Horst Kraemer

Soforthilfe bei Stress und Burn-out.

Rezension von Thomas Webers

4 Min.

Wie sich das Leben eines normalen Menschen plötzlich und scheinbar unwiederbringlich im Chaos verliert, hat Horst Kraemer schon verschiedentlich beschrieben. Schon im Jahr 2005 erschien sein Buch "Trauma-Bewältigung". Dort erklärt er auch warum: Ob beim Unfall, beim Überfall, beim Burn-out, bei Mobbing - immer kommt es, und zwar individuell unterschiedlich und jeweils subjektiv erlebt, dazu, dass das ganze System Mensch "umschaltet": auf Ausnahmezustand. Dann gehen das Nervensystem, die neuronalen Verknüpfungen und die damit verbundene Hormonproduktion in den Notfallmodus. Ab diesem Moment kann der Betroffene nicht mehr willentlich eine Veränderung der Situation bewirken. Die Nerven im Gehirn leiten Wahrnehmungsimpulse durch diese Stresssituation nur noch eingeschränkt und fragmentiert weiter. Experten nennen diesen Zustand Neurostressfragmentierung.
Laien, aber durchaus auch Experten, benennen diesen Zustand: Burn-out. Ein mehr als unglückliches und, wie Kraemer darlegt, irreführendes Etikett. Während eine Depression meist eine "Privatsache" ist, zu der man eher beschämt und verhalten öffentlich steht, setzt der Begriff Burn-out eine gesellschaftlich erwünschte Verhaltensweise voraus: Leistung. Hier haben wir es hier mit einem Helden zu tun, wenn auch mit einem tragischem. "Wer ausgebrannt ist, der muss vorher gebrannt haben!" Der Held, so will es der Mythos, verlangt unser Mitgefühl. Doch darum geht es nicht, so Kraemer. Natürlich verdient ein Mensch, der sich in einer erbärmlichen Lage befindet, unser Mitgefühl. Doch die Ursachenkette, die hier unterstellt wird, geht am Thema vorbei: Der (nicht) gelingenden Stressbewältigung.
Ein weiteres Bild, das in Zusammenhang mit Burn-out gerne benutzt wird, ist: "Akku leer". Nicht nur eine brutale, dem Menschen nicht angemessene Maschinenmetapher, sondern ein Bild, das ebenfalls am Thema vorbei geht. Ausruhen, Nichtstun, Massage, Sauna, gutes Essen oder der Strand in der Karibik helfen nicht. Weil nämlich das interne System gestört ist. Erst wenn das wieder entstört ist, kann eine Rekonvaleszenz einsetzen. Der sogenannte Burn-out ist eine stressbedingte Entspannungsstörung.
Mit solchen Ansichten stellt sich der Autor gegen den populären Mainstream, aber auch gegen einen Teil der professionellen Community. Doch er tut das nicht unbedacht. Er führt die Leser in die Hintergründe der Stressverarbeitung ein. Erklärt neurologische Hintergründe und Auswirkungen auf Hormon- und Immunsystem. Fazit: Wir arbeitenden Menschen müssen dafür sorgen, dass unser Cortisolspiegel niedrig bleibt.
Dem stehen leider immer noch diverse Glaubenssätze im Wege: Chefs meinen, Druck auf Mitarbeiter ausüben zu müssen, weil das der Leistungssteigerung diene. Doch es produziert nur Stress. Und unter Stress arbeiten wir schlechter, das hat sich offenbar noch nicht überall herumgesprochen. Damit nicht genug: Wir können die Stressverarbeitung nicht trainieren wie einen Muskel. Auch das ist so ein weiteres schiefes, aber beliebtes Bild (für Helden der Arbeit). Das Schlimme daran: Wir arbeiten weiter, indem wir unser Alarmsystem boykottieren.
Bis dann eben nichts mehr geht. Die Neurostressfragmentierung blockiert den Zugang zu unseren Ressourcen. Wenn dann eine psychiatrische oder psychoanalytische Diagnose gestellt wird, wird der Erstarrte (dieses Menschenbild bevorzugt der Autor) weiter passiv gestellt und der Heilungsprozess im schlimmsten Fall verschleppt.
Stattdessen setzt der Autor auf Coaching. Denn die Selbstaktivierung ist für ihn wichtig. Das schließt die Arbeit mit dem Coach nicht aus. Doch als Erstes muss eine Entstressung stattfinden. Das Gehirn muss wieder in die Lage versetzt werden, flüssig zu prozessieren. Hierzu kombiniert Kraemer eine Atemtechnik mit einer Rechts-Links-Gehirnstimulation. Zur Verankerung nutzt er Achtsamkeits- und Hypno-Methoden (Visualisierung). Bei alldem ist jedoch wichtig, die mit der Stressblockade aufgestauten Emotionen gesteuert verarbeitbar zu machen. Denn die Verarbeitung der blockierten Emotionen vom limbischen System, dem Fühlhirn, ins Denkhirn muss gebahnt werden, damit das Knock-out-Ereignis psychisch beendet werden kann. Dann leiten die Neuronen wieder ohne Fragmentierung, die Ressourcen sind wieder nutzbar.
Den Effekt bringt Kraemer so auf den Punkt: Die Erinnerungen steuern nicht mehr den Menschen. Sondern der Mensch steuert seine Erinnerungen. Was sich hier verkürzt einfach darstellt, ist eine anspruchsvolle Methode, die erlernt werden will. Und auch viele Klienten müssen anschließend trotzdem lernen, verantwortlich mit dem eigenen Leben, dem eigenen Körper, der eigenen Psyche umgehen zu lernen. Auch hier ist ein Coaching mehr als nützlich. Denn: Es gibt ein leben nach dem Burn-out.
Was dieses Buch so authentisch macht, ist nicht nur die professionelle Darstellung der Materie und der nützlichen Coaching-Techniken, sondern auch das Bekenntnis des Autors zum eigenen Burn-out. Er, der Professionelle, der so vielen Menschen aus der Burn-out-Falle geholfen hat, ist selbst in eine solche gelaufen. Er schildert seine Situation und die Symptome und wie er den Weg herausgefunden hat. Natürlich mit der Hilfe kompetenter Kollegen. Dadurch erhält die Darstellung seines Konzepts noch größere Glaubwürdigkeit. Diesem Buch sei eine große Leserschaft gewünscht.
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