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Beruf Coach

Peergroup-Lernen in Zeiten der Pandemie

Psychodynamische Auswirkungen von virtuellen Treffen auf Gruppen

Videokonferenzen ersetzen während der Pandemie das persönliche Gespräch. Doch wie effektiv gelingt die zwischenmenschliche Kommunikation in der Online-Welt? Besonders im Kontext Coaching und Coaching-Ausbildung wird der direkte Kontakt oftmals als essenziell verstanden. Corinna Brück und Gabriel Fröhlke erlebten in ihrer Ausbildung, welche Einschränkungen aber auch welche Chancen die virtuellen Treffen bergen. Ihre Erfahrungen schildern sie im folgenden Bericht.

8 Min.

Coaching-Magazin Online, 16.09.2021

Während der Pandemie sind Peergroup-Treffen nicht möglich gewesen. Zumindest nicht in Präsenz. Daher musste im Rahmen der Weiterbildung zum Business-Coach auf Online-Treffen ausgewichen werden. Doch stellen Videokonferenzen eine sinnvolle Alternative dar? Wenn im psychodynamischen Prozess – der auch für das Setting einer Peergroup greift – Mimik und Gestik, das äußere Erscheinungsbild sowie nonverbale Kommunikation für die zwischenmenschlichen Prozesse unabdingbar sind, welche Möglichkeiten bieten sich dann im Rahmen eines digitalen Treffens?

Hintergrund der Peergroup-Treffen

Im Zuge der Weiterbildung zum „zertifizierten psychodynamischen Business Coach“ am Institut „Psychodynamische Organisationsentwicklung + Personalmanagement Düsseldorf e.V.“ sind Peergroup-Treffen ein Teil des Curriculums. Die Teilnehmer (mind. drei, max. sechs) einer Peergroup finden sich in Eigenregie zusammen und bearbeiten mit einem psychodynamischen Blickwinkel über fünfmal drei Stunden freie Themen. Im vorliegenden Praxisfall berichten wir über drei dieser Treffen, die alle virtuell als Videokonferenzen stattgefunden haben.

Themenauswahl

Hat „das Virtuelle“ Auswirkungen auf die Themenauswahl gehabt? Jein. Strukturell wären die Peergroup-Mitglieder bei einem Präsenz-Treffen nicht anders vorgegangen: Vor jedem Treffen kann jeder Teilnehmer Themen vorschlagen, die dann gesammelt und als inhaltliches wie auch zeitliches Gerüst verwendet werden. Der Lockdown jedoch ­– mit all seinen Herausforderungen und Konsequenzen – lag einigen auf der Seele, sodass die Gruppe ihn selbst zum Thema gemacht hat. Mit Hinblick auf die Weiterbildung, die teils digital stattfinden musste, bot sich ein Vergleich zwischen Präsenz- und digitaler Veranstaltung an.

Was also macht ein virtuelles Treffen mit uns, mit jedem einzelnen Teilnehmer, aber auch mit einer Gruppe? Dieses Thema zog sich durch all unsere Peergroup-Einheiten. Doch auch andere, (scheinbar) pandemieunabhängige Themen sind besprochen worden. Beispielsweise das eigene Erleben der Gruppendynamik, auf das wir noch näher eingehen werden.

Online und Gruppe

Ein Gefühl für eine Gruppe zu bekommen, während man vor einem Bildschirm sitzt, ist eine andere Herausforderung, als wenn sich die Gruppe in Präsenz trifft. Das liegt auf der Hand. Oder nicht?

Augenscheinlich bekommt jeder Teilnehmer online nur wenig, nur einen Ausschnitt der anderen Gruppenmitglieder, zu sehen – maximal den Oberkörper. Der Rest bleibt verborgen. Gleichzeitig sind jedoch alle Teilnehmer immer und jeder Zeit „unter Beobachtung“ und „in der Nahaufnahme“, geben im wahrsten Wortsinne Einblicke in ihr Privatleben. In Präsenz hingegen muss man sich den Einzelnen „herauspicken“, ansehen, sich hinwenden und versuchen, innerhalb der Gruppe mit ihm oder ihr in Beziehung zu kommen. Oder eben auch nicht: Desinteresse oder ein Abschweifen kann beispielsweise über die Körpersprache live ebenfalls deutlich zum Ausdruck gebracht werden. All diese Prozesse laufen größtenteils unbewusst ab.

Online scheint es, als stünde der Beziehung etwas im Wege. Man ist nicht wirklich verbunden. Das Medium liegt dazwischen. Jeder hat somit automatisch die Möglichkeit, sich zu verstecken. Kopfhörer oder Headsets vermitteln zusätzlich den Eindruck, dass ein Verbundensein mit der Gruppe, ein „sich-Einlassen“, nur über technische Hilfsmittel möglich ist. Das Gute ist: Im Laufe einer Einheit vergisst man dies oft bzw. gewöhnt sich schlichtweg daran.

Dieser Schritt basiert auf der Einstellung jedes einzelnen Teilnehmers innerhalb der Peergroup: Wer sich darauf einlässt, hat einen erheblichen positiven Anteil am Gruppen(lern-)prozess sowie der Gruppendynamik, die sich auch in digitaler Form bildet.

Online ganz praktisch

Im vorliegenden Praxisfall hat der oben beschriebene Prozess, bis sich alle wirklich auf das Video-Meeting eingelassen haben, zu Beginn einer dreistündigen Einheit gut 20 Minuten gedauert.

Nachdem sich alle Teilnehmer begrüßt haben und angekommen sind, hat sich nach dem Moment des Sammelns und der Ruhe eine Gesprächseröffnung ergeben, die dann zur Reflexion sowie Bearbeitung eines der vorher festgelegten Themen geführt hat.

Dabei ist es den Peergroup-Mitgliedern erstaunlich gut gelungen, aufeinander zu achten und das Gegenüber wahrzunehmen. Wer sagt was wann? Wann grätsche ich dazwischen? Wie kommt hier jeder zu Wort? Eine Herausforderung, die uns trotz des Bildschirms nicht davon abgebracht hat, ein Miteinander zu kreieren. Im Gegenteil: Die Tatsache, dass man das Gesicht jedes Peergroup-Teilnehmers (je nach PC-Einstellung teils sehr groß) direkt vor sich hat, ist in dieser Situation von Vorteil, denn so erkennt jeder sehr schnell die Mimik des anderen und kann darauf eingehen. Wir haben zu jedem Teilnehmer Bezug aufgenommen und somit eine Gruppendynamik erzeugen können, die jeden einbezogen hat.

Solche Situationen gibt es natürlich auch – oder erst recht ­– in Präsenz. Online findet das Ganze jedoch verdichtet auf dem Bildschirm statt. Und hier liegt gleichzeitig auch eine Chance: Wer weiß, wie es sich anfühlt, sich vor einer Gruppe zu öffnen, der weiß auch, wie schwierig so etwas sein kann. Er kennt die Atmosphäre, wenn er redet, und nimmt all die Blicke wahr, die im Moment des Sprechens an ihm haften. Der besondere Moment der Aufmerksamkeit. Genau dieser Moment findet online abgeschwächt statt, denn wem öffentliches Reden schwerfällt oder sogar unangenehm ist, der guckt einfach am Bildschirm vorbei. Somit weiß derjenige zwar um die Aufmerksamkeit der Beteiligten, kann diese jedoch (gefühlt) abschwächen, indem er das Medium ignoriert – schließlich sind die anderen Teilnehmer nur über dieses wahrzunehmen. Die Hürde, sich einzubringen, kann somit herabgesetzt werden.

Durch die Einschränkungen des Mediums schafft eine Videokonferenz es nicht, die komplette Energie und Stimmung zwischen den Teilnehmern zu vermitteln, wie es bei einem Präsenztreffen möglich ist. Das Medium filtert einen Teil des gruppendynamischen Prozesses via Bildschirm. Das steht in keinem Gegensatz zu der eben beschriebenen Beobachtung, denn gleichzeitig bietet eine Videokonferenz sehr wohl auch die Möglichkeit, den Anderen zu sehen und wahrzunehmen. Es besteht sogar die Möglichkeit, sich jemanden herauszupicken und zu beobachten. Etwas, das sich in Präsenz – für beide Seiten – ganz anders anfühlen würde.

Interessanterweise hat sich online ein Phänomen beobachten lassen, das sich auch in Präsenz ereignet (Brocher, 1967): Sobald die Gruppenmitglieder das Gefühl haben, dass sich jeder „blamieren“ kann, ohne dabei unterzugehen, zeigt sich jeder viel offener.

Affekte online

Wenn Gruppenmitglieder einander vertrauen, können wundersame Dinge passieren – auch online. In unserem Fall hat die Gruppe es geschafft, obwohl die einzelnen Mitglieder durch einen Bildschirm voneinander getrennt gewesen sind, die eigenen Affekte wahrzunehmen und diese mitzuteilen. Die Gruppe hat mit sehr viel Ruhe sowie Momenten der Stille gearbeitet. So haben es die Mitglieder geschafft, sich in den Anderen hineinzuversetzen. Das hat dazu geführt, dass die Gruppenteilnehmer sich sowohl über Themen, die nur einem widerfahren sind, ausgetauscht haben, als auch Dinge thematisiert und reflektiert haben, welche die gesamte Peergroup betrafen. Auch Themen und Probleme, die wir untereinander fühlten und wahrnahmen, wie etwa Neid, Wut, Eifersucht oder Verletzungen, haben wir angesprochen und sehr respektvoll miteinander bearbeitet. So – und teils vielleicht sogar durch die vom Medium erzeugte Distanz – haben es die Mitglieder geschafft, sich in den Anderen hineinzuversetzen und sich zu öffnen.

Im virtuellen Treffen ist ein gruppendynamischer Prozess entstanden, der die Peergroup enger zusammengebracht hat und mit dem sich die Teilnehmer besser kennengelernt und auch verstanden haben. In den darauffolgenden Präsenz-Veranstaltungen haben sich die Mitglieder der Subgruppe verbundener gefühlt als vorher. Das ist sogar für die anderen Teilnehmer der Fortbildung spürbar gewesen.

Fazit

Mit Hilfe von Videokonferenzen sind Gruppentreffen im Zuge einer psychodynamischen Ausbildung zum Business-Coach – zumindest während einer Pandemie, wie wir sie seit Monaten erleben – hilfreich und auch förderlich. Ein digitales Gruppentreffen ist allemal besser, als sich gar nicht zu sehen. Das steht außer Frage.

Da wir im psychodynamischen Business-Coaching davon leben, das Gegenüber zu sehen und es wahrzunehmen, waren Videokonferenzen für uns sogar sehr lehrreich: Als Peergroup haben wir erlebt, dass wir den Anderen verstehen und fühlen können, auch, wenn wir ihn nur auf dem Bildschirm erleben. Zusätzlich konnten wir gruppendynamische Prozesse durchleben, die eine Entwicklung unserer Gruppe angestoßen haben. Wir haben Affekte sowohl bei uns als auch bei anderen Gruppenmitgliedern wahrgenommen und online eine Situation geschaffen, in der sich jeder öffnen, zeigen und mitteilen konnte.

Videokonferenzen haben jedoch auch ihre Grenzen: Nonverbale Gesten, das äußere Erscheinungsbild, Stimmungen, Energien und Unausgesprochenes übertragen sich in Präsenz besser, als es über einen Bildschirm möglich ist. Ein Treffen in Präsenz ist demnach „intensiver“ im Vergleich zu einer Videokonferenz. Dennoch zeigt die Erfahrung: Wer länger auf einen Bildschirm starrt, ist oft müder, als wenn er ein Treffen in Präsenz erlebt hat. Es kann sich daher anbieten, Online-Treffen zeitlich weniger umfangreich zu gestalten.

Dennoch bleibt festzuhalten, dass unsere Peergroup durch „Remote-Work“ die Chance hatte, fokussierter in Beobachtungen zu gehen und emotionale Hürden zu überwinden. Psychodynamische Prozesse konnten auf Basis von Vertrauen initiiert und erlebt werden und sowohl die Gruppe wie auch die Individuen konnten sich weiterentwickeln. Letztlich besser als erwartet.

Literatur

Brocher, Tobias (1967). Gruppendynamik und Erwachsenenbildung. Zum Problem der Entwicklung von Konformismus oder Autonomie in Arbeitsgruppen. Braunschweig: Westermann.

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