Beruf Coach

Die Coaching-Beziehung

Mehr als eine Ratschlägerei?

4 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 08 | 2008

Neben vielen Modewellen, die in der Coaching-Branche zu beobachten sind, werden auch zunehmend Angebote von „Online-Coachings“ propagiert. Mit dem Hinweis, via Internet zeitlich als auch räumlich flexibel agieren zu können und online über eine Anonymität zu verfügen, die vorurteilsfreie Begegnung zulässt, wollen entsprechende Anbieter überzeugen. Neben finanziellen Vorteilen wird betont, dass die Fragen eines Coachs ja auch schriftlich gestellt werden können – und somit ein breites Methodenspektrum für das „E-Coaching“ zur Verfügung steht.

Isoliert betrachtet sind diese Argumente durchaus nachvollziehbar. Es fehlt dabei jedoch ein entscheidender Gedanke: Coaching ist ein interaktiver Beratungs- und Begleitungsprozess, der auf einer tragfähigen Beziehung basiert. Es wird keine unpersönliche Dienstleistung am Klienten vollzogen, sondern Coach und Klient sind gleichermaßen gefordert, um auf gleicher „Augenhöhe" zusammenzuarbeiten. Eine solche Zusammenarbeit erfordert Freiwilligkeit, Vertrauen und persönliche Akzeptanz, um auch schwierige Themen offen ansprechen zu können. Die Beziehung, auf der eine solche Zusammenarbeit basiert, benötigt ein Kennenlernen, schon um festzustellen, ob die „Chemie“ stimmt und die notwendige vertrauensvolle Basis überhaupt herstellbar ist.

Diese Zusammenarbeit ist von anderer Natur als eine Brieffreundschaft oder ein pures Stellen von Fragen in einem Online-Forum. Eine Coaching-Beziehung verlangt nach dem Aspekt des Unmittelbaren. Erst im persönlichen Kontakt erhält ein Coach die unmittelbare Rückmeldung über die Reaktion und das Verhalten des Klienten. Dies ist wichtig, um zu erkennen, was aktuell im Prozess geschieht, ob ein Klient betroffen ist oder gekränkt, sich ertappt fühlt, anfängt zu schwitzen, vielleicht plötzlich still wird, nachdenkt...

Entsprechendes gilt natürlich für den Coach: Auch der Klient kann direkt beobachten, wie der Coach reagiert, ob er belastbar ist, souverän bleiben kann, ob er gut vorbereitet ist uvm. Diese unmittelbare Interaktion ist es, die idealerweise Vertrauen herstellt und damit eine Basis für eine tragfeste Beziehung legt. Und eine solche Coaching-Beziehung ist erforderlich, wenn wirklich etwas verändert werden und das Coaching nicht nur Alibifunktionen erfüllen soll. Erst eine tragfähige Beziehung ermöglicht es, die Fragen zu klären, die ansonsten unausgesprochen bleiben. Oftmals handelt es sich hierbei um die Punkte, deren Bearbeitung einem „Gesichtsverlust" gleichkäme. Genau diese Stigmatisierung wird in einem guten Coaching aber verhindert. Daher kann an Themen gearbeitet werden, die oft jahrelang bzw. generell vernachlässigt oder verdrängt wurden und großes Optimierungspotenzial enthalten.

Da Klienten selbst nur benennen können, was ihnen zuvor auf- oder eingefallen ist, zugleich aber „blinde Flecken" häufig Anlässe für Coachings sind, braucht ein Coach mehr Informationen, als die Worte des Klienten und dessen Selbsteinschätzung. Natürlich kann ein geübter Coach durchaus auch online Fragen stellen, die zum Nachdenken anregen. Aber dafür braucht er Arbeitshypothesen – und die leitet man nicht nur aus übermittelten Sachinformationen, sondern zu einem großen Teil aus dem direkten Kontakt und den unmittelbaren Reaktionen des Klienten ab.

Es kommt z.B. nicht selten vor, dass ein Klient jede Menge Sachprobleme schildert, die Beziehungsebene dabei aber ausblendet. Und vermutlich wäre dies für manch einen sogar ein Argument, ein eher unpersönliches Online-Coaching zu erwägen – was aber letztlich eher Ausdruck des Problems als der Lösung ist.

Auch hier gilt: Ohne die Merkmale des Nonverbalen und die subtilen, aber diagnostisch wertvollen Signale der Kommunikation (z.B. eine zitternde Stimme, tiefes Atmen, hektisch werden; aber auch ruhiger werden, sich entspannen usw.) fehlt eine Menge an Informationen über die unmittelbaren Reaktionen eines Klienten. Online-Coachings können daher nicht als eigenständige Coaching-Varianten angesehen werden, sondern sind Hilfsformen des Coachings, die isoliert eingesetzt kein Coaching darstellen oder ersetzen können.

Videokonferenzsysteme wären noch am ehesten geeignet, ein Coaching-Setting nachbilden zu können. Neben den Kosten und der offenen Frage der Datensicherheit fehlt hier aber derzeit noch eine einheitliche technische Infrastruktur. Und nur wenige komplexe Probleme dürften sich per E-Mail aufarbeiten lassen. Bevor Sie ein entsprechendes kostenpflichtiges Angebot erwägen, investieren Sie besser in ein gutes Buch.

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