An der Spitze und innerhalb zahlreicher Organisationen finden sich sogenannte "Doppelspitzen", d.h. ein Führungsduo teilt sich offiziell (oder auch inoffiziell) die Leitungsfunktion. Erfahrene Coachs wissen, dass eine solche Aufteilung von Macht ganz spezifische Konfliktsituationen mit sich bringen kann. Für das Coaching von Doppelspitzen bedeutet dies eine besondere Herausforderung, da die normalen Prinzipien und Vorgehensweisen hier nicht ohne weiteres Gültigkeit besitzen.
Nun ist es eine bekannte Anekdote in Beraterkreisen, dass eine Schar von Unternehmensberatern zunächst die Vorzüge von Doppelspitzen anpreist, damit anschließend eine andere Schar bei den dadurch auftretenden Problemen beratend zur Seite stehen kann. Oft sind es aber gar nicht die so gescholtenen Unternehmensberater, sondern die zunächst sinnvoll erscheinenden Vorzüge, die zu einer Doppelspitze führen.
Typische Beispiele von Doppelspitzen findest man häufig bei Freiberuflern. Oft schließen sich zwei (oder auch mehrere) Fachleute wie z.B. Rechtsanwälte, Steuerberater, Mediziner, Psychotherapeuten, Ingenieure usw. zusammen, insbesondere bei Existenzgründungen. Die Gründe dafür sind meist leicht nachvollziehbar: Jeder der beiden Fachleute möchte sein finanzielles Risiko minimieren, sucht nach fachlicher und persönlicher Ergänzung, traut sich ohne den anderen eine Firmengründung nicht zu oder strebt manchmal auch schlichtweg aus Sympathie eine Zusammenarbeit an. Dabei werden sehr häufig die rationalen Gründe von emotionalen Gründen überlagert. So scheint z.B. die Minderung des finanziellen Risikos durch die Zusammenarbeit mit einem sympathischen Menschen sehr sinnvoll. Dies kann jedoch problematisch werden, weil emotionale Faktoren eine höhere Auffälligkeit für schwere Konflikte nach sich ziehen können. Geht nämlich die "gefühlte Grundlage" verloren, führt dies zu starken Enttäuschungen, die wesentlich intensiver sind, als wenn sie durch Sachprobleme bedingt gewesen wären.
Einen Wendepunkt in der Beziehung einer Doppelspitze stellt bei Freiberuflern oft die Einstellung neuer Mitarbeiter dar. Spätestens hier zeigt sich, ob man in der Lage ist, einem Dritten gegenüber geschlossen agieren zu können. Geschieht dies nicht, sind die Folgen leicht absehbar: Dem Mitarbeiter geht in einem Hin-und-her von Anweisungen die Übersicht (und die Motivation) verloren und die Doppelspitze beschäftigt sich mehr mit sich selbst als mit dem eigentlichen Sinn des Unternehmens. Weil dies aber existenziell bedrohlich ist, wird die Zusammenarbeit immer verkrampfter und ängstlicher; es baut sich bei beiden ein unterschwelliger Ärger auf, der scheinbar auf der Sachebene zu Konflikten führt. Tatsächlich sind es aber Beziehungsprobleme, die hinter dem Konflikt stecken. Im Coaching zeigt sich in der Rekonstruktion derartiger Fälle, dass sich die beiden Geschäftspartner dann wundern, warum es (scheinbar) immer neue Sachprobleme in der Zusammenarbeit gibt (und die alten nicht gelöst werden), bis schließlich einer von beiden die Situation nicht mehr erträgt. Im schlimmsten Fall kann die Geschäftspartnerschaft darunter zerbrechen, was entsprechende finanzielle Konsequenzen hat.
Aber nicht nur bei Freiberuflern, sondern auch in Organisationen verschiedenster Art finden sich Doppelspitzen. Die Gründe dafür sind unterschiedlich:
Eine besondere Form von Doppelspitze liegt hingegen vor, wenn dies gar nicht organisatorisch angestrebt wurde, sondern sich faktisch ergeben hat. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn in Organigramm nur eine Führungskraft verzeichnet ist, tatsächlich jedoch eine informelle Führungskraft im Hintergrund erheblichen Einfluss ausübt. Die Machtbasis beider Führungskräfte ist dann unterschiedlich legitimiert: Während die offizielle Führungskraft formal ernannt ist, führt die inoffizielle Führungskraft auf der Basis ihrer sozial-emotionalen Verankerung im Unternehmen. Derartige informelle Phänomene finden sich z.B. in hoch formalisierten Organisationen, d.h. oftmals Behörden. Weil diese hochformalisierte Organisationen bei tatsächlicher Einhaltung des Dienstweges meist nicht mehr handlungsfähig wären, kristallisiert sich eine informelle Struktur heraus, die die formellen Regeln stillschweigend außer Kraft setzt.
Interessanterweise kann jedoch ebenso beobachtet werden, dass sich auch in Organisationen mit zu geringer formaler Struktur (und flachen Hierarchien) informelle Strukturen herausbilden.
Im einen als auch im anderen Fall ist jedoch leicht vorherzusagen, dass das rivalisierende Aufeinanderprallen von formellen und informellen Führern erheblichen Einfluss auf die (Dys-)Funktionalität einer Organisation ausüben kann.
Im Teil 2 über das Coaching von Doppelspitzen wird über die konkrete Coaching-Arbeit mit den Führungsdyaden berichtet.