Tatjana Reichhart, Claudia Pusch

Resilienz-Coaching

Rezension von Leane Zaborowski

4 Min.

In den letzten Jahren ist das Thema Resilienz populärwissenschaftlich immer wieder beleuchtet und in leicht verdauliche Anleitungen verpackt worden. Ob R-Faktor, Stehauf-Menschen oder Bambusstrategie: Gelegentlich konnte der Eindruck entstehen, dass jeder Mensch in sieben einfachen Schritten seine Resilienz beliebig ausbauen könne, um ungünstigen Umständen zu trotzen und psychische Krisen zu überwinden. 

Mit „Resilienz-Coaching“ haben Tatjana Reichhart und Claudia Pusch ein Praxismanual veröffentlicht, das in seiner wissenschaftlichen Fundiertheit und thematischen Breite seinesgleichen sucht. Die Autorinnen führen dabei ihre unterschiedlichen Praxiserfahrungen und Expertisen – einerseits als Fachärztin für Psychiatrie und Verhaltenstherapie (Reichhart), andererseits als systemische Beraterin, Therapeutin und Lehrtrainerin (Pusch) – zusammen. So erschaffen sie ein Standardwerk, welches in vier Kapiteln umfangreiches theoretisches Wissen rund um das Thema Resilienz vermittelt und gleichzeitig mit zahlreichen alltagstauglichen Ansätzen und Methoden den Praxistransfer für Coaching und Therapie ermöglicht. 

Im ersten Kapitel taucht der Lesende in die Grundlagen der Resilienzforschung ein, lernt die nach Reichhart und Pusch wichtigsten Resilienzfaktoren kennen und erfährt, wie systemisch-lösungsorientiertes Coaching zur Resilienzförderung beitragen kann. Neben angrenzenden Konzepten aus der Positiven Psychologie und der Salutogenese präsentieren die Autorinnen ein Modell zur Verhaltensänderung, das aufzeigt, welche Schritte und Phasen der Klient bzw. die Klientin im Prozess durchlaufen kann und welche Rolle seine bzw. ihre intrinsische Motivation dabei spielt.

Das zweite und längste Kapitel ist ein Deep Dive in die sechs Resilienzfaktoren mit der stärksten wissenschaftlichen Evidenz, die auch im Erwachsenenalter noch trainier- und veränderbar sind: Selbstregulationsfähigkeit, Optimismus, Soziales Netz & Beziehungen, Selbstwirksamkeit, Zukunfts- und Lösungsorientierung, Sinn & Werte. Für die praktische Arbeit empfehlen die Autorinnen, gemeinsam mit dem Klienten bzw. der Klientin ein persönliches Resilienzprofil zu erstellen und dann mit ressourcenorientierten Übungen die einzelnen Faktoren zu unterstützen und zu stärken. 

Nach dem Blick auf Ressouren und Resilienzfaktoren geht es im dritten Teil um die Stressoren, die auf der metaphorischen Waage des Schutzfaktorenmodells auf der negativen Seite stehen und die Vulnerabilität eines Menschen beeinflussen. Wie entsteht Stress? Wie können wir im Coaching Stressoren identifizieren? Welche Wege der Stressbewältigung hat der Klient? Darauf gibt dieser Abschnitt hilfreiche Antworten und ordnet zudem mögliche Risiko- und Präventionsfaktoren des Burnout-Syndroms ein. 

Wie sich Coaching von Therapie abgrenzt, wie der Coach seiner Verantwortung dem Klienten gegenüber gerecht wird und warum Selbstfürsorge eine elementare Voraussetzung für gutes Resilienz-Coaching ist, legt das vierte Kapitel kurz und knapp dar. Es schließt mit vier Protokollen von exemplarischen Coaching-Prozessen zu typischen Themen wie Work-Life-Balance, dem Druck in einer neuen Rolle, akuter Erschöpfung und der Frage nach dem Sinn des Lebens. Hier wird deutlich, wie ein Resilienz-Coaching ablaufen kann und mit welchen Methoden die Autorinnen arbeiten. Umfangreiches Arbeitsmaterial zum Download rundet das Angebot ab und lädt zur direkten Anwendung in der Praxis ein.

Auch wenn wohl kaum jemand ins Coaching kommt und explizit um die Steigerung der eigenen Resilienz bittet; auch wenn Mitarbeitende in Unternehmen ihre Personalabteilungen eher selten aktiv nach resilienzfördernden Strategien fragen: Das Werk vermittelt ein umfassendes Bild davon, bei welchen Fragestellungen und Problemen Klienten von einem Resilienz-Coaching profitieren und wie Coaches der gängigen Skepsis rund um das Thema begegnen können. Die einzige Herausforderung für den Lesenden könnte sein, dass aufgrund der Formatierung (Typologie, Zeilenabstand, Erratums-Hinweise u.a.) die eigene Resilienz bei der Lektüre hier und da auf den Prüfstand gestellt wird. 

Fazit: Wie führe ich ein gutes Leben? Diese Frage hat schon die großen Philosophen der Antike beschäftigt und bis heute nicht an Aktualität verloren. Ohne Zweifel trägt die Förderung von Resilienz zu diesem guten Leben bei: Sie stärkt die seelische Widerstandsfähigkeit und erleichtert den funktionalen Umgang mit belastenden Herausforderungen. Wie Coaches, Therapeuten und Führungskräfte andere Menschen konkret dabei unterstützen können, zeigt dieses Buch, das seinem Untertitel „Praxismanual“ mehr als gerecht wird. 

Leane Zaborowski

COACHING by Leane Zaborowski
mail@leane-zaborowski.de
www.leane-zaborowski.de

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