Bernd Schmid

Systemisches Coaching. Konzepte und Vorgehensweisen in der Persönlichkeitsberatung (2. Aufl.). Bergisch Gladbach: Edition Humanistische Psychologie.

Rezension von Thomas Webers

5 Min.

Wem der Titel suggerieren mag, hier ein Rezeptbuch vorzufinden, mit dessen Hilfe man lernen kann, systemisch zu coachen, der sei gewarnt: Dies ist keins dieser wohlfeilen "30 Minuten bis zum perfekten Coaching"-Bücher. Dieses Buch ist ein Buch für weit Fortgeschrittene - von einem, der selbst einen langen Weg zurück gelegt hat. Der auf diesem Weg eine Menge gelernt und ausprobiert hat, dabei auch gelernt hat, nicht zu kopieren, sondern zu kapieren. Dieses Buch verlangt daher auch von seinen Lesern, dass sie mitdenken, sich reiben am Text. 

Denn der Autor ist ein Original, einer der seinen eigenen Weg geht. Und daher eine Zumutung - in jeder Hinsicht. Schmid, von Haus aus promovierter Wirtschaftspädagoge, kommt von der Transaktionsanalyse (TA) her, hat aber ebenfalls weitere Therapierichtungen gelernt wie Gruppendynamik, Hypnotherapie nach Milton Erickson, Jungianische Individualpsychologie oder eben auch Systemische Therapie. Aus diesem weiten Fundus holt er seine Konzepte her, wendet sie im Coaching an und überprüft sie oder modifiziert sie gegebenenfalls bis sie passen. Dabei ist der Ansatz am Einzelnen, an der Persönlichkeit, die eine Seite des Spannungsbogens, die andere ist das Zusammenwirken der Einzelnen in der Organisation und das Entstehen von Organisationskultur. 

Ein weites Feld zweifellos. Andererseits wird durch den integralen Ansatz eben auch deutlich, dass es dem Autor wichtig ist, dass seine Leser nicht der Versuchung erliegen sollen, zu eng zu denken. Coaching des Einzelnen kann schwerlich nachhaltig gelingen, wenn man den Kontext vernachlässigt, so der eine Teil der Botschaft. Der andere komplementäre lautet, wie soll Organisationsentwicklung ohne Veränderung einzelner vonstatten gehen könne? Beides gehört - systemisch - zusammen. Für Schmid ist hier das Rollenkonzept ebenso wie das der "Spiele" ein zentrales Bindeglied. 

Das Buch gliedert sich in drei große Blöcke. Im ersten Block geht es um Konzepte und Vorgehensweisen. Hier finden wir die Antreiber-Dynamiken aus der TA, Beziehungskonzepte, Dilemma- und Sinnzirkel sowie Wirklichkeitsstile und Identitätsüberzeugungen, aber auch solche zum Umgang mit Träumen, Fantasien und Trance. Begleitet wird die Darstellung der Konzepte durch - zum Teil recht ausführliche - illustrierende Fallbeispiele. 

Im zweiten Block steht Coaching im Mittelpunkt, als Begriff, als Beruf, als Markt. So werden auch die Varianten des Coaching-Begriffs - wie die der "Führungskraft als Coach" - beleuchtet. Schmid arbeitet heraus, was für ihn Coaching letztlich ist, eine kompetente Perspektive. Dabei muss die Rollendefinition präzise und verantwortlich vorgenommen werden - von allen Seiten: "Letztlich kann Coaching als Beratung nicht die Entwicklung einer leistungs- und menschenorientierten Organisationskultur ersetzen", grenzt sich der Autor gegen die ab, denen das "simple Pflasterkleben" ausreichen soll. Damit wendet er sich dem Thema Kontraktgestaltung zu, um es auch ausführlich an einem Fallbeispiel zu exemplifizieren. Den Abschluss dieses Blocks bilden Ausführungen zum Thema Kultur und seelische Leitbilder; sozusagen als Rahmen und Klammer. 

Teil 3 handelt von der Entwicklung der Professionalität. Eine interessante Zugabe. Wird hier doch ausführlich auf über 70 Seiten der Prozess einer TA-Ausbildung seitens einer ehemaligen Ausbildungskandidatin - von ihr selbst - kritisch dargestellt und reflektiert. Sicher findet man solche Texte selten, womit der Autor die Aufnahme ins Buch begründet. Der Text ist ohne Zweifel wertvoll, ob er aber - auch in diesem Umfang - ins Buch gehören muss, darf man ebenfalls in Frage stellen. Andererseits macht er deutlich, welchen Tiefgang solche Ausbildungen haben. Ein schöner Kontrast zu den heute vielerorts angebotenen Ruck-zuck-und-fertig-Ausbildungen zum Coach. Offenbar stellt der Autor doch deutlich höhere Ansprüche an die Zunft als so manchem Kollegen lieb sein dürfte. Damit leistet dieser Text seinen Beitrag dazu, die berühmte "Latte" entsprechend höher zu hängen. An seine Stelle hätte anderes treten können, beispielsweise Ausführungen zu Zertifizierungen, Ethik-Richtlinien etc., aber dass das Thema markiert und behandelt wurde, ist mit Sicherheit eine wichtige Leistung; an der man ja auch weiter anknüpfen kann, auf das Thema sollte allerdings auch nicht verzichtet werden. 

Das Buch ist Fortgeschrittenen Coachs zu empfehlen, aber auch den Auftraggebern in den Personalabteilungen, die ihre Erfahrungen abgleichen möchten, neue Aspekte und Anregungen suchen und einen ganzheitlichen Zugang zum Thema Coaching präferieren oder vertiefen wollen. Wer hingegen Grundlegendes zum Thema Systemisches - siehe Titel - sucht, ist beispielsweise mit dem kleinen pinken Einführungsbüchlein von Fritz Simon besser bedient. Ebenso verhält es sich mit dem zweiten Titel-Stichwort: Das kleine "grüne Bändchen" von Christopher Rauen eröffnet dem Anfänger sicher besser den grundsätzlichen Zugang zur Materie. Das Buch von Bernd Schmid ist hingegen so etwas wie ein Meta-Text. Damit tritt es in die zweite Reihe, was die Dringlichkeit betrifft, was die Wichtigkeit jedoch mitnichten schmälert.

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