Nachruf auf Prof. Dr. Dr. Siegfried J. Schmidt

10.04.2025

Am 03.03.2025 ist Prof. Dr. Dr. Siegfried J. Schmidt nach langer schwerer Krankheit verstorben. Ein Nachruf von Dr. Walter Schwertl.

Wir haben einen großen Geisteswissenschaftler, Philosophen und Künstler verloren. Mein geistiger Mentor, Diskurspartner für philosophische und literarische Fragen und enger Freund wird mir und anderen Menschen fehlen. Sein Werk zu beurteilen, würde mich, den Praktiker, überfordern. Ich habe mich für eine Erzählung entschieden.

Geboren 1940 in Jülich, flüchtete die Familie vor immer neuen Bombenangriffen und Kriegszerstörungen letztlich nach Grafendorf in Kärnten auf den großväterlichen Bauernhof. Österreich erfand sich nach Kriegsende neu, die Alpenrepublik war jetzt ein Opfer des Naziregimes. Familie Schmidt, nun Reichsdeutsche, wurde ausgewiesen und in verdreckten Viehwaggons abtransportiert. Zielort: Ruhrgebiet. Hunger und Chaos gab es als Zugabe. Der Weg zum hochdekorierten Geisteswissenschaftler war weit.

Schmidts Credo war: Alles ist einstweilig und nur die Veränderung ist stabil. Während der Mühen des zweiten Bildungsweges träumte ich davon, einen Hochschullehrer zu finden, der mich das Denken lehrte. Obwohl ich nie bei ihm studierte, habe ich ihn gefunden. Schmidt war mir ein Mentor im besten Sinne. Und er hat mich immer ermutigt, zu schreiben. Als ich ihm die Idee vortrug, einen anderen Jedermann mit anderem Ausgang zu schreiben, meinte er: „Ja, das wäre ein großes literarisches Projekt, aber bedenke, Hugo von Hofmannsthal war nicht irgendwer.“ Ich hatte verstanden.

Beide liebten wir die Berge. Die Auseinandersetzung mit der Natur hat uns Heraklit sinnlich erfahren lassen. Jeder Gletscher ist jedes Jahr anders. Jetzt kann er seinen geliebten italienischen Berg, den Latemar, nicht mehr besteigen. Er war immer ein Wanderer zwischen Welten: der Welt der geistigen Elite, einer bäuerlichen und – als ob dies nicht reichen würde – einer künstlerischen Welt. Er schuf experimentelle Dichtungen, Poesien und Grafiken. Seine Gedichte sind ein großes Geschenk.

Schmidt war ein sehr bescheidener Mensch. Als ihm die Ehrendoktorwürde der Universität Klagenfurt verliehen wurde, war es ihm wichtig, von seiner betagten Tante zu erzählen: „Siegfried, du hast mir ja nie erzählt, dass du ein Büchlein geschrieben hast.“ Es waren 800 Publikationen in zwanzig Sprachen!  

Von seiner Reise in die Namib-Wüste brachte er das Manuskript für „Geschichten und Diskurse“ mit. Das Gerede über Konstruktionen, wir nannten es Vulgärkonstruktivimus, wurde ihm zu viel. Bevor etwas zum Dogma wurde, flüchtete er nach vorne. Nichts hat Bestand. Ich will an einem Punkt widersprechen. Das, was ich von ihm gelernt habe, bleibt mir.

In allen relevanten Publikationen ist von dem Beobachter die Rede. Ist das eine Theoriefiktion? Wie hilft das dem Praktiker? Er hat es wunderbar erklärt. Alle am Coaching-Prozess Beteiligten – insbesondere Coach, Klient(en) – konstruieren als Beobachter der Interaktion die im Prozess gültigen Wahrheiten.

Jede Erkenntnis und damit Wirklichkeiten sind abhängig von Bedingungen und Voraussetzungen. Dies knüpft an Gregory Batesons Kontext an.
Kontextunabhängige Wahrheiten? Ade! Wissenschaft wird nicht in Abrede gestellt. Damit produzierte Wahrheiten sind lokal und zeitbedingt. Konstruktivismus ist nur eine mögliche Sicht der Welt. Coaches sind immer von ihrer eigenen Grandiosität bedroht. Der Konstruktivismus relativiert die Expertenrolle und macht demütig.  

Es geht um die Aufhebung der Herrschaft über andere Personen. Da haben wir noch viel zu tun! Ein ganzes Beraterleben hat mich die Frage umgetrieben: Wie können wir den Kunden helfen, ihre Lösungen zu finden, ohne Herrschaft auszuüben? Ich weiß jetzt, wo ich suchen kann. Nämlich bei Kontingenz beachten, Geschichten erzählen und mit Kunden Diskurse führen. Irgendwo habe ich gelesen, dass es die Frage sei, ob man Spuren hinterlässt, wenn der Vorhang gefallen ist. Bei mir hast du tiefe Spuren hinterlassen. Danke, Siegfried!

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