Die mangelnde Professionalisierung der Coaching-Branche insgesamt ist ein Thema, das mittlerweile seit Jahrzehnten diskutiert und angeprangert wird – auch im Coaching-Magazin. Schließlich liegt hierin auch die grundsätzliche Frage begründet, was „gutes“ von „schlechtem“ Coaching unterscheidet und welche der diversen Ausprägungen überhaupt als „Business-Coaching“ zu bezeichnen sind. Man denke hier nur an die Diskrepanz zwischen fundierten Coaching-Angeboten, die auf wissenschaftlichen Konzepten und jahrelanger Weiterbildung basieren, und zwielichtigen Angeboten, die irrwitzige Heils-, Glücks- und Erfolgsversprechen beinhalten. Kurz: Es ist kompliziert.
Wie es um die Professionalisierung im Coaching tatsächlich steht, beantwortet die diesjährige RAUEN Coaching-Marktanalyse 2024: Die befragten Coaches gaben auf einer Skala von 0 bis 100 Prozent an, wie sie den Professionalisierungsgrad der Coaching-Branche einschätzen. Aus ihren Angaben wurden Mittelwerte errechnet.
Coaching-Marktanalyse
Hier finden Interessierte den vollständigen Ergebnisberichte aller bisher durchgeführten RAUEN Coaching-Marktanalysen.
Das Ergebnis: Lediglich knapp 55 Prozent der Coaches betrachten die Branche als professionell (s. Abb.). Diese äußerst ernüchternde Einschätzung bleibt nahezu unverändert, gruppiert man die befragten Coaches nach Geschlecht und Erfahrung, wie die Abbildung zeigt.
Die Frage nach dem Professionalisierungsgrad geht Hand in Hand mit der Frage, wie man diesen erhöhen könnte. Ein oftmals vorgebrachter Weg ist die staatliche Anerkennung des Berufs Coach mit entsprechend definierten Zugangs- bzw. Ausbildungsvoraussetzungen.
Dies scheint unter Coaches auf sehr große Zustimmung zu stoßen. Insgesamt betrachtet stimmen im Mittel 81,54 Prozent dieser Idee zu. Allerdings wird das in dieser Höhe nicht von allen Coach-Gruppen geteilt. Insbesondere die männlichen Coaches mit 15 oder mehr Jahren Erfahrung äußern mit 73 Prozent die deutlich geringste Zustimmung, gefolgt von weiblichen Coaches mit viel Erfahrung, deren Wert von knapp über 80 Prozent allerdings nur leicht unter dem Gesamtwert liegt. Dagegen zeigen Coaches mit fünf oder weniger Jahren Erfahrung durchweg höhere Zustimmungswerte als die Erfahrenen – sie liegen zwischen 83 bis 85 Prozent. Man könnte hier von einem „Erfahrungsgefälle“ sprechen.
Eine mögliche Erklärung dieses Unterschieds könnte darin liegen, dass die am Anfang ihrer Coaching-Karriere stehenden Personen im Vergleich zu den längst etablierten Coaches größere Schwierigkeiten haben, im Markt ihre Professionalität auszudrücken. Letztere vermitteln ihre Professionalität beispielsweise schlicht aufgrund ihrer langjährigen und von Klientinnen und Klienten geschätzten – und in Form von Referenzen und Empfehlungen weitergetragenen – Erfahrung und Kompetenz im Markt.
Dieser Umstand dürfte sie von unseriösen und unprofessionellen Angeboten im Coaching-Markt klar trennen. Weniger erfahrene und v.a. etablierte Coaches müssen ihre Professionalität unweigerlich anders vermitteln. Allerdings zeigen die hohen Mittelwerte der Zustimmung zu dieser Aussage auch bei erfahrenen Coaches, dass auch sie sehr deutlich sehen, dass langjähriges Bestehen am Markt nicht zwingend mit Seriosität und Professionalität verbunden ist (s. Abbildung).
Doch wie sollte eine staatliche Anerkennung des Coach-Berufs erreicht werden? Eine naheliegende und vermutlich einfache Möglichkeit ist der erfolgreiche Abschluss einer entsprechend ausgelegten – und ebenfalls staatlich anerkannten bzw. kontrollierten – Coaching-Ausbildung.
Der Aussage, dass die Coaching-Ausbildung ausschließlich in staatlich anerkannten Coaching-Ausbildungsinstituten erfolgen sollte, stimmen im Mittel annährend 59 Prozent der Coaches zu (s. Abbildung). Auf noch größere Zustimmung, sprich fast 63 Prozent, trifft der Vorschlag, dass private Coaching-Ausbildungsinstitute staatlich kontrolliert werden sollten. Das ist letztlich eine zwangsläufige Forderung, setzt man den Abschluss einer anerkannten Ausbildung für den Berufseinstieg voraus: Das würde ein bestimmtes Niveau und eine vorabdefinierte Qualität der Ausbildung und v.a. deren Inhalte sichern. Unseriöse Anbieter hätten kaum eine Chance.
Allerdings wird auch hier das Erfahrungsgefälle sichtbar: Erfahrene Coaches stimmen diesen Aussagen in deutlich geringerem Maße zu als Coaches mit weniger Erfahrung. Dabei sind es wieder die männlichen Coaches mit 15 oder mehr Jahren Coaching-Erfahrung, die mit jeweils knapp 54 Prozent beiden Aussagen am skeptischsten gegenüberstehen. Dagegen signalisieren weibliche Coaches mit fünf oder weniger Jahren Coaching-Erfahrung mit grob 63 bzw. 66 Prozent die größte Zustimmung. Über die Beweggründe kann nur spekuliert werden.
Nur welche zuvor genannte „vorabdefinierte Qualität“ und welches „Niveau“ sind hier eigentlich gemeint? Wer definiert die Standards und was gilt als seriös? Die zahlreichen deutschen Coaching-Verbände haben sich jeweils dieser Aufgabe verschrieben, allerdings mit bisher überschaubarem Erfolg. Selbst der Versuch, die Verbände an einem Tisch zu versammeln und gemeinsame Standards und Richtlinien festzulegen, zeigt kaum Wirkung.
Das steht in krassem Gegensatz zum in der Erhebung deutlich geäußerten Ruf der Coaches nach einem aktiveren Bemühen der Coaching-Verbände um eine Professionalisierung des Berufs: Etwas über 77 Prozent aller Befragten teilen diese Aussage, selbst das zuvor beobachtete Erfahrungsgefälle fällt hier vergleichsweise gering aus (s. Abb.). Diese durchweg hohen Mittelwerte der Zustimmung könnten Coaching-Verbände durchaus als Appell verstehen, ihre Bemühungen hinsichtlich der Professionalisierung zu verstärken.
In der Coaching-Marktanalyse 2024 hatten die Befragten an dieser Stelle zudem die Möglichkeit, individuelle Vorschläge zur Professionalisierung frei zu formulieren. Das taten 107 von insgesamt 755 Personen, die diesen Fragenbereich der Marktanalyse beantwortet haben. Inhaltlich lassen sich die teils langen und ausführlichen Vorschläge auf einige wiederkehrende Argumente reduzieren, die häufigsten darunter sind: