Cora Besser-Siegmund, Harry Siegmund

wingwave-Coaching. Wie der Flügelschlag eines Schmetterlings (mit CD; überarb. u. erg. Neuaufl. von "EMDR im Coaching"). Paderborn: Junfermann.

Rezension von Dr. Michael Loebbert

4 Min.

"Vielleicht mögen Sie die CD sogar beim Lesen dieses Buches einsetzen? Es könnte sein, dass Sie den Inhalt dann besonders leicht aufnehmen und behalten können ..." - Als Schüler waren wir doch überzeugte Verfechter der Musikbegleitung zu den Hausaufgaben. Gegen den Widerstand von Lehrern und Eltern konnten wissenschaftliche Untersuchungen ins Feld geführt werden. Ach, hätten wir doch schon damals mit der REM (Rapid Eye Movement) argumentieren können! Ein sanfter wacher REM-Rhythmus im halbsekündlichen Links-Rechts-Wechsel unterlegt mit Meeresrauschen und Minimal-Klängen wäre die Lösung gewesen. Empirisch wird nachgewiesen, der Hautwiderstand und das Erregungsniveau sinkt nach fünf Minuten Beschallung mit der Wingwave-CD signifikant.
Die Autoren referieren Ergebnisse der Hirnforschung mit bildgebenden Verfahren an Phobikern und schwer traumatisierten Menschen: Angst und Stressbelastung brennen sich quasi in das Hirn ein und verändern die Fähigkeit des Gehirns, Emotionen zu entwickeln und zu steuern. Die Kenntnis dieser Tatsache entlastet natürlich auch Menschen, denen mangelnde Sozialkompetenz zurückgemeldet wird, oder die sich als stark gestresst erleben. Willentlich kann das nicht gesteuert werden. Besserung darf aber mit Wingwave erwartet werden, wenn in einer simulierten Tiefschlafphase, die blockierten Teile unseres Gehirns wieder in Kontakt kommen können. Besonders dann, wenn man als Coach dem Klienten das Gehirnmodell (Amygdala, Hippocampus, Gyrus Cinguli etc.) mit seinen Wirkmechanismen auch erklärt. In seinen Untersuchungen konnte Klaus Grawe schon in den 90er-Jahren zeigen, dass Therapieerfolge zu über 30 Prozent mit einer positiven Wirkungserwartung der Patienten zusammen hängen.
Das Buch richtet sich an Personen, die an Selbst-Coaching interessiert sind, und an Coachs, die ihr Methodenrepertoire erweitern wollen. Für besonders wirkungsvoll halten die Autoren die Verbindung mit kinesiologischem Muskelfeedback und Neurolinguistischem Programmieren. Beherzt wird auf Forschungen verwiesen (ohne Autoren zu nennen):
"Anscheinend spiegeln sich auch kleine Irritationen in der Koordinationsfähigkeit des Großhirns innerhalb von Bruchteilen von Sekunden in den Handmuskeln." In einer eigenen Studie zeigen sie, dass zehn Personen einer Gruppe mit Auftrittsangst nach zwei Stunden Wingwave-Coaching bessere Ergebnisse erzielten als elf Personen, die ein eintägiges Verhaltenstraining absolviert hatten. Den letzten Abschnitt des Buches beschließt ein "Gedankenspiel" zum Zusammenhang von Emotionen und Langlebigkeit.
Die Mischung esoterischer Spekulationen und Heilslehren, von wissenschaftlichen Modellen und Forschungsbezügen, Handlungsanweisungen mit wiederum Bezügen auf andere Therapielehren verweist auf die wirkliche Schwierigkeit für Coachs, sich bei den unzähligen Angeboten zu orientieren. Die Schmetterlingsmetapher der Chaostheorie, welche das Buch im Untertitel führt, ist ein Beispiel für die leicht daraus folgenden Verquerungen. Oder sollte der Mensch etwa als deterministisches (wenn auch chaotisches) System beschrieben werden? Der Vorwurf der Scharlatanerie in seiner starken Form liegt nahe: Mysteriöse, intersubjektiv nicht überprüfbare Wirkungsvorstellungen und Erlösungsversprechen treten an die Stelle von Wissenschaft und Selbstverantwortung.
Andererseits: Wingwave und andere ähnliche Verfahren funktionieren, das heißt, sie haben zumindest bei einigen Klienten positive Wirkungen. Die damit verbunden Stressmodelle sind einfach und nachvollziehbar. Chinesische Medizin, Körpertherapien, Meditation und Musik überbrücken die Trennung von Körper und Geist in der abendländischen Metaphysik. Die Ergebnisse der modernen Hirnforschung scheinen das zu bestätigen. Compliance und Sinngebung sind Schlüsselbegriffe der seelischen Verarbeitung von Verletzungen und Lebenskrisen. Es ist vielleicht nicht so wichtig, was wir glauben, sondern dass wir an etwas glauben. Es ist nicht so wichtig, warum wir uns entspannen, sondern dass wir uns entspannen können. - Das wäre eine gemäßigte Form der Scharlatanerie, solange es Klienten und Kunden gelingt, daraus eine gute Geschichte zu machen. Diese "ironische" Haltung des Nichtwissens des Coachs als Voraussetzung und Bedingung für die Unterstützung der Autonomie des Klienten für seine Selbststeuerung hat der Rezensent allerdings in dem Buch nicht gefunden.

Dr. Michael Loebbert

Programmleiter Coaching Studies FHNW – Fachhochschule Nordwestschweiz
www.coaching-studies.ch
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