Beruf Coach

Soziale Kompetenz im Coaching

4 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 09 | 2001

Der Begriff der "sozialen Kompetenz" zählt zu den beliebten Mythen der Neuzeit, über die fast jeder redet, ohne zu wissen, worum es eigentlich geht. Denn was ist soziale Kompetenz eigentlich? Auf diese Frage bekommt man meistens Antworten der Art "Gut mit anderen Menschen umgehen können" oder "Andere Menschen besser verstehen können". Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass niemand eine wirklich genaue Vorstellung von sozialer Kompetenz hat.Auch die Sozialwissenschaften bieten eine Fülle unterschiedlicher Definitionen. Da mag es nicht wundern, dass soziale Kompetenzen bzw. deren Mangel für die Erklärung nahezu aller Probleme herhalten dürfen: Ärger mit dem Chef? Erfolglose Verhandlungsgespräche geführt? Klienten nicht überzeugt? Streit mit dem Ehepartner? Unerzogene Nachbarkinder? Alles nur ein Mangel an sozialer Kompetenz...  

Eine praxistaugliche Vorstellung von sozialer Kompetenz hat mein Kollege Andreas Steinhübel entwickelt. Für ihn wird soziale Kompetenz durch fünf Faktoren bestimmt: "Selbstbewusstsein", "Einfühlungsvermögen", "Kommunikationsfähigkeit", "Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit" und "Konfliktfähigkeit".  

- Selbstbewusstsein bedeutet nicht das uns allen nur zu gut bekannte Verhalten eines selbstverliebten Managers, der sich selbst für den Größten hält. Mit Selbstbewusstsein ist ein "sich-selbst-bewusst-sein" im Sinne von Selbstreflexionsvermögen gemeint. Personen die in diesem Sinne selbstbewusst sind, können ihre Stärken und Schwächen realistisch einschätzen. Sie sind nicht überkritisch, neigen aber auch nicht zur "Schönfärberei".  

- Einfühlungsvermögen zu besitzen heißt, sich in die Situation anderer Personen hineinversetzen zu können und sie in ihrem Denken und Handeln zu verstehen. Es bedeutet aber nicht, die eigene Meinung nach belieben zu ändern oder sich bei anderen Menschen einzuschmeicheln.  

- Kommunikationsfähigkeit umfasst die Kenntnisse der verbalen und nonverbalen Kommunikation. Zur profunden Interpretation der Kommunikation eines Gegenübers bedarf es eines umfassenden Wissens und Erfahrung. Der Umgang mit Missverständnissen, Problemen und verdeckten Motiven, der Sach-, Beziehungs-, Selbstoffenbarungs- und Appell-Aspekte (nach Friedemann Schulz von Thun) gehört ebenfalls dazu. 

- Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit: Wer nicht im Team arbeiten kann, ist bestenfalls eingeschränkt sozial kompetent. Teams erfordern immer Kompromisse und einen gezielten Willen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Ein Team muss "an einem Strick ziehen" - und zwar in die selbe Richtung.  

- Konfliktfähigkeit bedeutet zunächst, Konflikte überhaupt wahrzunehmen und sich ihnen zu stellen und sie offen zu thematisieren, statt sie zu ignorieren. Zur Konfliktfähigkeit gehört es zudem, bei Problemen zwischen Parteien neutral vermitteln zu können - oder zu erkennen, dass man nicht neutral ist und auf einen Berater verweisen muss.  

Diese fünf Faktoren der sozialen Kompetenz sind im Coaching genauso wichtig wie z.B. im Führungsalltag. Idealerweise kann der sozial kompetente Coach durch sein Verhalten auch eine Vorbildfunktion ausfüllen. Der Vorteil dieser Definition sozialer Kompetenz liegt in seiner (Be-)Greifbarkeit und - innerhalb der üblichen Grenzen - in der Trainierbarkeit dieser Fähigkeiten.  

Natürlich wird ein Coach durchaus mit Führungskräften konfrontiert, denen sozial kompetentes Verhalten schwer fällt und die es als "soziales Klimbim" abtun (gerade dies hat einen gewissen diagnostischen Wert). Doch mit Fachwissen alleine kann keine Führungskraft, die diese Bezeichnung verdient, Menschen zu einer effektiven Zusammenarbeit bringen. Wer das nicht einsehen will, wird Schwierigkeiten bekommen - mit der Karriere und/oder seinen Mitarbeitern.  

Fazit

Soziale Kompetenz ist sowohl für einen Coach als auch eine Führungskraft unerlässlich und kann sehr wohl fassbar und somit trainierbar gemacht werden. Dennoch sollte Coaching nicht mit Führung verwechselt werden.  

Kommentar

Ohne die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit sich selber kann keine soziale Kompetenz aufgebaut werden - eine Erfahrung, die viele rein fachlich orientierte Führungskräfte erst bitter lernen müssen. Soziale Kompetenz kann nicht in drei Wochenendseminaren erlernt werden, es ist eine Lebensaufgabe - aber eine die sich für den Betroffenen und seine Umgebung lohnt.

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