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Cornelia Andriof

Praxisbuch für wirksame Veränderung – mit der Theorie U arbeiten

Rezension von Jan-Christoph Horn

3 Min.

Die Autorin Cornelia Andriof, langjährige Coach und Praktikerin mit der Theorie U, hat sich durch eine positive Wirksamkeitserfahrung von der Theorie U ansprechen lassen und im Anschluss daran das Konzept für sich erschlossen. Sie ist reflektierte Überzeugungstäterin, keine blinde Jüngerin des Konzepts. 

Das Praxisbuch bietet zunächst eine gut gestaltete Integration der Theorie U in die organisationsentwicklerische Bewegung. Mit Respekt vor der Eigenleistung von Größen wie Senge, Kübler-Ross und Lewin werden Verbindungslinien zur Theorie U aufgezeigt. Dies macht es den Lesern leicht, von dort herkommendes, eigenes Wissen zu aktivieren und sich der Horizonterweiterung durch die Theorie U zu öffnen. Die Vorstellung des „U-Modells“ ist gelungen, wenngleich durch unterschiedliche Inhaltstypen (Tabellen, Exkurse, Abschnitte ohne Kapitelnummerierung) etwas zugestellt. Hieran zeigt sich aber, dass auch die Theorie U – wie üblich bei produktiven Konzepten – auf den ersten Blick leicht zugänglich, in der Tiefe aber vielschichtig ist. Unter den, den ersten Hauptteil abschließenden, weiterführenden „Inspirationen“ zum Verständnis der Theorie U ist daher der Verweis auf das Tripendulum als Illustration von chaotisch wirkender Komplexität hilfreich. 

Wie die Theorie U einen Nutzen im Coaching bringt, hängt mit dem Verständnis von Coaching zusammen, welches die Autorin vorträgt: Die Begleitung einer Person durch einen Raum, im Kontakt zu sich selbst, auf der Suche nach „Passt-zu-mir“-Lösungen. Sie führt aus, wie die Theorie U dem Coach in der Gestaltung des Raums, in der Gestaltung eines Prozesses und im Umgang mit Widerständen dienlich sein kann. Dies gelingt ihr aufgrund kompetenter Reduktion auf wesentliche Interventionen und durch die Hinzunahme von Beispielen. Andriof verfällt nicht darin, den Lesern eine triviale Toolbox zu offerieren. Ihr eher offenes Coaching-Verständnis wird allerdings nicht allen zusagen. 

Die Autorin bietet im Anschluss eine Fülle an reflektierten Beratungsdesigns an, in denen das „Framework“ der Theorie U Anwendung findet. Sie nutzt dafür immer wieder die Schrittfolge „Neugier – Empathie – Mut – Wendepunkt – Kreativ denken – Prototyping – Umsetzen“ als der Theorie U entnommenen Basisprozess. Es ist auch hier wieder gut, dass durch die deskriptive Sprache den Lesern der denkerische und konzeptionelle Übertrag ins eigene Handeln nicht erspart – umgekehrt formuliert: zugetraut – wird. Das ist angewandte Theorie U. Um die Konzentration zu halten, hätte dieser Teil aber auch nicht länger sein dürfen. 

Anschließend geht Andriof auf Skills ein, die sie im Einsatz der Theorie U wichtig findet: Zuhören, Schreiben, Ideen finden und Visualisieren. Dieser Teil ist gleichfalls gut gearbeitet und auch losgelöst von der Theorie U brauchbar.

Im Abschlusskapitel kommt Andriof in gewisser Weise auf den Anfang zurück: Die Theorie U ist nicht „solitär“, sondern lässt sich an Konzepte anbinden, die sich ebenfalls durch Mindfulness (Achtsamkeit) auszeichnen. In ihrer Parallelität zur Theorie U vorgestellt und diskutiert werden Working Out Loud, Design Thinking und Sineks Golden Circle. 

Der zutrauende, motivierende Ton der Autorin gegenüber den Lesern ist wunderbar, in der Fülle mitunter etwas zu überschwänglich. Dass Coaching insgesamt wesentlich mit Mindfulness und Presencing zu tun hat, gefällt dem Rezensenten, vermutlich aber nicht allen Lesern. Die kritische Diskussion der Theorie U fehlt. 

Fazit: Das Buch zeigt sich als eine gelungene Mischung aus Konzepteinführung, Prozessdesign und Interventionsanregung.

Jan-Christoph Horn

janchrhorn@icloud.com