Cover: Organisationsentwicklung als Kunst. Veränderung durch Dialog und vorurteilslose Führung
Gerhard Fatzer, Anne Fanenbruck

Organisationsentwicklung als Kunst. Veränderung durch Dialog und vorurteilslose Führung

Rezension von Andreas Broszio

4 Min.

Das Buch würdigt den einflussreichen Organisationspsychologen Edgar H. Schein, der für seine Konzepte wie Prozessberatung, Organisationskultur und „Humble Leadership“ bekannt ist. Der Band versammelt Beiträge von Experten und Expertinnen aus Wissenschaft und Praxis, die Scheins Werk wertschätzend reflektieren und weiterdenken.​ 

Die verbindende Klammer aller Artikel – darunter auch inspirierende O-Töne von Schein und dessen Sohn Peter A. Schein – besteht in der Auffassung, dass Organisationsentwicklung (OE) nicht nur als methodischer Prozess, sondern auch als künstlerische Praxis verstanden werden kann und sollte. Die Autoren und Autorinnen – u.a. Sylvia Böcker, Ana Campos, Hans Peter Erni, Margret Fischer, Michael Giesecke, Barbara Kellermann, Tibor Koromzay, Ivana Leiseder, Matthias Ohler, Kornelia Rappe-Giesecke, Claus Otto Scharmer, Daniel C. Schmid und Johannes Terhalle – leisten aus ihrer spezifischen Perspektive einen Beitrag zur Konkretisierung dieses komplexitätsangemessenen Verständnisses des gleichermaßen spannenden wie herausfordernden Handlungsfeldes der OE. 

Diese Perspektivenvielfalt ist in meiner Lesart Ausdruck einer Grundhaltung, die sowohl in der Kunst als auch in einer zeitgemäßen Beratung und OE zentral ist: Die Anerkennung von Mehrdeutigkeit, Subjektivität und der prinzipiellen Unverfügbarkeit von Veränderung, die nicht planbar im engeren Sinn, nicht linear steuerbar ist. Sie entzieht sich einfachen Kausalitäten und lässt sich nicht projektförmig „abwickeln“. Vielmehr zeigt sich – im Buch ebenso wie in der Organisationswirklichkeit generell – personales und organisationales Lernen als etwas, das entsteht, wenn wir aufmerksam, experimentierfreudig und offen genug sind, uns auf Unsicherheit und Irritation einzulassen. Hierfür braucht es einen Raum; und dieses Buch bietet mit seinen umfangreichen Ideen einen solchen Denkraum, der es ermöglicht, die eigenen „Wahrgebungsdynamiken zu erkennen, kritisch zu hinterfragen und zu verstehen, welche Auswirkungen sie nach sich ziehen“ (S. 128). Michael Rautenberg betont in seinem Beitrag: „Ein Kopf voller kreativer Ideen ist etwas Großartiges, aber er ist darauf angewiesen, Phasen der Ruhe zu nutzen, wenn ‚da draußen‘ in der Welt etwas Veränderndes bewirkt werden soll.“ (S. 129) 

So ist jedes Kapitel in diesem lesenswerten Sammelband eine Einladung, auf neue Gedanken zu kommen, Ideen entstehen zu lassen und achtsam der (organisationalen) Komplexität zu begegnen. Und zwar ohne sie kurzschlüssig methodisch und begrifflich unter Kontrolle zu bringen. In den verschiedenen Beiträgen wird deutlich, dass OE nicht von der einen „richtigen“ Methode her gedacht wird, sondern als vielschichtiger, oft auch widersprüchlicher Such- und Gestaltungsprozess. Dieser Prozess erfordert – wie jede künstlerische Praxis – die Bereitschaft, sich auf das Ungewisse einzulassen, auf das noch nicht Formulierte, das Fragile, das in Entwicklung Begriffene. 

Genau hier schließt das Buch an Scheins zentrale Kategorie des Nicht-Wissens an: Die wirksamste Haltung in Beratungsprozessen ist für ihn nicht die der Experten mit fertigen Antworten, sondern die des demütigen Fragens, des offenen Erkundens, der dialogischen Ko-Konstruktion von Sinn. Schein beschreibt in einem seiner Beiträge („Die Rolle der Kunst und des Künstlers“) verschiedene Funktionen von Kunst und betont u.a. das Anregungspotenzial von Kunst, 

  • die uns ermächtigt „mehr zu sehen, mehr zu hören und mehr zu erfahren von dem, was in uns und um uns herum geschieht“ (S. 51) und 
  • uns hilft, „unsere Fähigkeiten, unser Verhaltensrepertoire und unsere Reaktionsmöglichkeiten zu erweitern“ (S. 52). 

Auch in den anderen Beiträgen wird OE als künstlerische Praxis sichtbar, die Achtsamkeit, Resonanz und die Fähigkeit, mit Ambivalenz umzugehen, erfordert. In einer Zeit, in der Menschen und Organisationen mit zunehmender Komplexität und Unvorhersehbarkeit konfrontiert sind, ist dieser Zugang stimmig und zeitgemäß. 

Fazit: Das Buch ist allen Fach- und Führungskräften, Beratern sowie allen, die OE als lebendigen, kreativen Prozess begreifen möchten, zu empfehlen. Es bietet sowohl theoretische Impulse als auch praxisnahe Anregungen für eine transformative Organisationsgestaltung.

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