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Kontrovers

Pferdegestütztes Coaching

Kreative Managerbespaßung der besonderen Art

Das Versprechen ist ein unverfälschtes und wertschätzendes Feedback über das eigene Führungsverhalten, sodass eine Reflexion erfolgen und die Führungskraft ihr Verhalten verbessern kann. Der Feedbackgeber ist jedoch weder Mitarbeiter noch Coach, sondern ein Pferd: Pferdegestütztes Coaching – das Pferd als hochsensibles Wesen soll Führungsschwächen aufzeigen. Doch was sagt die Führung eines Pferdes tatsächlich über die Führung von Mitarbeitern aus? Wahrscheinlich nichts!

7 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 4 | 2014 am 19.11.2014

Die Coaching-Branche ist bekanntermaßen nicht gerade arm an kreativen Einfällen, wenn es darum geht, sich immer wieder aufs Neue Methoden auszudenken, die man suggestiblen Kunden zur Lösung jedweden Problems anbieten kann. Die Legitimation der diversen Ansätze ergibt sich für ihre Anhänger allein aus der Tatsache, dass mehr als zwei Leute ganz fest daran glauben und man vielleicht sogar schon eine Handvoll Kunden erfolgreich unterhalten hat. Wenn diese Kunden sich nach stundenlanger Indoktrination dann auch noch der Illusion hingeben, ihre Lebenszeit sinnvoll genutzt zu haben, erscheint das gesamte Gedankengebäude als Ausdruck unerschütterlicher Wahrheit.

Pferdegestütztes Coaching

Zu den skurrilsten Methoden, die in den letzten Jahren entstanden sind, gehört pferdegestütztes Coaching. Dahinter stecken verschiedene Coaching-Maßnahmen, denen eines gemein ist: Im Zentrum steht ein Pferd als Co-Trainer oder -Coach. Durch die Interaktion mit dem für viele Ratsuchende weitgehend unbekannten Wesen sollen sie in ihrem Selbstbild derart tiefgehend verändert werden, dass sie von Stund an im Berufsleben optimiert auftreten.

Bislang wird pferdegestütztes Coaching vor allem als Methode zur Verbesserung der Führungskompetenz angepriesen. Es ist aber wohl nur eine Frage der Zeit, bis man sich erfolgreich auch ein großes Kundensegment jenseits der Führungskräfte erschließt.

Folgt man der einschlägigen Fachliteratur, so kann der gemeine Homo Sapiens durch die Begegnung mit dem Pferd schließlich alle „seine Sinne schärfen“ (Hendrich, 2008) und „Achtsamkeit“, „Ehrlichkeit“, ja sogar „Menschlichkeit“ (!) lernen (Meyer, 2009).

Im Segment der Führungskräfte ist die „Logik“ des Ansatzes schnell auf den Punkt gebracht: „Wer Pferde führen kann, kann Menschen führen“ (Osterhammel, 2006; 83). Geradezu prototypisch beschreibt dieser Satz die Argumentationsprinzipien, die sich in vielen esoterischen Schulen finden lassen.

An die Stelle der empirischen Evidenz treten Metaphern und Wortassoziationen. Führung im Kontext A ist demnach dasselbe wie Führung im Kontext B, denn schließlich handelt es sich ja auch um dasselbe Wort. Ebenso gut könnte man fast behaupten, Postboten seien gewalttätig, da sie jeden Tag unzählige Schläge austeilen – genauer gesagt (Briefum-)Schläge.

Das Prinzip

Die Aufgaben, welche die Kunden im Zuge des Coachings bewältigen müssen, sind vergleichsweise einfach:

  • Aus einer überschaubaren Anzahl von Pferden muss die Führungskraft zunächst eines auswählen, mit dem sie über den Tag hinweg zusammenarbeiten möchte. Die Auswahl wird vom Coach küchenpsychologisch gedeutet. Warum entscheidet sich der Klient für die harmlose Stute und nicht für den imposanten Hengst? Neigt er etwa zur Dominanz? Oder umgekehrt: Warum entscheidet er sich für den imposanten Hengst und nicht für die harmlose Stute? Hat er vielleicht etwas zu kompensieren? – Das ist das Schöne an der Küchenpsychologie: Egal, was der Kunde macht, man kann ihm immer einen Strick daraus drehen. 

  • Die eigentliche Übung mit dem Pferd besteht darin, das Tier mit dem Mittel der (Körper-)Sprache zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen. Beispielsweise soll sich das Pferd auf den Klienten zu bewegen oder ihm durch einen Parcours folgen. 

  • Einen geradezu surrealen Exzess der Methode beschreibt Krebs (2011): Ziel der Maßnahmen ist nicht die Veränderung des Führungsverhaltens einzelner Menschen, sondern die Veränderung einer gesamten Organisation. Hierzu bauen die Seminarteilnehmer zunächst mit verschiedenen Gegenständen, wie Kegeln, Bällen, Stangen etc. einen Parcours auf, der die Realität ihres maroden Unternehmens metaphorisch spiegeln soll. Anschließend durchqueren sie mit ihren Pferden die Landschaft, um bald darauf den Parcours so umzugestalten, dass diverse Gegenstände den Idealzustand des Unternehmens repräsentieren. Erneut durchquert man den Parcours und baut daraufhin in der zweiten Hälfte der Reithalle einen dritten Parcours auf. Dieser steht nun für ein realistisches Zukunftsbild, wobei beide Szenarien – Idealbild und antizipierte Zukunft – durch eine Barriere getrennt sind. Im letzten Schritt bewegen sich die Teilnehmer mit den Pferden zunächst durch den Parcours des realistischen Zukunftsbildes. Danach wird die Barriere entfernt und abschließend noch einmal die gesamte Landschaft zu Pferd erkundet. Das war’s! Auf wundersame Weise wird sich nun die traurige Realität den Wunschvorstellungen der Teilnehmer anpassen. So einfach kann Change-Management sein.

Wie man Führung vom Pferd (nicht) lernt

Doch zurück zum klassischen Führungs-Coaching. Warum sollen Führungskräfte durch das Lenken von Pferden etwas darüber lernen, wie man Menschen führt? Folgt man den Thesen der Anbieter, so handelt es sich bei Pferden um äußerst sensible Wesen, die auf kleinste körpersprachliche Äußerungen ihrer „Führungskraft“ reagieren. In diesem Punkt sollen sie den menschlichen Mitarbeitern haushoch überlegen sein.

Da man fest daran glaubt, dass sich in der Körpersprache eines Menschen sein Unterbewusstsein spiegelt, haben die Pferde einen direkten Zugang zu den geheimsten Geheimnissen des Individuums. Ihre tierische Interpretation der menschlichen Körpersprache spiegeln sie dem Menschen anschließend eins zu eins in ihrem eigenen Verhalten. Dabei nehmen sie im Gegensatz zu den realen Mitarbeitern keine Rücksicht auf den Status der Führungskraft und betreiben keinerlei Selbstdarstellung.

Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben bekommt der Klient so ein unverfälschtes aber gleichwohl „wertschätzendes“ (!) Feedback, das ihn dazu anregt, grundlegend über sich nachzudenken. Das Nachdenken – sowie sein veränderter Umgang mit dem Pferd im Laufe des Coachings – führt in letzter Konsequenz wiederum zu einer positiven Verhaltensänderung im Führungsalltag. – Soweit die „Theorie“.

Gegenargumente

 Es bedarf keiner großen Anstrengung, um dieses Gedankengebäude zum Einsturz zu bringen:

  1. Selbst wenn Pferde besonders sensibel auf die menschliche Körpersprache reagieren, ist nicht zu erwarten, dass sie die Körpersprache zutreffender oder differenzierter interpretieren können als Menschen. Dies wäre evolutionsbiologisch kaum sinnvoll.

  2. Die Annahme, dass die Körpersprache einen unverfälschten Zugang zum „Unterbewusstsein“ ermöglicht, ist leider nicht mehr als ein Dogma der Ratgeberliteratur.

  3. Aufgrund der Tatsache, dass das Pferd die gesprochenen Worte nicht einmal annähernd so differenziert interpretieren kann wie der Mensch, ist das tierische Erleben zwangsläufig extrem reduziert. Schon allein aufgrund der fehlenden hirnorganischen Voraussetzungen kommt das Pferd zu falschen „Schlussfolgerungen“.

  4. Die Möglichkeiten des Pferdes ein Feedback zu geben sind geradezu lächerlich im Vergleich zu denen der Mitarbeiter im realen Leben. Hinzu kommt, dass die Körpersprache des Pferdes immer durch die Interpretationen des Coachs gefiltert wird.

  5. Die Führungskraft verhält sich gegenüber dem Pferd anders als gegenüber ihren Mitarbeitern. Ebenso reagieren Menschen anders auf ihre Führungskraft als auf ein Pferd. Insofern ist eine Übertragung der Erkenntnisse aus der einen Welt in die andere nicht sinnvoll.

  6. Selbst wenn die Führungskraft einfältig genug sein sollte, das Feedback des Pferdes ernst zu nehmen, läge die weitaus größte Hürde noch vor ihr. Verhaltensroutinen lassen sich leider nicht ohne weiteres durch neue Einstellungen verändern. Millionen guter Vorsätze, die jedes Jahr aufs Neue aufgestellt werden und unerfüllt bleiben, legen hiervon Zeugnis ab.

Alles in allem bleibt vom pferdegestützten Coaching mithin nicht viel mehr übrig als ein weiterer kreativer Versuch, Stroh zu Gold zu spinnen.

Fazit: Bespaßung statt Entwicklung

Vor einigen Jahren erzählte mir eine Personalentwicklerin, die für ein großes deutsches Unternehmen auf der Suche nach Weiterbildungsangeboten für ihre Top-Führungskräfte war, dass es gar nicht darum ginge, eine Maßnahme zu buchen, bei der die alten Herren etwas lernen könnten. Es käme einzig und allein darauf an, dass sie sich gut unterhalten fühlten. Wenn man, wie diese bedauernswerte Kollegin, nur die Managerbespaßung im Blick hat, ist pferdegestütztes Coaching eine hervorragende Wahl.

Alternativ würden sich ein Outdoor-Training, eine Organisationsaufstellung nach Hellinger oder ein Schamanen-Coaching anbieten. In allen übrigen Fällen sollte man um solche Methoden lieber einen großen Bogen machen.

Literatur

  • Hendrich, Fritz (2008). Horse Sense oder wie Alexander der Große erst ein Pferd und dann ein Weltreich eroberte. Wien: Signum Wirtschaftsverlag.
  • Kanning, Uwe P. (2013). Wenn Manager auf Bäume klettern. Lengerich: Pabst.
  • Krebs, Gerhard J. (2011). Pferde als Trainer. In Weiterbildung, 02/2011, 3–6.
  • Meyer, Stepahn G. (2009). Pferde als Medium im Coaching: natürlich, ehrlich und nachhaltig. In Coaching-Magazin, 4/2009, 42.
  • Osterhammel, Bernd (2006). Pferdeflüsterer für Manager. Weinheim: Wiley-VCH.

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