Coaching und das Management 2. Ordnung

17.04.2008

4. Coaching-Tagung an der European Business School (EBS) in Kooperation mit dem DBVC mit knapp 200 Teilnehmern überzeugte. Hohes Niveau der Vorträge und eine angenehm-wertschätzende und anregende Atmosphäre.

An der EBS in Oestrich-Winkel (Nähe Wiesbaden) erhält jeder Studierende – ob im Bachelor- oder Masterstudiengang, Gaststudierender oder Doktorand – auf Wunsch ein persönliches Coaching mit bis zu vier Gesprächen pro Semester. Der Clou daran: Die Coachs sind erfahrene Führungskräfte aus der Praxis, die ihrerseits an der EBS eine Ausbildung zum systemischen Coach durchlaufen haben. Sie fühlen sich der EBS gegenüber derart verbunden, dass sie auch nach der Ausbildung der Hochschule und ihren Studierenden als Coach zur Verfügung stehen. Dieser Coaching-Pool umfasst inzwischen zirka 100 Coachs.

Bis zu sieben Wochenenden im dreiviertel Jahr dauert die Ausbildung für die Coachs, die Marie-Luise Retzmann an der EBS organisiert. Und schon nach der zweiten Sitzung beginnt das Coaching mit den Studierenden. 460 Studierende haben im Sommersemester 2007 das Angebot genutzt, zu Spitzenzeiten werden an den Wochenenden bis zu 200 Einzelgespräche geführt. Coaching ist an der EBS neben der fachlichen Ausbildung zu einem zentralen Instrument der Persönlichkeitsentwicklung von zukünftigen Führungskräften geworden. Es ist also Bestandteil der Kultur. Da wundert es nicht, dass die EBS (in Kooperation mit dem DBVC) am 10. April nun schon die 4. Coaching-Tagung durchführte und hochkarätige Referenten einlud. Sie alle verbindet der systemische Ansatz:

Professor Dr. Wilhelm Backhausen und sein Kollege Professor Dr. Jean-Paul Thommen (Lehrstuhl „Organizational Behaviour”), haben soeben das beeindruckende Buch „Irrgarten des Managements“ veröffentlicht. Ihre Vorträge kreisten um das Management 2. Ordnung. Beeindruckend daran war, wie konsequent sie die bislang vorherrschende Betriebswirtschaftslehre als Management 1. Ordnung entlarvten. Denn klassischerweise wird das Funktionieren von Unternehmen dort nach dem „Maschinenmodell“ betrachtet (ein Rädchen greift ins andere), was zu erheblichen Problemen und Irrtümern führt. Reflexion ist hingegen das zentrale Element des Managements 2. Ordnung. In der Metapher des „Storchs“, der über die Welt fliegt, wird damit auch deutlich, welchen Mehrwert das Coaching in der EBS-Ausbildung leistet: Denn der „Frosch“, der im Gras sitzt, hat eben nur einen begrenzten Horizont.

Professor Dr. Hans Wüthrich von der Bundeswehr-Universität München (Lehrstuhl „Internationales Management“), schloss sich hier in einem didaktisch exzellenten Vortrag an und plädierte für den Musterbruch. Wenn wir systemisches Denken ernst nehmen, so Wüthrich, müssen wir einen Perspektivenwechsel vom Leadership zum Followership herstellen. Wir müssen das freie Atmen wieder zulassen und die kollektive Intelligenz nutzen. Wir brauchen Biotope für Querdenker in unseren Unternehmen. Wüthrich meint damit nicht das Laissez Faire, sondern ein kluges Gestalten von Kontexten und Reflexionsarrangements in Unternehmen.

Coaching-Pionier Dr. Wolfgang Looss wagte an dieser Stelle den Brückenschlag: Im Management 1. Ordnung würde dem Coaching die Rolle eines Reparaturbetriebs zugewiesen. Doch Coaching müsse hier seinerseits den Musterbruch wagen. Wenn es im „Irrgarten des Managements“ gelte, von der Frosch- in die Storchperspektive zu wechseln, sei dies ein wichtiges, aber durchaus anstrengendes Unterfangen. Die Frage stelle sich nämlich, wie man im Routinebetrieb des Alltags so kunstvoll reflexive Pausen einlegen könne, dass sich die Chance ergebe, „Teachable Moments“ zu erzeugen? Dabei hätte der Coach häufig den (neuen) Job des „Realitätskellners“ auszuführen und den, wieder Erinnerungsarbeit, Werteklärung zu ermöglichen; und manchmal auch einfach nur dafür zu sorgen, dass der Klient wieder Schmerzen spürt, die er ansonsten verdrängen würde.

Dr. Simon Grand, Academic Director, RISE Management Research an der Universität St. Gallen, widmete sich dem Thema der Innovation als kreativer Zerstörung. Die Innovation verhält sich im Bild gesprochen zum Status quo in den Unternehmen wie Antimaterie zu Materie. Wie kann es trotzdem gelingen, dass sie in Unternehmen, die nichts als ihren Erhalt im Sinn haben, kultiviert werden kann? Verschiedene Strategien eignen sich hierfür – und sie stellen wiederum hohe Ansprüche an Manager, mit Ambivalenzen umzugehen; was wiederum genau ein Management 2. Ordnung fordert.

Den zweiten Teil des Tages trafen sich die Tagungsteilnehmer im Großgruppenformat „World Café“ zum Austausch und Diskussion. Den Zusammenfassungen, die im anschließenden Plenum vorgetragen wurden, konnte man entnehmen, dass es offensichtlich verlockend ist, nur noch vom Management 2. Ordnung zu schwärmen und darüber das Tagesgeschäft zu vernachlässigen. Was ein schwerer Fehler wäre: Denn „Ich weiß, dass ich nichts weiß“, hatte Wilhelm Backhausen zwar in seinem Vortrag Sokrates zitiert, aber direkt angeschlossen: „Und muss trotzdem handeln!“. Management 1. und 2. Ordnung gehören zusammen. Oder um es in das Bild, das Wolfgang Looss gebraucht hat, zu kleiden: Wenn Coaching die „Reha“, die Auszeit ist, die ich mir gönne, dann kann ich da nicht bleiben – sondern muss auch wieder zurück ins Tagesgeschäft. Allerdings nehme ich die Erinnerung an die Reha mit in den Alltag – und sollte dafür sorgen, dass sie dort nicht zu bald verblasst…

All dies kann ja nur der Grund dafür sein, im nächsten Jahr die 5. Coaching-Tagung an der EBS zu veranstalten. Eine Tagung, die sich alles in allem durch ein ungeheuer hohes Niveau und eine angenehm-wertschätzende und anregende Atmosphäre auszeichnete. (tw)

Weitere Informationen:
www.ebs.edu

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