Portrait

Interview mit Andreas Steinhübel

Was Humor im Coaching bewirken kann

Nicht selten empfinden Klienten ihre Anliegen, die sie ins Coaching führen, als belastend. Dies trifft besonders in Bezug auf Führungskräfte des mittleren Managements zu, wie Andreas Steinhübel berichtet. Der Einsatz von Humor muss hierzu nicht im Widerspruch stehen. Dass er sogar hilfreich sein kann, weiß der Coach und Coach-Ausbilder auf Basis seiner langjährigen Praxis. Der Osnabrücker Psychologe, der bereits als Mittzwanziger Menschen innerhalb ihrer Organisationen coachte, mahnt jedoch an: Humor sei zwingend von Zynismus zu unterscheiden, sollen neue Wege eröffnet und nicht verbaut werden. 

22 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 4 | 2019 am 20.11.2019

Ein Gespräch mit David Ebermann

Sie bezeichnen sich als „humorvollen Sparringspartner auf Augenhöhe“. Welche Rolle spielt Humor in Ihren Coachings?

Menschen kommen in aller Regel mit sehr ernsten Themen zu mir. Sie bekleiden verantwortungsvolle Positionen und sind in einer individuellen Krise oder das jeweilige Unternehmen ist – an seinen Ergebnissen gemessen – in eine Schieflage geraten. Vielleicht gibt es auch Spannungen im Team. Meine Erfahrung zeigt, dass neue Lösungszugänge mithilfe von Humor und Leichtigkeit erkannt werden können. Ich bin u.a. von der provokanten Intervention inspiriert. Mein Leitbild besteht darin, die Menschen und ihre Thematiken ernst zu nehmen, aber die Situation nicht als zu festgefahren zu erleben, sondern beispielsweise über Verhaltensmuster auch humorvoll lachen und mit den Augen zwinkern zu können. In meinen Coaching-Prozessen gibt es kaum einen Termin, bei dem nicht gelacht wird. Ein ansteckendes Miteinander-Lachen befreit und hilft, auf neue Lösungsebenen zu kommen.

Humor bewirkt ein Gefühl der Erleichterung?

Richtig. Über eine Situation schmunzeln zu können, schafft beim Klienten häufig einen inneren Abstand, der notwendig ist, um neue Lösungszugänge zu finden. Und das ist immer mein Kernziel in einem Coaching. Dahinter steht die Idee, dass aufseiten des Klienten eigentlich alle Ressourcen und Zugänge vorhanden sind, jedoch verborgen, verstellt, versteckt sein können. Durch Humor und über das Lachen lösen sich Hindernisse auf. Mir ist allerdings sehr wichtig festzuhalten: Ich unterscheide zwischen Humor und Zynismus, denn letzterer hat häufig eher eine diagnostische Qualität und etwas Zermürbendes, das gegen eine andere Person oder auch gegen sich selbst gerichtet ist. Humor hilft – Zynismus zermürbt

Kann Zynismus zu Problemverfestigung führen?

Ja. Zynismus ist häufig ein Indikator von bereits bestehender Problemverfestigung. Wenn er im Coaching verstärkt wird, kann dies dazu führen, dass sich der Klient in seinem Problemzustand noch weiter verfängt. Humor trägt hingegen oft eine Lösung in sich bzw. erweitert Lösungsräume.

Wie sieht es konkret aus, wenn Sie Humor im Coaching einsetzen?

Ich achte ganz bewusst auf Äußerungen des Klienten und auf Situationen, die zur Überzeichnung einladen. Beispielsweise sagt der Klient: „Ich bin unglaublich streng und deshalb haben Mitarbeiter manchmal Angst vor mir.“ Daraufhin würde ich fragen, wie man sich das vorstellen muss: „Stehen Sie wie ein Feldwebel vor Ihren Mitarbeitern? Schmeißen sich Ihre Mitarbeiter vor Angst auf den Boden, wenn Sie morgens das Büro betreten?“ Dann schmunzelt der Klient häufig und sagt: „Nein, so extrem ist es dann doch nicht, aber ich merke Folgendes ...“ Und dann geht es tiefer in die Thematik hinein. Ich suche also nach Anknüpfungspunkten. Die Überzeichnung ist hier ein sehr kraftvolles Instrument. Manchmal benenne ich einfach, was mir durch den Kopf geht, überzeichne Situationen und gucke, ob dies eine positive Resonanz beim Klienten auslöst. Ich selbst bin ein humorvoller Mensch. Das ist wichtig, denn ich bin fest davon überzeugt, dass es nicht „die richtige“ Coaching-Methodik gibt. Ein Vorgehen muss immer in ein Dreieck passen: Es muss zum Klienten und dessen Anliegen, zur sozialen Situation sowie zum Coach passen. Daher biete ich meine eigene humorvolle Art auch als Modell an.

© Foto: Oliver Pracht

Sie haben an der Universität Osnabrück Psychologie studiert. Entdeckten Sie während des Studiums Ihr Interesse am Coaching?

Da ich sowohl Arbeits- und Organisationspsychologie als auch klinische Psychologie spannend fand, habe ich bewusst beide Richtungen studiert. Das Format der Vier-Augen-Beratung lernte ich somit zunächst aus der therapeutischen Perspektive kennen und merkte, dass das nicht der Zugang ist, der mich wirklich befriedigt, denn ich wollte mit Menschen in Organisationen arbeiten. Das war mir sehr früh klar. Gegen Ende des Studiums kam ich mit Coaching in Kontakt und erhielt erste Zugänge dazu – u.a. durch Christopher Rauen, der auch in Osnabrück Arbeits- und Organisationspsychologie studierte. Für mich war es wie eine Tür, die neu aufgegangen ist, als ich meine Coaching-Ausbildung absolvierte. Ich merkte: Coaching verbindet den Business-Kontext mit der sehr individuellen, ressourcen- und lösungsorientierten Begegnung von Einzelpersonen. Im Rückblick würde ich mir wünschen, dass das Thema im Studium mehr Platz gefunden hätte. Wenn ich an heutige Lehrdesigns an Universitäten denke, glaube ich, dass Coaching mittlerweile viel mehr Beachtung erfährt. Gerade auch in Osnabrück hat es einen tollen Platz gefunden.

Nach dem Studium waren Sie – von 1995 bis 1997 – als Berater und geschäftsführender Gesellschafter einer Organisationsberatung tätig. Wie kam es dazu?

Gegen Ende des Studiums hatte ich das riesige Glück, in ein Beratungsprojekt einsteigen zu können. An der Uni hatten wir eine Beratungsgruppe von insgesamt zehn Personen und unser Professor stand mit einem Vorstand in Kontakt. So wurden wir in ein Change-Projekt eingeladen. Hier habe ich meine Neigung entdeckt, Veränderungen zu begleiten und vor allem im Rahmen von Veränderungssituationen sehr zielführend mit Einzelpersonen zu arbeiten. Darüber hinaus war ich für Volkswagen in den USA und absolvierte ein sogenanntes Internship. Ich stellte mir die Frage, ob ein interner Weg bei Volkswagen für mich interessant wäre. Nach dem Internship war aber für mich klar: Das ist ein faszinierendes Unternehmen, ich möchte aber lieber die Außenperspektive wählen und Organisationen sowie vor allem Menschen anhand einer externen beraterischen Perspektive Unterstützung anbieten. Die Selbstständigkeit ist daher meine Wahl gewesen, die ich in erster Konstellation im Beraternetzwerk T.O.B. (Training, Organisationsentwicklung, Beratung) verwirklichte.

Welche Rolle spielte Coaching zu diesem Zeitpunkt?

Zu Beginn spielte es eine eher kleine Rolle. Der Einsatz von Coaching hat sich bei mir über größere Veränderungsprojekte ergeben. Im Rahmen solcher Projekte ist von Einzelnen immer mal wieder die Anfrage an mich gerichtet worden: „Können Sie mich nicht auch persönlich begleiten? Ich habe sehr individuelle Fragen, was das Thema Veränderung anbelangt.“ Dabei ging es z.B. um Rollenklärung oder den Umgang mit Unsicherheit. Ich merkte, dass Coaching hier eine Antwort sein könnte. Ich kam also über das Thema Change nach und nach stärker zum Coaching. Am Anfang war es eine ergänzende Maßnahme, die zwar schon Teil unseres Angebotes war, aber eher in Einzelsituationen zum Einsatz kam. Später gab es einen rapiden Anstieg – auch was die Nachfrage betrifft.

In diesem Zeitraum waren Sie als Mittzwanziger noch recht jung für einen Coach. Welche Erfahrungen haben Sie gesammelt?

Das war tatsächlich spannend, denn ich war jünger als alle Klienten, die ich begleitete, und hatte zudem relativ wenig Berufserfahrung. Das sind erst einmal zwei Strukturnachteile, was man auch ganz deutlich sagen muss. Damit souverän umzugehen, war eine der Lehraufgaben. Was ich bewusst genutzt habe, war die jugendliche Lebendigkeit, die ich hatte. Ich sagte mir: Ich bin nicht durch umfangreiche organisationale Erfahrungen vorgeprägt, stattdessen interessiere ich mich für die Menschen. Ich bot also bewusst meine Unerfahrenheit an und stellte vielleicht gerade deshalb ungewöhnliche Fragen. Damit erlangte ich häufig sehr schnell Akzeptanz, wenngleich es auch viele kritische Situationen gab. 

Und natürlich war die erste Frage oftmals: „Wie können Sie mich eigentlich in Ihren jungen Jahren unterstützen?“ Meine Antwort lautete dann: „So genau weiß ich das auch noch nicht. Ich kann Ihnen aber versprechen, dass ich mich maximal engagieren werde, um Sie bestmöglich zu begleiten.“ 

Rückblickend weiß ich, dass ein gewisses Alter die Arbeit als Coach leichter macht. Berufs- und Lebenserfahrung führen zu stärkerer Akzeptanz. Trotzdem denke ich, dass junge Coaches gute Chancen haben, etwas zu bewirken, wenn sie nicht den Fehler begehen, so zu tun, als wären sie älter. Stattdessen sollten sie ihr junges Alter und ihre Unerfahrenheit nutzbar machen und anbieten. Mit genau dieser Herangehensweise sind wir damals – bei T.O.B. waren wir ein junges Team mit viel Frische und Ehrgeiz – gut gefahren. 

In der integrativen Coaching-Ausbildung, die Christopher Rauen und ich gemeinsam leiten, gibt es eine Rahmenregulierung, die neben bestimmten Bildungsabschlüssen auch eine gewisse Berufserfahrung voraussetzt. Eine wichtige Frage an die jüngeren Teilnehmer, die noch nicht sehr lange im Beruf sind, lautet aber immer: „Wie nutzt Ihr diese Echtheit, ohne Euch zu verstellen? Und wie generiert Ihr genau daraus den Mehrwert, der für einige Klienten hoch attraktiv ist?“ Es bedarf eines intensiven Bezugs zu sich selbst. Ein hohes Maß an Selbstreflexion und Selbsterfahrung, sich selbst und die eigenen Marotten gut zu kennen, eine gute Selbststeuerung und Authentizität als Professionsfigur und Mensch gehören zum Werdegang eines Coachs dazu. Das sind Grundbedingungen.

Sie verstehen Selbsterfahrung demnach als wichtigen Bestandteil einer Coaching-Ausbildung?

Ja. Immer wieder über die eigene Person nachzudenken, ist äußerst wichtig. Ich glaube, dass Selbsterfahrung sehr gut in der Zusammenarbeit mit anderen Menschen und durch das Einholen von Feedback entstehen kann. Und das halte ich für sehr bedeutend, wenn es um Coaching-Curricula geht.

1997 haben Sie die „Meinsen & Steinhübel Organisationsberatung“ gegründet …

Ich merkte, dass die Situation innerhalb des Beraternetzwerkes nicht mehr dem entsprach, was ich für meinen persönlichen Lebensweg als passend empfand. Ich habe mich dann auf einen neuen Weg begeben. Ganz bewusst wollten wir das Thema systemisches Coaching weiterentwickeln und den Bezug zur wissenschaftlichen Fundierung noch stärker ausbauen, um vor diesem Hintergrund dann praxisorientiert zu arbeiten. Dr. Meinsen arbeitete damals an seiner Dissertation, ich hatte zwei Lehraufträge an Universitäten. Das war eine sehr kraftvolle Zusammenarbeit, die lange hielt, und auch heute sind wir noch sehr intensiv in Kontakt. Wir haben uns kollegial sehr gut ergänzt und waren befreundet, merkten aber irgendwann, dass wir unterschiedliche Ideen davon hatten, wie wir die Organisation zukünftig weiterentwickeln wollten. Aus diesem Grund führten wir einen sehr souveränen Trennungsprozess durch, bei dem wir uns auch begleiten ließen. Letzteres merke ich deshalb an, weil auch ein Coach aus meiner Sicht gut daran tut, Coaching als Unterstützung in Anspruch zu nehmen, anstatt das Weltbild zu haben: Wer diese Mechanik kennt, könne immer alleine durch alle Türen gehen.

Haben Sie dann 2007 die „Steinhübel Coaching GmbH“ ins Leben gerufen, um das Coaching noch stärker ins Zentrum Ihrer Arbeit rücken zu können?

Ja, ich wollte das Coaching noch deutlich stärker nutzen. Ich blicke primär vom Menschen her auf Organisationen. Das hatte sich im Laufe der Zeit herauskristallisiert. Meine Kernkompetenz besteht darin, die einzelne Person zu sehen und zu würdigen – im Rahmen ihrer Eingebundenheit in die Organisation. Deshalb arbeite ich heute sicherlich zu rund 95 Prozent mit Führungskräften, um sie dabei zu unterstützen, in ihrer eigenen Organisation noch wirksamer agieren zu können, gerade auch in Veränderungsprozessen. D.h.: Ich begleite nach wie vor Change, schaue dabei aber immer vom Individuum her auf die Institution. Diese Blickrichtung ist für mich sehr bedeutsam.

Mit welchen konkreten Anliegen kommen Ihre Klienten in ein Coaching?

Ich begleite im Executive-Coaching Vorstände und darüber hinaus Personen im mittleren Management, die sowohl von oben geführt werden als auch nach unten führen und sich damit in einer Sandwichposition befinden. Das macht einen großen Anteil meiner Tätigkeit aus. Das häufigste Anliegen dieser Klientengruppe ist der Umgang mit Druck. Sie fühlen sich häufig als Übersetzer zwischen dem Top-Management und den Mitarbeitern. 

Ich setze in diesem Kontext gerne Aufstellungen ein und frage, wo sich die Klienten überhaupt innerhalb dieses Gefüges verorten. Allein diese Frage kann schon einiges auslösen. Die meisten Klienten antworten im ersten Moment, dass sie es gar nicht genau wissen. Natürlich gibt es nicht die eine „richtige“ Position. Spannend ist erst einmal, darüber nachzudenken. 

Eine zweite Frage, die Manager der mittleren Ebene häufig umtreibt und ebenfalls mit Druck zu tun hat, lautet: Wie kann ich meinen Mitarbeitern klar gegenübertreten, ohne wie der Übermittler des Top-Managements zu erscheinen? Dabei geht es um die eigene Positionierung, um Abgrenzungen, um Freiheitsgrade, die man hat, und Fragen wie: Wer bin ich? Wofür stehe ich? Was sind meine Grundhaltungen, die ich auch meinen Mitarbeitern vermitteln möchte? Die Reflexion sollte zunächst unabhängig von den Rollenerwartungen erfolgen, die von der Organisation an einen Klienten gerichtet werden, anschließend aber mit ihnen in Beziehung gesetzt werden, um in diesem Kontext sinnvolle Schritte ableiten zu können. Im Coaching halte ich es für sehr wichtig, dass sowohl die Reflexions- als auch die Handlungsebene einbezogen wird. 

Darüber hinaus bin ich häufig in familiengeführten Unternehmen tätig. Hier arbeite ich mit den Inhabern zusammen, auch mit der jüngeren Generation. Dabei kommt oft die Dynamik des Übergangs von einer Generation zur nächsten zum Tragen. Meine Aufgabe besteht dann darin, einen Prozess zu moderieren, in dem der Senior gewürdigt wird, der Junior aber auch einen guten Platz findet, um gestalten zu können. Und natürlich muss gewährleistet sein, dass das Unternehmen mit der neuen Führung weiterhin erfolgreich sein kann. Das ist sehr anspruchsvoll und bereitet mir viel Freude. Momentan habe ich dabei einen Strukturvorteil, für den ich gar nichts kann: Altersmäßig bilde ich ein Bindeglied zwischen den Generationen, was eine spannende Rolle ist.

Welche Bedeutung hat das Thema Burnout-Prävention im mittleren Management?

Aus Studien wissen wir, dass das mittlere Management das am stärksten von Burnout betroffene Klientel ist. Da Druck und die Empfindung, über wenig Freiheitsgrade zu verfügen, dabei zentral sind, ist es im Coaching mein Kernziel, Handlungsspielräume aufzudecken und zu erweitern. Ein Klient sagte mir: „Ich fahre jeden Sonntag heimlich ins Büro, denn ich kriege die Arbeit sonst nicht mehr geregelt.“ Von zentraler Relevanz ist gar nicht die Frage, ob er sonntags arbeitet oder nicht. Aufhorchen lässt, dass er es heimlich macht und sich dafür schämt. Wenn jemand sagt, er erkenne überhaupt keine Spielräume mehr, dann werde ich hellhörig, denn dies ist ein Indikator für Burnout. Ich biete dann eine Rückspiegelung an und frage, was der Klient dazu empfindet.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat im Mai beschlossen, Burnout zukünftig als „Phänomen in der Arbeitswelt“ zu definieren. Es resultiere aus unverarbeitetem Stress am Arbeitsplatz. Deckt sich dies mit Ihren Erfahrungen?

Vor zehn Jahren war Burnout ein Modewort. Burnout ist ein zunehmend bedeutsames Thema, das ernst genommen werden muss. Das kann ich aus meiner eigenen Praxis heraus sagen. Ich erlebe eine wachsende Zahl Betroffener und es kommt auch immer häufiger vor, dass Personen den Begriff zur Beschreibung ihres eigenen Zustands verwenden. Ich arbeite dann mit diagnostischen Mitteln, um die Einschätzung zu validieren. Tatsächlich steckt dahinter oft mehr als ein subjektives Empfinden, nämlich eine Phänomenologie. Insoweit teile ich die Auffassung der WHO. Die Menschen sind z.B. unkonzentrierter und weisen – deutlich messbar – Stresshormone auf. Ich begleitete einen Klienten, der richtigen Ärger mit seinem Arbeitgeber hatte. Er ist zum Job nicht erschienen, ohne sich krankzumelden. Warum? Er schaffte es nicht mehr, seinen Arm zu heben, das Telefon zu nehmen und anzurufen. Sein Körper hat ihm das sehr deutliche Signal gegeben: Du musst jetzt in den Off-Zustand gehen. Als Coach finde ich es wichtig, gegebenenfalls auch medizinische Professionen zu Rate zu ziehen bzw. dies zu empfehlen, z.B. beim Thema körperlicher Grenzen.

Greift der ausschließliche Fokus auf die Arbeitswelt beim Thema Burnout nicht zu kurz?

Wenn ich Klienten frage, woraus ihre Belastung resultiert, dann nennen sie häufig als ersten Faktor die Arbeit. Im Gespräch stellt sich dann nicht selten heraus, dass sich dieselben schädlichen Muster, die sie im Job praktizieren, auch im Privatleben fortsetzen. Der reine Fokus auf die Arbeitswelt greift daher in der Tat zu kurz. Es ist ohnehin Aufgabe eines professionellen Coachs, nicht nur den Beruf eines Klienten, sondern den Gesamtkontext zu betrachten. Aber die Ansprüche, die insbesondere an das mittlere Management gestellt werden, sind teilweise unglaublich hoch. Und machen wir uns nichts vor: Durch die modernen Medien erleben wir zusätzlich eine Entgrenzung von Arbeit. Das Produktionsmittel mit nach Hause zu nehmen, war früher nicht möglich. Ich behaupte, 80 Prozent meiner Klienten – das ist ein Daumenwert – arbeiten am Wochenende. Ich sage nicht, es sei schlecht, viel zu arbeiten. Die Frage ist aber: Gestalte ich das oder werde ich davon gestaltet? Wenn ich etwas gestalte, kann ich keinen Burnout entwickeln. Wenn ich aber das Empfinden habe, nicht anders zu können, und die Organisation womöglich noch zynischen Druck ausübt, dann entstehen Zustände, die Betroffene in den – wie ich ihn nenne – inneren Off-Modus schalten lassen. Es geht um Selbstwirksamkeit.

Sie bezeichnen Ihr Vorgehen im Coaching als Integration von Prozess- und Expertenberatung. Wie muss man sich das vorstellen?

In der Coaching-Szene wird das Thema ja munter diskutiert: von der Sichtweise, Coaching sei ausschließlich Prozessberatung, bis zu der Auffassung, es könne zu einem gewissen Anteil auch Expertenberatung umfassen. Ich verbinde beides ganz bewusst und das hat sich in meiner Praxis bewährt. Der primäre Anteil meiner Coaching-Leistung besteht darin, eine Struktur und Methodik bereitzustellen, die darauf abzielt, Selbstreflexion und Selbstzugänge zu ermöglichen und zu unterstützen. Ergänzend fließen Anteile in das Coaching ein, bei denen ich meine eigene Sichtweise und Erfahrung oder auch Studienergebnisse zu bestimmten Fragestellungen anbiete. Dies mache ich aber immer mit der Haltung, nicht der lehrende Experte zu sein, sondern eine neue Reflexionsfläche zu schaffen, damit der Klient auf ein höheres Problemlösungslevel kommt. 

Ich bin mir sehr bewusst, dass dieses Design das Risiko beinhaltet, in die Dozentenrolle abzugleiten. Die Gefahr daran ist, dass Klienten genau das lieben und fast immer fragen: „Was ist denn Ihre Expertenmeinung dazu?“ Als Coach muss ich sehr genau reflektieren, wann ich einer Verlockung unterliege und wann es sich wirklich um eine zieldienliche Intervention handelt. In meiner eigenen Supervision prüfe ich sehr genau, wann ich welche Anteile aktiviert habe und ob dies meinem Mantra, den Klienten bei der eigenen Selbstorganisation, Selbstreferenz und Problemlösungsfähigkeit weiterzuhelfen, entsprach. Ich bin nicht der Problemlöser von außen, denn dies ermöglicht immer nur situative Lösungen. Mein Ziel ist es, dass ein Klient im Coaching nicht nur sein Ziel erreicht, sondern etwas über sich lernt, das er auf andere Situationen übertragen kann. Das macht für mich einen wirklich gelungenen Coaching-Prozess aus. 

Ist das Einbringen eigener Sichtweisen Teil der Vorgehensweise, die Sie als „Trüffelschweinprinzip“ bezeichnen?

(lacht) Ja. Das Prinzip besteht darin, Ressourcen offenzulegen, die unter der Oberfläche liegen. Ein Beispiel: Ich habe momentan einen Klienten, der seine berufliche Rolle sehr stark von der privaten trennt. Er verhält sich im Beruf sehr zielorientiert, ich würde sogar sagen: etwas starr. Privat würde ich ihn als sehr engagiert, liebevoll und eher weich bezeichnen. Als ich den Klienten fragte, wie er privat ist, aktivierte er eine ganz andere Gestik und Art des Redens – alleine durch die Vorstellung, in diesem Moment privat zu sein und Mensch sein zu dürfen. Vor dem Coaching hatte er sich verboten, Anteile der Privatperson in die Berufsrolle zu übernehmen. Meine erste Hypothese bestand darin, dass es seiner Mitarbeiterführung zugutekäme, wenn seine weiche Seite etwas sichtbarer würde. Die Frage war, welche Türen dadurch aufgehen würden. Ich habe also bewusst eine These eingebracht und mit dem Klienten überprüft, ob das eine Ressource sein könnte.

© Foto: Oliver Pracht

Im Coaching arbeiten Sie auch mit Persönlichkeitsprofilen. Weshalb?

Die Neugier auf eigene persönliche Muster bzw. das Interesse daran, was die eigene Person im Kern auszeichnet, ist bei vielen Klienten groß. Die Arbeit mit Persönlichkeitsprofilen hat im Coaching den Reiz, dass jemand einen schnelleren Zugang zu den Dingen bekommt. Coaching-Prozesse werden dadurch effizienter. Bei der Auswahl der Instrumente achte ich auf wissenschaftliche Fundierung und darauf, dass sie möglichst differenziert sind. Unabhängig davon, wie differenziert ein Instrument ist, handelt es sich bei den Ergebnissen aber immer um eine Clusterung. Es kann also nicht darum gehen, zu sagen: So bin ich. Maximal ist die Feststellung passend: Ein Teil von mir hat diese oder jene Präferenz, z.B. Intro- oder Extraversion. Jemand, der eine introvertierte Präferenz hat, kann lernen, seine extravertierte Seite besser anzuspielen, wenn er sie versteht. D.h.: Auch eine Person, die ihrer Grundtypologie nach eher introvertiert ist, kann auf Bühnen stehen oder größere Gruppen leiten. Es wird sie aber womöglich stärker anstrengen. Das ist die Beschreibungsebene. Ich halte es hingegen für falsch, wenn Labels eingesetzt werden wie: Du bist ein Harmoniemensch. Nein! Einem Anteil der Person ist Harmonie bedeutsam und es stellt sich gegebenenfalls die Frage, wie eine Führungskraft damit umgehen kann, wenn sie z.B. einen Mitarbeiter kritisieren muss. So können im Coaching interessante Pfade entstehen.

Können auch Coaches davon profitieren, ein Persönlichkeitsprofil von sich zu erstellen?

Alle Instrumente, die ich in Coachings einsetze, habe ich im ersten Schritt an mir selbst kennengelernt, um herauszufinden, was mich ganz persönlich weiterbringen kann. Ich denke, dass das Wissen um eigene Präferenzen bzw. die eigene Typologie auch mit Blick auf die Selbststeuerung als Coach extrem hilfreich ist.

Sie haben zu dem Thema publiziert: Was sollten Personalverantwortliche über Coaching wissen?

Soll Coaching in einem Unternehmen etabliert werden, besteht der Best-Case darin, dies insbesondere zu Beginn ressourcenorientiert zu machen, nicht defizitorientiert. Das kann z.B. bedeuten, dass jemand befördert wird und aus diesem Grund Unterstützung von einem Coach erhält. Oder: Jener Vorstand, der ohnehin am besten performt, erhält zur weiteren Exzellenz-Unterstützung ein Coaching. Personalverantwortliche benötigen demnach Einführungskompetenz. Sie müssen zudem eine gute Coach-Auswahl umsetzen können. 

Ich empfehle jedem Personaler, sich einen u.a. in Bezug auf Geschlecht, Alter und kultureller Herkunft heterogenen Coaching-Pool aufzubauen. Diversität ist wichtig, um Unterschiedlichkeit in der Führungskräfteentwicklung anbieten zu können. Ich sehe darin ein bedeutendes Zukunftsthema, will man Komplexität und Globalisierung gerecht werden. 

Die Coaches sollten zudem gewissen Gütemaßstäben entsprechen. Ein weiteres Feld, das für Personaler relevant ist, ist die Evaluationskompetenz. Einige wählen ihre Coaches zwar gut aus, machen dann aber den Fehler, sie zu stark alleine zu lassen. Coaching ist natürlich eine diskrete Dienstleistung. Die Inhalte bleiben zwischen Coach und Klient, der Prozess aber nicht. Wie zufrieden ist der Klient? Welche Ableitungen kann man zur Optimierung des Prozesses vornehmen? Solchen Fragen nachzugehen, würde ich immer anregen. 

Und: Ich bin ein großer Verfechter von internem Coaching als Ergänzung zu externem. Ich erlebe, dass internes Coaching gerade in Projekten oder Situationen, in denen der Coach kurzfristig als Spiegelungspartner gefragt ist, auf hohe Akzeptanz trifft. Personalverantwortliche sollten aber wissen: Wenn es um vertrauliche Inhalte und übergeordnete Reflexionsangebote geht, bietet sich eher externes Coaching an. Eine solche Entscheidung sinnvoll treffen zu können, gehört zur Steuerungskompetenz. Es muss Personalverantwortlichen gelingen, den Prozess zu gestalten, die Zuschreibung von absoluter Diskretion aber zugleich aufrechtzuerhalten. Wird etwa erlebt, dass vertrauliche Informationen in Personalakten auftauchen, ist ein Coaching-Programm tot.

Sind diese Kompetenzen aufseiten der Personaler denn auch vorhanden?

Meiner Erfahrung nach gibt es in vielen Unternehmen sehr gute Programme, in denen Coaching als Instrument positiver Kulturbildung zum Tragen kommt. Und das liegt natürlich auch an Personalern, die einen guten Blick für das Thema haben. Die Kompetenzen sind also durchaus vorhanden, bedürfen aus meiner Sicht aber grundsätzlich der Qualifizierung. Es gibt gute Weiterbildungen, die neben dem Verständnis, was Coaching ist und welchen Nutzen es haben kann, auch Struktur- und Prozesswissen berücksichtigen. Dadurch hat sich in den letzten Jahren einiges positiv bewegt. Ein Coaching-Programm zu verantworten, ohne eine entsprechende Weiterbildung absolviert zu haben, halte ich für kritisch, denn Strukturfehler können ein ganzes Programm gefährden.

Ihr Anspruch ist es nach eigener Aussage, „erfolgreiches Unternehmertum mit menschlichen Werten in Einklang zu bringen“. Woran würden Sie dies in der Praxis festmachen?

Der Grundgedanke klingt vielleicht etwas zu ethisch-moralisch, ist mir aber tatsächlich ein Anliegen: würdevolles Wirtschaften. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass ergebnisorientiertes Wirtschaften und ein würdevolles menschliches Miteinander sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern sich bedingen können. Wenn einseitig auf Rendite, Zielerreichung, Shareholder Value etc. geachtet wird, greift das auf lange Sicht zu kurz. 

Deshalb ist es mein Anspruch an mich selbst in meiner Unternehmerrolle, wirtschaftlich erfolgreich zu sein und zugleich ein Miteinander zu gestalten, in dem die einzelne Person als Mensch gewürdigt wird und sich stärkenorientiert einbringen kann. Menschen sind nach meiner Überzeugung zum Arbeiten geboren und Arbeit kann eines der besten Gesundheitselixiere sein. Wenn wir jedoch würdelos arbeiten, entwertet oder in kleinen Kästchen eingesperrt werden, macht uns dies krank, womit wir auch wieder beim Thema Burnout sind. 

Auch als Coach bin ich Teil eines wirtschaftlichen Systems und wenn ich mit Klienten über organisationale Veränderungen nachdenke, versuche ich, meine Haltung in die Reflexion einzubringen und dafür zu sensibilisieren. Dabei begebe ich mich nicht in die Rolle des Experten, der den Klienten einseitig die Welt erklären will. Wertfrei bin ich an dieser Stelle jedoch nicht mehr, was ich auch transparent mache. Viele Klienten beschäftigt ohnehin die Frage, wie ein gesundheitsförderliches und nachhaltiges Wirtschaften gelingen kann. Ein Grundsatz lautet: Man sollte nicht die Menschen an die Organisation anpassen, sondern die Organisation an die Menschen. Mir ist klar, dass das nicht immer möglich ist. Es funktioniert aber häufiger, als vermutet wird, wenn man die Menschen nach ihren Bedürfnissen fragt. Hier kommt sicherlich meine Prägung als Arbeits- und Organisationspsychologe zum Vorschein.

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