Würdigung von Edgar H. Schein

20.02.2023

Edgar „Ed“ Schein – Mitbegründer der Organisationsentwicklung – ist am 26. Januar 2023, kurz vor seinem 95. Geburtstag, in Palo Alto friedlich verstorben. Er hinterlässt ein eindrückliches Lebenswerk. Gerhard Fatzer vom Trias-Institut erinnert sich.

Edgar Schein auf der Trias-Konferenz

Edgar Schein auf der Trias-Konferenz, Foto: © Trias

Hätte es einen Nobelpreis für Management gegeben, Edgar H. Schein hätte ihn erhalten müssen. Er hat ein gewaltiges Lebenswerk hinterlassen, das auch für die Coaching-Community zentral ist und die Grundlagen von nachhaltiger Beratung und OE beschreibt. Es ist das umfassendste Gesamtwerk, das weltweit zu diesen Themen existiert.

Edgar Schein wurde am 5. März 1928 in Zürich geboren. Seine Eltern waren Physiker. Der Vater war ein in Ungarn geborener Jude und leitete Mitte der 30er-Jahre ein Physiklabor in Odessa. Aufgrund der sich anbahnenden stalinistischen Pogrome des sog. „Großen Terrors“ floh die Familie 1936 nach Prag und zog 1938 wieder zurück nach Zürich. Noch im selben Jahr emigrierte die Familie nach Chicago. So erlebte Schein als Kind eine Odyssee durch verschiedene Kulturen, Sprachregionen und Kontinente. Von daher waren ihm die Themen Kultur, Entwicklung und Veränderung auf den Leib geschrieben. Es ist ein Leichtes, aufzuzeigen, dass seine Kulturmodelle einen starken Bezug zu seinen Lebensthemen haben. Sehr schön geschildert sind diese in seiner Autobiographie „Becoming American“ (2016). Scheins Familiengeschichte wurde darüber hinaus von Daniel C. Schmid akribisch aufbereitet (siehe unser Buch „Kunst der Veränderung“, 2021).

Zunächst studierte Schein an der University of Chicago. Den Bachelor sowie Master of Arts im Fach Psychologie erlangte er an der Stanford University. Sein Doktorandenstudium in Sozialpsychologie absolvierte Schein an der Harvard University. Hier war die Begegnung mit Douglas McGregor entscheidend, der Dean der Sloan School am Massachusetts Institute of Technology wurde und Schein einlud, Ingenieuren Gruppendynamik und Sozialpsychologie zu unterrichten. Schein entwickelt gemeinsam in der Gruppe mit Richard Beckhard, Chris Argyris, Warren Bennis, Jack Gibb sowie Kenneth Benne Theorien zur Organisationsentwicklung (OE) und gilt daher als Mitbegründer der OE.

Die Themen, die Schein interessierten, waren vielfältig. Durch Gespräche mit Heimkehrern aus dem Koreakrieg entwickelt er z.B. seine berühmte Interviewtechnik des „Vorurteilslosen Befragens“ mit dem Ziel, den Interviewpartnern eine Hilfestellung zu bieten, Traumata zu verarbeiten. Die Vorgehensweise des „Vorurteilslosen Befragens“ wurde 1969 in der Prozessberatung zum ersten Mal als grundlegender Ansatz der Organisationsentwicklung beschrieben. 1985 erläuterte Schein in seinem Jahrhundertbuch „Unternehmenskultur“ die grundlegenden Modelle der Kultur von Organisationen und die damit verbundenen Grundannahmen. Diese basierten auf der Beobachtung, dass OE-Prozesse nicht nachhaltig sein können, solange die Kultur und ihre Grundannahmen nicht bewusstgemacht werden können. 1987 beschrieb Schein die Prozessberatung für Führungskräfte. Er stellte fest, dass die Dynamik der Prozessberater für die Führungskräfte genauso zentral ist wie interne Veränderungsagenten.

Schein entdeckte all seine Ansätze nicht im akademischen Elfenbeinturm, sondern stets innerhalb langfristiger Begleitprozesse als Organisationsentwickler. Zusammen mit seinem Sohn Peter Schein hat Ed Schein im Rahmen des gemeinsam gegründeten OCLI-Instituts in den drei Büchern „Humble Inquiry“ (2013), „Humble Consulting“ (2017) und „Humble Leadership“ (2018) eine zusammenhängende Grundlage der Organisationsentwicklung geschaffen.

Die Kooperationen des Trias-Instituts mit Ed und Peter Schein

Ich lernte Ed Schein 1982 das erste Mal kennen und begann mit ihm die Zusammenarbeit. Die Trias Community traf das erste Mal 1995 in einer Seminarreihe in Boston auf Ed. Danach war er immer wieder Keynote-Speaker unserer Trias-Konferenzen.

Zusammen mit Ed Schein waren und sind wir Herausgeber der Reihe „EHP-Organisation“ und der Zeitschrift „Profile“. Während der Corona-Pandemie waren Ed und Peter Schein regelmäßig in unseren Online-Konferenzen präsent und gaben zudem in unserer Trias-Masterklasse Einblicke in ihr umfangreiches Lebenswerk. Das Buch „Veränderung als Kunst“, bei dem Ed und Peter Schein als Mitherausgeber fungieren, ist im Druck und wird den Artikel „The Bad Hand-off“ von Ed und Peter Schein enthalten. Die letzte Publikation, die postum erscheinen wird.

Veranstaltungshinweise

Zu Ehren von Ed Schein plant das Trias-Institut am 6. Juni 2023 zusammen mit der Fachhochschule Wien eine Konferenz zum Thema „Leadership & Culture“. Der anschließende Workshop „Humble Leadership and Culture“ wird von Peter Schein (Online-Stream am Abend) und Trias geleitet und am 7. und 8. Juni 2023 stattfinden.

Im Herbst plant das Trias-Institut mit einem Partner eine Konferenz zu Ehren von Edgar Schein mit dem Titel „Führung und Kulturentwicklung: die Kunst der Veränderung“ (Edgar und Peter Scheins Gesamtwerk), auf der Peter Schein als Keynote Speaker live auftreten wird. Ort wird Zürich oder Berlin sein.

Edgar Schein und Gerhard Fatzer

Edgar Schein und Gerhard Fatzer, Foto: © Trias

Einige persönliche Erlebnisse mit Ed Schein

Nun, Ed Schein fiel immer durch seine Bescheidenheit, seinen Scharfsinn und seine Beobachtungsgabe auf. Immer, wenn er für eine unserer Konferenzen nach Zürich reiste, begannen wir mit einem Ritual aus seinen Jugendjahren: Wir gingen zur berühmten Confiserie Sprüngli an die Bahnhofstraße und tranken eine heiße Schokolade.

Im Trias-Team erinnert man sich auch gerne an die Rundgänge mit Ed Schein beim IBM Research Center, einem Forschungszentrum von IBM, das Nanotechnologie und Computer Science vorantreibt. Als „legendär“ behalten wir ein Kulturseminar in Erinnerung, das wir als kleine Gruppe in seinem schön eingerichteten Haus in Cambridge erleben konnten, wo wir, kurz nach dem Tod seiner geliebten Frau Mary, zusammen mit einer Haushälterin, am Mittag Sandwiches strichen und Kaffee machten. Am Abend führte uns Ed, es muss 2004 gewesen sein, in seinem Prius Hybrid zum besten Hummer-Restaurant Bostons. Ed war sozusagen unser Chauffeur. Zum Seminar saßen wir im Wohnzimmer der Familie Schein und der Hauskater strich um unsere Beine. (Gerhard Fatzer)

www.trias.ch
 

Lieber Edgar Schein

wir verneigen uns vor Dir und Deinem wunderbaren Werk, das auch für die Zukunft steht. Wir danken Dir für Dein offenes Herz, Dein vorurteilsloses Lernen und die wunderbare Wachsamkeit und Achtsamkeit. Wir führen Dein Werk zusammen mit Peter in die Zukunft.

Du hast Deine letzte Reise angetreten, wir grüßen Dich voller Dankbarkeit und Wertschätzung.

Trias Community
Gerhard, Sabina, Sylvia, Mouna
und auch Daniel C. Schmid, Wolfgang G. Weber
und alle Alumni

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