildung als grüner Bereich markiert), in der Entwicklung möglich ist: Die Wachstumszone bzw. Zone proximaler Entwicklung. Diese Modelle bilden eine hilfreiche Basis bei der Eins-zu-eins-Begleitung von Jugendlichen im Bewerbungsprozess und ermutigen, das Konzept des lebenslangen Lernens zu verinnerlichen. 

Die Grafik veranschaulicht das 3-Zonen-Modell und die Zone der proximalen Entwicklung.

Abb.: Wo Lernen/Entwicklung stattfindet: 3-Zonen-Modell und Zone der proximalen Entwicklung (nach Mai, 2023; Luckner & Nadler, 1997; Dorsch Lexikon der Psychologie, 2021 & 2024)

Wo finden Lernen und Entwicklung statt?

Das aus der Erlebnispädagogik stammende 3-Zonen-Modell (Luckner & Nadler, 1997) ist ein Ansatz, um Veränderungsprozesse zu begleiten. Es verdeutlicht, unter welchen Bedingungen Menschen am besten lernen und sich weiterentwickeln können. Das Modell besteht aus der Komfortzone, der Wachstums- bzw. Lernzone und der Panikzone. Um etwas Neues zu lernen und uns weiterzuentwickeln, müssen wir die Komfortzone verlassen, in der wir uns wohl fühlen. Die Lernzone stellt uns vor neue Herausforderungen. Hier können wir unsere Kompetenzen erweitern sowie unsere Potenziale und Talente fördern, weil der Schritt ins Ungewisse nicht zu groß ist. In der Panikzone dagegen empfinden wir Angst und können den Herausforderungen nicht mehr konstruktiv begegnen. Wir fühlen uns überfordert. Dies gilt es zu vermeiden, da im Zustand der (totalen) Überforderung kein Lernen möglich ist. Wo diese Zonen anfangen und enden, ist von Person zu Person unterschiedlich. (Mai, 2023)

Die Zone proximaler Entwicklung

Die Zone der proximalen Entwicklung ist ein zentrales Konzept in der soziokulturellen Theorie des sowjetischen Psychologen Lew Wygotski (1896–1934) (Dorsch Lexikon der Psychologie, 2021). Es beschreibt den Bereich, in dem Lernende mit Unterstützung bzw. unter Anleitung neue Fähigkeiten und Wissen erlangen können, die sie allein noch nicht bewältigen könnten. Die Zone der proximalen Entwicklung ist demnach „die Differenz zwischen einem aktuellen Entwicklungsstand eines Kindes, bestimmt durch die Fähigkeiten selbstständig Probleme zu lösen, und potentiellem Entwicklungsstand, der dadurch bestimmt ist, Probleme unter der Anleitung anderer zu lösen“ (Stangl, 2024a).

Wie können Lernende unterstützt werden?

In der konstruktivistischen Lerntheorien wird der Begriff des Scaffolding verwendet, um die Unterstützung eines Lernprozesses zu beschreiben. Darunter versteht man „die Unterstützung eines Lernprozesses durch die Bereitstellung einer ersten vollständigen Orientierungsgrundlage in Form von Anleitungen, Denkanstößen und anderen Hilfestellungen“ (Stangl, 2024b). Das Geben von Hilfestellung ist temporär und wird schrittweise beendet, sobald die Lernenden in der Lage sind, bestimmte Aufgaben selbst auszuführen (Schnotz, 2006). Auf Wood, Bruner und Ross (1976) geht „intersubjektives Scaffolding in Lehr-Lern-Situationen“ zurück. Der Begriff Scaffolding stammt aus dem Englischen und bedeutet Baugerüst. Den Lernenden wird eine Art mentales Gerüst gebaut, um schwierigere Aufgaben zu bewältigen: „Mit Hilfe von Scaffolding sollen SchülerInnen darin unterstützt werden, sich neue Inhalte, Konzepte und Fähigkeiten selber zu erschließen, und zwar sowohl sprachlich als auch fachlich, indem Lernende dazu angeleitet werden, anspruchsvollere Aufgaben zu lösen als solche, die sie allein leicht bewältigen könnten.“ (Stangl, 2024b). 

Erfolgreich ist Scaffolding nach McKenzie (1999), wenn (1) es klare Anweisungen gibt; (2) ein wichtiger Zweck verfolgt wird; (3) eine Route abgesteckt wird; (4) Bewertungskriterien offengelegt werden; (5) verlässliche Quellen genutzt werden; (6) Unsicherheit, Überraschungen und Enttäuschungen reduziert werden; (7) die Stunde effizient genutzt wird und (8) Lernende in Bewegung gesetzt werden.

Auf die Teilnehmenden eines Bewerbungsverfahrens treffen diese acht Kriterien in besonderer Weise zu, da der eigene Ausbildungsplatz für die allermeisten Jugendlichen in der Berufseinstiegsbegleitung gegen Ende ihrer Schulzeit ein sehr wichtiges Ziel ist. Somit sind diese in der Regel offen für Scaffolding.

Lernende haben die Möglichkeit, mit Hilfe des 3-Zonen-Modells im Zuge des Bewerbungsprozesses den Nervenkitzel von lebenslangem Lernen zu erfahren. Danach können sie ihre Erfahrungen in der Reflexion am 3-Zonen-Modell nachvollziehen und ihre Erkenntnisse festigen. So entsteht ein nachhaltiger Prozess, der für den weiteren Weg der Jugendlichen durchaus prägend und wegweisend sein kann.

Praktische Anwendung mit Jugendlichen

Der Bewerbungsprozess stellt für viele Schüler und Schülerinnen ohne elterliche Unterstützung eine große Herausforderung dar. Für sie sind der Ablauf, die aufeinander aufbauenden Schritte und Phasen dieses Prozesses häufig undurchschaubar und komplex. Bestenfalls wird das Bewerben als Mutprobe verstanden.

Der oben beschriebene Ansatz des Lernzonen-Modells wurde in der Praxis erfolgreich in der Berufseinstiegsbegleitung von Jugendlichen angewendet. Der Ablauf erfolgt in diesen Schritten:

Ausgehend von einem in drei konzentrischen Kreisen ausgelegten Kletterseil am Boden (3-Zonen-Modell: Komfort-, Wachstums- und Panikzone) wird den Jugendlichen zunächst die Idee der individuellen lebenslangen Entwicklungsmöglichkeit erläutert. 

Nachdem die Standardschritte im Bewerbungsprozess wiederholt wurden (Recherche, Kontaktaufnahme mit dem Betrieb, Vorbereitung der Unterlagen, Einladung, Gespräch, ggf. Hospitation, Vertragsunterzeichnung, Arbeitsantritt), wird der nächste bevorstehende Schritt (z.B. Anruf im Betrieb, persönliche Übergabe der Unterlagen etc.) von den Jugendlichen nach gefühlter Schwierigkeit in eine der Zonen eingeordnet.

Erscheint der nächste Schritt für den Schüler oder die Schülerin als nicht machbar, die Hürden also zu groß (Panikzone), werden Ideen gesammelt, die diesen Schritt vorbereiten können und weniger panikbehaftet  machen, sodass der nächste Schritt dennoch durchführbar ist. Der Schüler bzw. die Schülerin überlegt, was hierfür hilfreich wäre. Z.B. können für das Gespräch Stichworte notiert und neben das Telefon gelegt werden; Situationen können durch ein Stegreifspiel vorab simuliert werden; mögliche Reaktionen auf unbekannte Hindernisse (z.B. „Da bin ich nicht zuständig!“ / „Sie kommen aber spät damit an!“ / „Wir vergeben keine Ausbildungsplätze!“) können durchgespielt werden; die Begleitung durch eine/n Freund/in oder den/die Berufseinstiegsbegleiter/in bis vor das Gebäude des Arbeitgebers können geplant werden etc.

Nachdem der gründlich besprochene und vorbereitete Schritt durchgeführt wurde, erfolgt die Nachbesprechung am Seil-Modell bzw. 3-Zonen-Modell, um die Erfahrung des lebenslangen Lernens zu konkretisieren und zu verankern. Dies kann mit Hilfe folgender Fragen erfolgen:

  • Jetzt, wo du die praktische Erfahrung gemacht hast, wie würdest du das, 
    was du erlebt hast, einordnen (in welche Zone)?
  • Worauf warst du nicht vorbereitet? Wie bist du damit umgegangen?
  • Welche Tipps würdest du jemandem in deiner Situation mitgeben? 
  • Wie fühlst du dich jetzt?


In der Praxis der Berufseinstiegsbegleitung hat dieses Vorgehen viel positive Resonanz und nachhaltige Wirkung erzielt. Viele Schüler und Schülerinnen haben das Modell für sich verinnerlicht und waren stolz auf sich und das Ergebnis. Manche ordneten sich von da an sogar unaufgefordert und ungefragt vor größeren Aufgaben in das 3-Zonen-Modell ein.

Literatur

Dorsch Lexikon der Psychologie (2024). Zone der nächsten Entwicklung. Abgerufen am 15.11.2024: https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/zone-der-naechsten-entwicklung

Dorsch Lexikon der Psychologie (2021). Entwicklung, soziokultureller Ansatz nach Wygotski/Vygotskij. Abgerufen am 15.11.2024: https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/entwicklung-soziokultureller-ansatz-nach-wygotski

Luckner, J.L. & Nadler, R.S. (1997). Processing the Experience: Strategies to Enhance and Generalize Learning. Dubuque: Kendall/Hunt.

Mai, J. (2023). 3-Zonen-Modell: So verlassen Sie Ihre Komfortzone. Karrierebibel. Abgerufen am: 01.04.2025: https://karrierebibel.de/3-zonen-modell

McKenzie, J. (1999). Scaffolding For Success. FNO: The Educational Technology Journal, 9(4). http://fno.org/dec99/scaffold.html

Schnotz, W. (2006). Pädagogische Psychologie. Workbook. Weinheim: Beltz.

Stangl, W. (2024a). Proximale Entwicklung. Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik. Abgerufen am 15.11.2024: https://lexikon.stangl.eu/5750/proximale-entwicklung

Stangl, W. (2024b). Scaffolding. Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik. Abgerufen am 15.11.2024: https://lexikon.stangl.eu/13399/scaffolding

Wood, D.; Bruner, J.S. & Ross, G. (1976). The role of tutoring in problem solving. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 2, S. 89–100.

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