Jürgen Kriz

Systemtheorie für Coaches. Einführung und kritische Diskussion.

Rezension von Thomas Webers

3 Min.

In seinem Buch „Systemtheorie für Coaches“ legt Jürgen Kriz, der lange Jahre Psychologieprofessor in Osnabrück war, gleich zu Beginn den Finger in die Wunde eines heterogenen Sprachgebrauchs von „systemisch“ und zeigt die verschiedenen konzeptionellen Wurzeln historisch auf. So geraten die sozio-technische Systemgestaltung, aber auch die Arbeiten Kurt Lewins, die Familientherapie, die Arbeiten Gregory Batesons, Paul Watzlawicks und Friedemann Schulz von Thuns in den Blick. Kriz verweist aber auch auf die narrativen Ansätze der alten griechischen Philosophen, auf die sich in den letzten Jahrzehnten wiederum Steve de Shazer oder Tom Anderson bezogen haben.
Wenn der Autor die verschiedenen systemtheoretischen Ansätze erläutert, hebt er vier zentrale und miteinander verbundene Prinzipien hervor: Prozesse (statt „Dinge“), Rückkoppelung/Feld (statt isoliert-mechanische Wirkung), Emergenz/Selbstorganisation (statt Determiniertheit) und System-Umwelt (Adaption/Akkommodation). Diese lassen sich als Kernprinzipien sowohl systemtheoretischer Ansätze aus naturwissenschaftlichen Disziplinen als auch solcher gestalttheoretisch-synergetischer Schulen aufzeigen.
In einem eigenen Kapitel wird die Autopoiese (Selbstorganisation) vorgestellt. Hier werden die Arbeiten der Neurobiologen Humberto Maturana und Francisco Varela und die des Soziologen Niklas Luhmann diskutiert. Ebenfalls ein eigenes Kapitel widmet der Autor dem Konzept der Rückkoppelung und bezieht sich dabei auf das sog. „Trivialisierungs-Konzept“ von Heinz von Foerster. Die erste Argumentationskette zeigt auf, dass es unrealistisch ist zu erwarten, dass sich lebende Systeme im Sinne einfacher Reiz-Reaktions-Ketten verstehen lassen. Von Foerster hat dies mit dem Bild der „nichttrivialen Maschine“ bezeichnet. Kriz demonstriert deren Wirkungsweise in wenigen Sätzen eindrucksvoll und zeigt auf, was passiert, wenn Systeme zu lernen beginnen. Die zweite Argumentationskette zeigt auf, wie wir in einer unvorhersehbaren Welt durch Trivialisierung trotzdem handlungsfähig bleiben. So bedient sich unser kognitives System bspw. selektiver, vereinfachender Schemata (Heuristiken).
Beide Dynamiken wirken zusammen, so dass sich die Frage stellt, wie können wir zwischen Chaos und Simplizität intelligent steuern? Kriz zeigt an eingängigen Beispielen, wie sich solche Dynamiken aufschaukeln oder neutralisieren, und dass man mit dem Konzept des Musters (Sinn-Attraktor) dieses hilfreich beschreiben kann. Damit wird auch der Weg der Veränderung, der Einflussnahme aufgezeigt. Nach Kriz muss sich systemisches Coaching als Unterstützung von Ordnungs-Ordnungsübergängen verstehen – was sich vielleicht leicht anhören mag, aber mit Sicherheit keine triviale Angelegenheit ist, sondern eines erfahrenen und sensiblen Coachs bedarf. Dieser sollte nützliche und nachhaltig wirksame Veränderungen initiieren und zudem begründen können, warum er diese statt Alternativen wählt. Dabei zeichnet ihn Respektlosigkeit gegenüber verkrustetem Wahrnehmen und Denken aus – bei gleichzeitig tiefem Respekt gegenüber den beteiligten Personen.
Fazit: Dieses Buch ist ein Highlight und ein absolutes Lese-Muss nicht nur für Coaches, sondern für alle im Beratungsfeld Tätigen.
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