Jürgen Kriz

Subjekt und Lebenswelt. Personzentrierte Systemtheorie für Psychotherapie, Beratung und Coaching.

Rezension von Thomas Webers

3 Min.

So interessant und gewichtig dieses Buch ist, so bemerkenswert ist auch die Vita des Autors. Jürgen Kriz ist Emeritus für Psychotherapie und klinische Psychologie an der Universität Osnabrück, hatte aber auch (weitgehend überlappend) 25 Jahre einen Lehrstuhl in Statistik und Forschungsmethoden. Mit beiden Fachrichtungen hat er sich sehr kritisch auseinandergesetzt, den wissenschaftstheoretischen Mainstream hat er letztlich hinter sich gelassen. In seinem Wissensdrang knüpft er bei der Synergetik des Physikers Hermann Hakens an und hat auf dieser Basis in den letzten Jahrzehnten seine „personzentrierte Systemtheorie“ entwickelt. Die Kurzfassung und Anwendung für Coaching erschien bereits als „Systemtheorie für Coaches“ (Springer, 2016).

Mit diesem Buch legt der Autor die Langfassung und Summe seines Lebenswerks vor, einen Theorieansatz, der einerseits bei der Berliner Schule der Gestaltpsychologie (1930er-Jahre) ansetzt, andererseits multidisziplinäre systemtheoretische Erkenntnisse aufbereitet, die in der akademischen Psychologie in weiten Strecken noch nicht angekommen sind. Dieser Ansatz ist zugleich personorientiert, da er die humanistische Perspektive – der Mensch als Sinnsucher und -finder – in den Mittelpunkt stellt.

Kriz geht grundsätzlich vom nichtlinearen Verlauf von Entwicklungen aus. Das klassische Wissenschaftsparadigma, das sog. Maschinenmodell (wie das Heinz von Foerster nannte), aber auch das heute populäre Regelkreismodell als Weiterentwicklung sind letztlich nur Sonderfälle im neuen, systemtheoretischen Ansatz.

Es würde den Umfang dieser Rezension sprengen, den Ansatz der „personzentrierten Systemtheorie“ darzulegen. Viel zu zahlreich sind die Topoi, Quellen und Querbezüge, die sich in der Lektüre erst allmählich und rekursiv erschließen. Wie in einem Kaleidoskop bricht sich der Blick allerdings an vier essenziellen Prinzipien der Systemtheorie:
(1) Prozesse statt Dinge,
(2) Rückkopplung,
(3) Selbstorganisation/Emergenz sowie
(4) System vs. Umwelt.

Herausragend und sich auch gegen allzu naive „systemische“ Adaptionen in der Praxis absetzend, sind Ausführungen zur Sprachphilosophie. Kriz führt den Begriff der Synlogisation für das gemeinsame Ringen um Bedeutung, um Sinn ein, welches in Kommunikation (bspw. Coaching) stattfindet: „was dabei entsteht, ist ein gemeinsames „Bedeutungsfeld“. (S. 180) So lässt sich erahnen, welchen konzeptionellen Quantensprung im Verständnis von Kommunikation Kriz vollzieht. In der Alltagspraxis benutzen viele immer noch naiv das nachrichtentechnische (Sender-Empfänger-)Modell. Mit dem Vier-Ohren-Modell von Schulz von Thun hat sich in der Weiterbildungsszene inzwischen ein differenzierteres Modell etabliert. Dieses wird von Kriz mit dem Begriff Synlogisation noch weit anspruchsvoller überboten: „beide Personen reden miteinander, ohne dass zunächst sehr klar wäre, was der jeweils andere für Bedeutungen mit manchen Begriffen, Aussagen, Sprachbildern etc. verbindet. Aber in der zirkulären Dynamik synlogisieren eben beide eine zunehmend gemeinsame Bedeutung.“ (S. 180) Manche mögen sich hier an den altbekannten Begriff Dialog erinnert fühlen. Das stimmt in der Richtung, doch Kriz modelliert dies systemtheoretisch aus, was dann auch sehr praktisch wird.

Fazit: Das Buch ist ein Meilenstein, trotzdem verständlich geschrieben und liebevoll mit zahlreichen Praxisbeispielen bestückt. Ein Lesemuss für alle Coaches, die sich systemisch nennen, sowie für solche, die es werden wollen.

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