Zunahme der Arbeitsunfähigkeit durch psychische Belastungen

14.04.2010

Übersichtsstudie der Bundespsychotherapeutenkammer warnt und mahnt Verbesserungen an.

Deutsche Arbeitnehmer sind immer häufiger aufgrund von psychischen Erkrankungen arbeitsunfähig. Knapp elf Prozent aller Fehltage gingen 2008 auf psychische Erkrankungen zurück. Seit 1990 haben sich diese Krankschreibungen fast verdoppelt.

Psychische Erkrankungen verursachen überdurchschnittlich lange Fehlzeiten in den Betrieben: bei AOK-Versicherten durchschnittlich circa drei Wochen, bei DAK-Versicherten vier Wochen und bei BARMER-Versicherten sogar rund fünfeinhalb Wochen pro Krankschreibung. Dies ergibt eine Übersichtsstudie der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), die die Gesundheitsreporte der gesetzlichen Krankenkassen auswertet.

„Die ständig steigende Zahl der Tage, an denen Arbeitnehmer aufgrund psychischer Krankheiten arbeitsunfähig sind, belegt die tatsächliche Dimension psychischer Erkrankungen“ stellt BPtK-Präsident Prof. Dr. Rainer Richter fest. „Psychische Krankheiten wurden jahrzehntelang übersehen oder nicht richtig diagnostiziert. Die wachsende Zahl von Arbeitnehmern, die aufgrund einer seelischen Störung arbeitsunfähig sind, ist deshalb nicht überraschend.“ Die Zunahme ist aber auch eine Folge der steigenden psychomentalen Anforderungen in modernen Dienstleistungsgesellschaften.

Metaanalysen belegen, dass Erwerbstätige bei der Kombination aus hohen Anforderungen (z. B. Zeitdruck, Komplexität der Aufgaben, Verantwortung) und geringem Einfluss auf den Arbeitsprozess überdurchschnittlich häufig psychische Erkrankungen entwickeln. Weitere Studien zeigen eine Häufung psychosomatischer Beschwerden, wenn ein gravierendes Ungleichgewicht zwischen Einsatz im Beruf („Verausgabung“) und Entlohnung sowie Anerkennung (z. B. Gehalt, Wertschätzung der Person, Aufstiegschancen, Arbeitsplatzsicherheit) besteht. Neueste Studien weisen nach, dass eine hohe Arbeitsintensität (Zeitdruck, Störung des Arbeitsablaufs und wenig Möglichkeiten, Aufgaben an andere zu delegieren) das Risiko erhöht, an einer Depression zu erkranken.

Seelische Erkrankungen treten gehäuft in Dienstleistungsbranchen auf. Dagegen ist der Anteil der psychischen Erkrankungen am Krankenstand in klassischen Arbeiterberufen, wie beispielsweise in der Land- und Forstwirtschaft oder im Baugewerbe, ein Drittel bis um die Hälfte niedriger als im Durchschnitt aller Erwerbstätigen. Mehr noch als berufliche Belastungen führt jedoch der Verlust des Arbeitsplatzes zu psychischen Erkrankungen. Arbeitslose sind drei- bis viermal so häufig psychisch krank wie Erwerbstätige.

Insgesamt erkranken deutsche Arbeitnehmer am häufigsten an Depressionen. Sie verursachen deutlich längere Krankschreibungen als solche psychischen Erkrankungen, die z. B. durch belastende Lebensereignisse hervorgerufen werden ("Belastungsreaktionen oder Anpassungsstörungen"). Ein depressiv Erkrankter fehlt durchschnittlich 35 bis 50 Tage an seinem Arbeitsplatz. Die Behandlungskosten für depressive Störungen in Deutschland betrugen 2004 rund 4,3 Milliarden Euro, für einen depressiven Patienten jährlich durchschnittlich 4.000 Euro. Hinzu kommen indirekte Kosten, insbesondere die Ausgaben aufgrund von Arbeitsunfähigkeit (Lohnfortzahlung, Krankengeld) und vorzeitiger Berentung.

Depressionen sind trotz aller Diskussion in der Öffentlichkeit immer noch ein Tabu. Symptom dafür ist, dass sich Menschen lieber wegen eines Burnout als wegen einer Depression behandeln lassen. Für eine wirksame Therapie einer Depression ist es aber entscheidend, dass sie frühzeitig erkannt wird und Hürden eine professionelle Behandlung nicht verhindern.

Eine wirksame Prävention psychischer Krankheiten erfordert aus Sicht von BPtK-Präsident Richter zwei Dinge: Die Erkenntnisse zur humaneren Arbeitsgestaltung in der industriellen Massenfertigung sind bisher im Dienstleistungssektor unzureichend angekommen. „Die Arbeitsbedingungen müssen auch bei Dienstleistungen so gestaltet werden, dass Arbeitsstakkato und Überforderung vermieden werden. Ziel ist es außerdem, dass der Einzelne mehr Kontrolle über seine Arbeitsabläufe zurückgewinnt.“ Betriebliche Gesundheitsförderung sollte darüber hinaus Arbeitnehmern vermehrt gezielte Resilienztrainings anbieten, die die psychische Widerstandkraft stärken und mit denen die gesunde Bewältigung von belastenden Situationen gefördert wird. (tw)

Weitere Informationen:
www.bptk.de

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