Portrait

Interview mit Maren Fischer-Epe

Wenn jemand sagt, das ist doch nicht Coaching, was Sie da machen, das lässt mich kalt. Aber wenn jemand sagt, das ist nicht koscher, das lässt mich gar nicht kalt.

Anfang der 90er-Jahre wollte sie ein Coaching-Zentrum gründen. Gezielt hatte sie dafür eine Runde interdisziplinär ausgerichteter Kollegen eingeladen, aber schnell eingesehen: Eine Coaching-Praxis, die ausschließlich Coaching anbietet, das macht keinen Sinn. Denn Coaching ist für sie immer nur ein – wenn auch wichtiges – Angebot im Konzert unterschiedlicher Maßnahmen der Personal- und Organisationsentwicklung.

18 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 2 | 2010 am 20.04.2010

Ein Gespräch mit Thomas Webers

Sie sind Bestsellerautorin. Sie haben ein Buch geschrieben, das seit Monaten auf Platz 1 der meistverkauften Coaching-Bücher bei Amazon-Deutschland rangiert. Womit erklären Sie sich den Erfolg Ihres Buchs?

Ich habe nicht geglaubt, dass das ein Bestseller werden wird. Ich habe das auch nicht als Marketingprojekt gestartet. Man berichtet mir allerdings, das Buch werde viel in Ausbildungen genutzt. Damit würde es für den Zweck rezipiert, für den ich es auch schreiben wollte: als ein Skript für die Ausbildung. Ursprünglich war es eine Auftragsarbeit. Ich hatte zusammen mit Professor Schulz von Thun circa acht Jahre an einer Didaktik für Ausbildungsbausteine zum Thema Coaching gestrickt. Dann fragte er mich, es war so Ende der 90er-Jahre, ob ich ein Buch daraus machen wollte.

Meine erste Antwort war: um Gottes Willen! Schreiben ist das Letzte, was ich möchte. Mich alleine ins Kämmerchen zurückzuziehen und etwas zu schreiben, was damit feststeht, auch fünf Jahre später noch, obwohl ich selbst vermutlich schon wieder ganz woanders bin, man mich aber genau daran misst, diese Vorstellung fand ich grausam. So habe ich das erst zwei Jahre später wieder aufgegriffen, als ich mich in einer persönlichen Situation wieder fand, wo das einen Sinn bekommen hat. Durch familiäre Belastungen und Krankheiten im Freundes- und Familienkreis, auch durch eine gewisse Reisemüdigkeit war ich gezwungen, etwas zu finden, was ich von zuhause aus machen konnte. Da ist mir das Buchprojekt wieder eingefallen und ich habe es als Chance aufgegriffen.

Ihr Buch ist im Jahr 2002 erschienen. Wolfgang Looss hatte hierzulande schon Anfang der 90-er Jahre „Unter vier Augen“ veröffentlicht, etliche andere Bücher waren auf dem Markt. Warum ein weiteres?

Das haben die Teilnehmer in meinen Ausbildungsseminaren auch gefragt: Es gab seinerzeit auf dem Markt vermutlich 190 Bücher zum Thema. Die Frage war völlig berechtigt. Deshalb habe ich mir überlegt, wenn es ein Buch von mir geben soll, dann eins, das ich bis dahin auf dem Buchmarkt vermisst hatte: Ein Buch mit einer einfachen Sprache, das einführt ins Thema, aber auch Fortgeschrittenen mittels strukturierter Reflexionshilfen noch Anregungen geben könnte. Und vor allem sollte es ein Buch sein, das in die Werkstatt gucken lässt. Die Leute sollten, das war mein Anspruch, eine Vorstellung davon bekommen, was ich tue und wie ich arbeite. Man sollte sich damit vorbereiten können auf die Seminare oder auch noch einmal nachlesen können. Das Buch sollte den roten Faden liefern.

Es gibt inzwischen ja auch hochwertig produzierte, professionell durchgestylte Marketingfibeln.

Genau das ist es nicht, im Gegenteil: Es ist billig, eigentlich viel zu billig, aber das ist unsere bewusst getroffene strategische Entscheidung. Wir wollten, dass es auch Studenten kaufen können. Dass es ein Format hat, das ich wirklich in die Tasche stecken kann. Es sollte ein Begleiter sein. Und ich glaube, das ist es geworden. Die Leser haben mein Buch auf dem Tisch liegen und schauen noch einmal hinein, bevor sie in eine Coaching-Sitzung gehen. Das sind meistens Leute, die nicht den ganzen Tag Coaching machen wie Psychotherapeuten, die eine Therapiestunde nach der anderen durchführen, sondern Leute, die Coaching als kreative Ergänzungskompetenz nutzen neben anderen Tätigkeiten wie Moderation von Organisationsentwicklungsprozessen. Oder die Coaching als Element in solche Prozesse einbauen, oder es kombinieren mit Training und anderen Maßnahmen der Personalentwicklung. Wenn dann eine konkrete Person zum Coaching anrückt, schauen sie in das Buch und lesen noch einmal die Systematik XY.

Eben sagten Sie, die Vorstellung, etwas festzuschreiben, sei schwer erträglich für Sie. Wie geht es Ihnen denn heute, wenn Sie noch einmal in Ihr Buch spicken?

Ich lese immer noch gerne drin. Was ich relevant finde, hat sich auch nicht wirklich verändert: Ein gutes Gespräch ist ein gutes Gespräch und bleibt ein gutes Gespräch. Wir können noch 700 neue Tools und Techniken erfinden, aber die Basics bleiben doch dieselben – wie man seit den 50er-Jahren weiß. Auch wenn ich das selbst erst in den 70er-Jahren gelernt habe

Was sind denn die „Basics“? 

Eine aufrechte Haltung, die Bereitschaft, mehrperspektivisch zu reflektieren, Methoden, Tools und Techniken so einzusetzen, dass es für den Anderen und für den Kontext passt, selbst überzeugt zu sein von den Interventionen, das ist wichtig.

Die humanistische Psychologie, die Schule von Schulz von Thun, ist Ihre Heimat?

Natürlich, da stehe ich voll hinter, auch, weil sie didaktisch einen hervorragenden Rahmen bietet. Das ist pragmatisch, damit können Leute etwas anfangen, das erreicht sie auch persönlich, weil es geronnene Erfahrung ist. Aber es weist auch einen kleinen Pferdefuß auf: Wir werden leichtfertig reduziert auf Kommunikationspsychologie.

Das Modell von den vier Seiten einer Nachricht lernen heute schon Schüler in der elften Klasse ...

Aber das Modell wird oft ziemlich unterschätzt! Ich hatte gerade wieder jemanden im Vorgespräch zur Ausbildung. Der sagte: Ich bin Profi. Ich habe Erfahrung im internationalen Management. Wenn ich mir ihr Curriculum ansehe, könnte ich da nicht gleich einsteigen in „Coaching-Kompetenz professionalisieren“?

Die vier Seiten einer Nachricht habe ich schon vor zwanzig Jahren gelehrt ... Das ist natürlich einerseits nicht unsere Vorstellung von Ausbildung, weil wir inzwischen keine Module mehr anbieten, sondern einen Prozess. Andererseits muss ich bei dem Kandidaten nur einmal ein bisschen nachfassen und fragen, was meinen Sie denn damit? Wie arbeiten Sie denn heute damit im Coaching? Und dann kommt eben nichts. Weil er es zwar einmal gelernt hat als eine neben hundert anderen Techniken, aber eigentlich weiß er nicht, was er alles damit anstellen kann. Er hat es nicht verinnerlicht, nicht integriert, er arbeitet nicht damit. Gerade die sogenannten Change-Manager dieser Welt könnten viel mehr vom Kommunikationsmodell profitieren als sie glauben.

Wenn Sie sagen, Sie werden reduziert auf Schulz von Thun, worauf beziehen Sie sich darüber hinaus?

Nun, ich habe Ausbildungen in Gestalttherapie und integrativer Therapie gemacht. In den 80er-Jahren habe ich mich gründlich familientherapeutisch ausbilden lassen. Ich weiß nicht, ob ich darüber hinaus neue Konzepte bringe. Aber ich glaube, das Buch schafft eine Verbindung zwischen wesentlichen Dingen wie einer systemischen Sichtweise, damit meine ich Mehrperspektivität, Rollenreflexivität, Konstruktivismus, eine intersubjektive Haltung, sowie der humanistischen Psychologie und der integrativen Therapie. Das Buch bringt nichts Neues, aber das Wesentliche auf den Punkt. Ich bin keine Pionierin, kein Guru, ich verknüpfe, ich schaffe einen dialogischen Rahmen.

Ist das Buch so etwas wie ein Fazit auf Ihrem Weg des Lernens?

Ich lege Rechenschaft ab, auf jeden Fall. Und so ist auch meine Beziehung zu Schulz von Thun entstanden.

Sie trafen auf ihn im Studium in Hamburg.

Aber da kamen wir nicht zusammen, da mochte ich ihn nicht. Mich hat lange Zeit anderes geprägt.

Aber Sie haben doch Psychologie studiert! 

Richtig, aber ursprünglich wollte ich Kunsterzieherin werden. Ich stamme aus einem Arzthaushalt. Meine beiden Eltern waren schwerstens berufstätig: mein Vater als Chirurg, meine Mutter als Kinderärztin. Sie haben sich scheiden lassen, da war ich dreizehn. Das war eine Zeit, wo das noch schwierig, wenn nicht gar eine Schande war. Hier die alte, hanseatisch-kaufmännische Tradition aufseiten meiner Mutter. Dort mein Vater, der sich als Arbeiterkind hoch gearbeitet hatte und unter anderem Sportarzt beim HSV war. Da waren Spannungen in meiner Familie, aber auch eine unglaubliche Bandbreite. Und ich als Kind versuchte selbstverständlich, diese Welten zusammenzubringen, versuchte zu übersetzen. Das ist mir bis heute geblieben. Ich bin angstfrei mit Hierarchien, finde aber auch den Ton, mich mit dem Fließbandarbeiter zu unterhalten.

Aber da hätten Sie doch sicher ebenfalls Ärztin werden sollen!

Das wollte mein Vater, aber mir lag das nicht. Kauffrau schloss sich auch aus, weil ich so schlecht in Mathe war. So wusste ich erst gar nicht, was ich machen sollte?

Was bleibt da? Lehrerin!

Genau! Da kennt man sich ja aus, wenn man frisch von der Schule kommt. Und da ging ja auch richtig die Post ab Anfang der 70er-Jahre. Erziehungswissenschaft war politisch, da wurde ständig gestreikt, die Professoren wurden provoziert. Das war spannend! Nur musste ich, weil ich Kunstpädagogik studieren wollte, eine Kunstmappe einreichen, das verzögerte die Sache. Stattdessen gab es einen Studienplatz für Sport. Also habe ich Sport und Germanistik studiert. Es war Sommer, mal gucken, dachte ich mir, Sport kann nicht schaden, für Kunst kann ich mich ja noch später bewerben. Mal gucken, mal ausprobieren, das ist typisch für mich. Und es war klasse! Das Sportstudium war das, was am meisten Spaß gemacht hat. Es kamen die neuen Trainingsmethoden auf: Fosbury Flop im mentalen Training üben. Nicht gleich loslegen, erst einmal schauen, wie machen das gute Sportler, hinsetzen, entspannen, meditieren, einen eigenen inneren Film drehen – und dann erst machen. Und zu sehen: Das funktioniert!

Das war prägend für Sie?

Absolut. In den Körper verlegtes, emotional erlebtes und körperlich manifestiertes Probehandeln. Das findet sich heute noch in meinem Repertoire: Mit einem Klienten im probierenden Rollenspiel schwierige Situationen durchspielen. Innehalten, spüren, was geschieht im Körper, wie komme ich drüber weg, welche Sätze brauche ich jetzt, wieso kann ich die nicht sagen und warum sage ich immer die falschen? Und ich hatte auch viel Spaß an Tanz und Theaterpädagogik, also an all dem, was nicht dem Leistungssport entsprach. Bei Tanzseminaren, im darstellenden Spiel und Improvisationen ist mir aufgegangen: Wir lösen Sachen aus, die wir gar nicht in den Griff kriegen. Weil mit den Leuten emotional etwas passierte, was man nachbesprechen musste. So bin ich dann an die Gestalttherapeuten geraten und ans Psychodrama – auf der Suche nach Möglichkeiten, wie man all das verdauen kann.

Das war also noch im Sportstudium?

Ja, und so habe ich mich dann für einen vierwöchigen Gestalttherapie-Workshop mit Hilarion Pätzold in Jugoslawien angemeldet. Wieder typisch für mich: Ich fange nicht einfach eine Ausbildung an, sondern gehe zunächst in ein Intensivseminar, um einmal zu prüfen, ob das etwas für mich ist. Viele gestandene Psychiater und Therapeuten mit viel Erfahrung gehörten zu den Teilnehmern und ich gehörte sicher zu den jüngsten. Viele prägende Kontakte sind da für mich entstanden. Ein älteres Ehepaar, beide Psychoanalytiker und Psychiater, gehörten dazu. Und die haben mich dann engagiert, mit ihren Patienten Wochenendseminare zu machen: Bewegungstraining, Theater, Rollenspiele, Improvisation.

Damit haben wir Themen, die in der regulären Gruppentherapie eine Rolle spielten, evoziert oder noch einmal verdichtet und in eine andere Verarbeitungsform gebracht. Das hat Spaß gemacht, hat mich fasziniert und zwar so sehr, dass ich dachte, das interessiert mich mehr als im klassischen Sinne zu unterrichten. Und so habe ich im Verlauf das Therapeutische wie ein Lehrling gelernt, habe in den wöchentlichen Gruppentherapien hospitiert, später assistiert, habe dann meine ersten Einzelgespräche mit dem Therapeuten zusammen, später alleine geführt. Ich bin sehr sorgsam da hinein begleitet worden, aber ich war kurz vor dem Lehrerexamen.

Dann sagten meine beiden, mich auch ein bisschen beelternden Therapeuten zu mir: Das ist halbseiden als Lehrerin, du bist begabt, mach das weiter, aber du musst noch ein anständiges Studium draufsetzen. So kam ich zur Psychologie. Aber nicht mit der Idee, breit zu studieren, sondern mit der Zielsetzung, schnell und pragmatisch einen Abschluss zu bekommen. Neben dem Studium habe ich schon gearbeitet und weitere therapeutische Ausbildungen gemacht.

Haben Sie sich dann als Psychotherapeutin niedergelassen?

Zunächst habe ich noch gedacht, Psychotherapie sei mein Feld. Ich wurde auch Lehrtherapeutin am Fritz-Perls-Institut. Dann bekam ich eine Stelle in einem Zentrum für Lebens- und Erziehungsberatung. Da habe ich aber schnell gemerkt, da saufe ich ab mit allem, was ich gelernt hatte. Die Klienten kamen mit ihrem Streit und Zank, waren massiv entwertend, oder es ging um Missbrauch, um Gewalt, es war einfach nur chaotisch. Ich brauchte andere Arbeitsmethoden. Die habe ich dann in der Familientherapie gefunden. Und schließlich habe ich auch noch eine Lehranalyse gemacht.

Sie haben sich ja ungeheuer breit methodisch aufgestellt. Das ist nicht jedermanns Sache. Hat das nicht auch jede Menge Kraft und Zeit gekostet?

So habe ich das überhaupt nicht erlebt: Es hat Spaß gemacht! Es war spannend und reines Lernen. Und ich habe ja mein Geld verdient in der Beratungsstelle. Nach einigen Jahren habe ich meine Stelle dort auf die Hälfte reduziert und habe Ausbildungsgruppen geleitet. Nein, das war überhaupt nicht anstrengend, es hat einem tiefen Bedürfnis entsprochen. Denn ich bin ja in einer Familie aufgewachsen, die in der Reflexion auf sich selbst relativ sprachlos war. Die Beschäftigung mit Psychotherapie hat mir persönlich Welten eröffnet.

Wie kam es da, dass Sie quasi die Branche gewechselt haben, also in den Business-Kontext gegangen sind?

Es gab einen Auslöser und viele Gründe. Damals kam ein Manager in das Beratungsgespräch, der hatte zwei Söhne, die gingen über Tisch und Bänke. Ich habe die Familie beraten. Ihm stellte sich bald die spannende Frage, warum kann ich zuhause nicht Führungskraft sein? Wo er doch in seinem Job 400 Mitarbeiter steuert und erfolgreich dabei ist. Was mich natürlich dazu brachte, ihn zu fragen, wie er das denn im Unternehmen macht? So fragte ich die Kinder, doch die wussten auch nicht, was er da im Unternehmen eigentlich macht. Da haben wir überlegt, ob und wie er das, was er im Unternehmen macht, ein Stück weit auch in der Familie realisieren könnte.

Organisationsstrukturen, Meetings?

Wir haben das auf die Familie übertragen und festgestellt, er ist im Außendienst tätig. Die Geschäftsführerin ist immer alleine mit den beiden Hauptabteilungsleitern. Wir haben mit diesen Bildern gearbeitet und er hatte schnell richtig gute Ideen. Wir haben dann eine saubere Erwartungsklärung gemacht und die Rollen neu definiert. Und später fragte mich dieser Manager, ob ich so etwas nicht auch einmal mit seiner Führungsmannschaft machen könnte.

Sie kamen also wie die Jungfrau zum Kinde?

Ja, ein bisschen schon. Mir war der Unternehmenskontext ja völlig fremd. Aber der Manager beruhigte mich und meinte, ich müsse ja nicht sein Geschäft verstehen, er bräuchte nur eine Gesprächshilfe, denn er hätte die Vermutung, im Unternehmen sei er auch manchmal nicht ganz so klar, wie er sein sollte. In der Folge haben wir uns mit dem Team mehrmals getroffen und ich habe denen Feedback gegeben. Und mir hat das Spaß gemacht.

Nun waren Sie ja noch in der Beratungsstelle beschäftigt.

Aber da war ich nicht glücklich. Es war eins dieser nicht geleiteten, egalitären Alt-68er-Teams. Die Therapien dauerten lange, der Träger war großzügig. Was ich spannend gefunden hätte, nämlich mit den Kollegen interdisziplinär kritisch zu reflektieren, was tun wir hier, wollten die nicht. In der Supervision ging es immer nur um Teamquerelen, nicht um die Fälle. Mich hätte „schneller und effizienter“ interessiert. Das testeten wir damals im Ausbildungsbereich schon mit Kompakt-Curricula. Damit konnte ich in der Beratungsstelle aber nicht landen. Und zugleich erlebte ich am Fritz-Perls-Institut, dass Mitarbeiter aus den Unternehmen zur Ausbildung kamen und auch Therapeutenkollegen in die Unternehmen gingen. Da bin ich dann mal mitgelaufen. Aber mir war klar, das Feld müsste ich mir erst erarbeiten. Und so habe ich in der Beratungsstelle gekündigt. Zum Schrecken meines Mannes habe ich gesagt: Ich will jetzt noch einmal ein Jahr lernen. Ich möchte Unternehmen kennenlernen, um herauszufinden, ob das ein Arbeitsfeld werden könnte.

Ganz schön mutig! 

Ja, aber ich hatte ja auch noch die Ausbildungs-Curricula. In der freien Zeit bin ich dann hospitierend bei Gott und der Welt mitgelaufen. So habe ich ein Jahr lang die tollsten Sachen begleitet: OE-Projekte, ich bin mit Vorständen gereist, ich habe Betriebsratsgremien in Verhandlungen begleitet und so weiter. Das wurde immer über konkrete Personen vermittelt, oftmals über Frauen in meinen Gestalt-Curricula, deren Männer Manager waren. Ich habe das damals zunächst gar nicht realisiert: Aber die wurden anschließend meine Kunden.

Und schon befanden Sie sich mitten im Geschäft. 

Und es folgten fünfzehn anstrengende Jahre Arbeit in den unterschiedlichsten Branchen. Ich habe mich einem Team von Beratern angeschlossen und habe unterwegs und auch von meinem Kollegen viel gelernt.

Lassen Sie uns jetzt doch einmal über Coaching sprechen. Wann und wie wurde das Thema für Sie virulent?

Einzelne begleiten, das fiel mir natürlicherweise zu, ich war ja die Psychologin. Das war der Mehrwert, den ich im Team der Organisationsentwickler leisten konnte. Trotz sauber moderierter Workshops passierte Veränderung oft nicht. Mithilfe von Coaching bekam das Veränderungsmanagement eine andere Nachhaltigkeit. Coaching hatte aber immer noch einen leicht elitären Touch. Dann spürten wir, dass der Hunger in den Unternehmen rund um das Thema „Führungskraft als Coach“ aufkam. Damit haben wir uns natürlich befasst, wenn wir es auch schnell in Richtung „Führungskraft als Personalentwickler“ umdefiniert haben. So habe ich mich darum gekümmert, das etwas didaktisch gezielter aufzubauen – und kam zu Schulz von Thun ...

... die Auflösung: Der Kreis schließt sich.

Was Schulz von Thun schafft, ist, auf sehr einfache und emotional einprägsame Weise die Verhaltenswelt, die sogenannten weichen Faktoren, besprechbar zu machen und auf den Punkt zu bringen. Er erreicht damit auch die kopfigen Ingenieure und die Manager, die auf ganz anderen Ebenen schweben. Deshalb habe ich ihn angesprochen und wir haben begonnen, uns austauschen. Wir haben meine Coaching-Praxis reflektiert. Das führte dann zu ersten Veröffentlichungen in den 90er-Jahren, aber auch zur Entwicklung unserer Coaching-Curricula. Ich habe die Sachen ja aus der Praxis heraus entwickelt und in meiner eigenen Sprache beschrieben.

Hier könnte sich ja Dissens auftun: Hier Sie mit ihrem induktiven Ansatz, wenn auch breit theoretisch fundiert, aber kompromisslos pragmatisch. Dort die Vertreter der „reinen Lehre“. Nehmen wir einmal einen solchen Punkt wie „verordnetes Coaching“. Sie haben das Thema ja Ende letzten Jahres selbst in einem Beitrag für „wirtschaft+weiterbildung“ thematisiert und geschlussfolgert: Das geht ...

Es ist Praxis in Unternehmen, dass Mitarbeiter an Pflichtseminaren teilnehmen und Klienten von ihren Führungskräften oder der Personalentwicklung ins Coaching „geschickt“ werden. Und auch dann, wenn das Coaching nicht offiziell verordnet, sondern vielleicht nur empfohlen wurde, empfinden die Betreffenden oft, dass sie nicht wirklich eine Wahl haben. Dennoch können intensive und produktive Coaching-Prozesse daraus erwachsen. Die eigenständige, freiwillige Entscheidung spielt für mich zu Beginn des Coaching eine untergeordnete Rolle. Es gibt ja eine große Tradition verordneter Lernprozesse.

Viele von uns sind mehr oder weniger unfreiwillig zur Schule gegangen. Es gibt auch eine lange Tradition verordneter Supervision. Viele soziale Einrichtungen erwarten, dass alle Mitarbeiter an der Supervision teilnehmen, auch wenn Einzelne das eigentlich nicht wollen. Oder denken Sie an verordnete Therapieprozesse in der Suchttherapie. Hier können die Patienten wählen zwischen Knast und Therapie. Allzu freiwillig ist diese Entscheidung nicht – und doch sind in allen Kontexten produktive Lern- und Entwicklungsprozesse möglich, wenn man das denn transparent macht.

Vielleicht ist das ja eine andere Arena, ob man sich mit den Kollegen und der Scientific Community streitet oder mit seinen Auftraggebern?

Das ist etwas dran. Ich bin, abgesehen von meinem Buch, früher kaum öffentlich aufgetreten, habe mich nicht verbandlich engagiert oder eingemischt. Das ändert sich jetzt. Aber ich habe mich mit meinen Auftraggebern gestritten, darüber, ob etwas so geht, wie sie es sich vorgestellt hatten. Ich habe auch etliche verloren dabei. Aber andere auch langfristig gewonnen, weil ich eine klare Position vertreten habe. Ich habe Aufträge abgelehnt, wenn ich mich nicht kompetent genug gefühlt habe. Von anderen weiß ich, dass sie nie Nein gesagt haben.

Ist das für Sie jetzt eine neue Phase, die Auseinandersetzung mit Kollegen in einem Verband zu suchen?

Ja. Ich bin an dem Punkt, mit Abstand auf die Dinge zu gucken, und versuche mal wieder etwas Neues. Wenn das so Runden der Selbstbeweihräucherung werden, bin ich da schnell wieder weg. Zum Glück habe ich von unseren Regionaltreffen bislang nicht diesen Eindruck. Aber es gibt ja so Leute, die schwärmen davon, sie würden nur Top-Executive-Coaching machen. Ich arbeite ja auch mit Vorständen.

Aber unter Vorständen gibt es auch viele Narzissten. Mit denen zu arbeiten, ist auch sehr anstrengend. Oftmals finde ich es aber viel sinnstiftender, einen Manager im Mittelbau zu helfen – und seinem Team damit gleich mit. Wir setzen in unserem Team eher auf solides Arbeiten und darauf, weiter empfohlen zu werden. Die Leute in Führungsspitzen, mit denen ich arbeite, die müssen auch ein bisschen von dem wollen, was mir wichtig ist. Die müssen meine Ehrlichkeit und mein klares Feedback schätzen, weil Sie andererseits wissen, ich verkaufe ihnen nichts – und ich gehe nach getaner Arbeit auch wieder. Ihr Coaching-Magazin ist ja chic gemacht und edel gestylt, das ist ok, aber so sind wir Coachs eben nicht nur. Ich werde immer etwas unordentlich aussehen und sein. Und ich glaube auch nicht, dass es die einzig wahre Art gibt, Coaching zu praktizieren.

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