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Annelen Collatz, Rainer Sachse

Klärungsorientiertes Coaching.

Rezension von Dr. Christine Seiger

5 Min.

"Klärungsorientiertes Coaching" überträgt Ansätze der klärungsorientierten Psychotherapie auf Coaching. Verschiedene Methoden werden in ein bewährtes Rahmenkonzept eingeordnet. Die Idee dahinter ist, Probleme bei der Wurzel zu packen, in diesem Fall: beim verursachenden Schema, das dem Betroffenen in verschiedenen Bereichen das Leben schwer machen kann.
Zunächst werden sehr professionell Coaching und Psychotherapie voneinander abgegrenzt und psychologische Grundlagen des Ansatzes erläutert und das Buch folgt im weiteren Aufbau dem klärungsorientierten Coaching-Prozess. Für den Beginn werden Empfehlungen für eine gute Kontaktaufnahme und Beziehungsgestaltung gegeben, beispielsweise vor allem am Anfang die Beziehung komplementär zu gestalten, also die (bisher zu kurz gekommenen) Bedürfnisse des Klienten möglichst zu sättigen - ohne manipulatives Verhalten zu verstärken und dadurch ein dysfunktionales System zu stabilisieren.
Laut Collatz und Sachse kann man im Coaching auf drei Probleme stoßen: fehlende Kompetenzen, dysfunktionale Schemata oder ungünstiges Interaktionsverhalten. Jeder Bereich benötigt andere Maßnahmen und im Buch geht es nun eben um Schemata: "organisierte Gedächtnisbestände", die man im Lebenslauf erworben hat und die jederzeit durch bestimmte Situationen oder Situationsmerkmale ("Trigger") aktiviert werden können. Wenn das geschieht, bestimmen Schemata stark das Erleben und Handeln einer Person (mit). Teilweise reagieren Betroffene im "Autopiloten" und wissen gar nicht, wie ihnen geschieht. Die Schemata enthalten kognitive und affektive Bestandteile. Die kognitiven sind Annahmen über sich selbst, Beziehungen und die Realität, die teilweise sehr verallgemeinert sind und wiederum mit Wenn-Dann-Annahmen, Bewertungen sowie weiteren Schemata in einem komplexen Netz verknüpft sein können.
Zum Schutz der Person können diese verletzlich machenden Annahmen wiederum zum Ausbilden kompensatorischer Schemata führen, die dann für Außenstehende viel offensichtlicher sind. Wer beispielsweise davon überzeugt ist: "Ich bin ein Versager" (und werde deshalb abgelehnt, ausgegrenzt und mutterseelenallein sterben), könnte dies zu verhindern oder zu kompensieren versuchen durch "Du musst erfolgreich und der Beste sein" - mit einem entsprechend starken inneren Antreiber, der ebenso zu Problemen führen kann.
Zentral für das klärungsorientierte Coaching sind das Klären und Bearbeiten der Schemata, denen jeweils ein Kapitel gewidmet wird. Ein Schema zu "klären" bedeutet zunächst, dass seine zentralen Inhalte dem Klienten "kognitiv repräsentiert" - d.h. sprachlich möglichst exakt fassbar- , denn nur dann kann man gezielt an ihnen arbeiten. Dafür sind verschiedene Phasen zu durchlaufen und Coaches müssen in der Lage sein zu erkennen, in welcher Phase sich ein Klient gerade befindet, um ihn dann angemessen unterstützen zu können. Das Schema "Ich bin ein Versager" kann dann beispielsweise verbunden sein mit den Annahmen "wichtige Erwartungen anderer nicht erfüllen können", "inkompetent sein" und "Andere enttäuschen", die zusammen die Schemastruktur bilden.
Um Schemata zu bearbeiten eignet sich das "Ein-Personen-Rollenspiel", durch das der Klient lernt, sein eigener Coach zu sein. Der Klient soll unter Anleitung zwei Positionen einnehmen: die des Klienten, der seine dysfunktionalen Schemata verteidigt, und die des Coachs. Dies wird dadurch markiert, dass der Klient auf zwei verschiedenen Stühlen Platz nimmt. Der "richtige" Coach nimmt dann entweder komplementär die Rolle des Coachs ein, wenn der Klient auf der Klienten-Position sitzt, oder er spielt den Supervisor des "Klienten-Coachs", wenn der Klient auf der Coach-Position sitzt. Für den "Supervisor" werden ausführlich verschiedene kognitive und affektive sowie Techniken zur Motivierung beschrieben.
In zwei weiteren Kapiteln werden Interaktionsprobleme sowie die Problem-Analyse behandelt. Zum Verständnis der Interaktionsprobleme erklären die Autoren das Modell der doppelten Handlungsregulation, das zwischen Motiv- und Spielebene unterscheidet. In der "Problem-Analyse" versucht ein Coach die Probleme des Klienten zu verstehen und ein Modell als Grundlage für die Interventionen zu entwickeln.
Collatz und Sachse gehen auch ausführlich auf Alienation ein: die Entfremdung einer Person von den eigenen Bedürfnissen, Motiven, Zielen. Wer keinen guten Zugang hat zu seinen Bedürfnissen, weiß nicht so gut, was er will, hat keine internen Standards, an denen er sich orientieren kann. Normalerweise haben Menschen in Entscheidungssituationen einen inneren Kompass, nämlich körperliche Empfindungen, einen sogenannten "felt sense", die ihnen signalisieren, ob eine bestimmte Option zu ihren Bedürfnissen passt oder ob sie sich "komisch" oder "falsch" anfühlt. Wer diesen Kompass missachtet, bildet Alienation aus und lebt zunehmend an sich vorbei (Inkongruenz): "Es ist, als ob ein Pilot alle Warnlampen seines Flugzeugs ignorieren würde", schreiben die Autoren dazu. Klienten müssen nun lernen, erst einmal überhaupt zu erkennen, dass eine Alienation vorliegt, und im nächsten Schritt ihre körperlichen Signale (wieder) wahrnehmen und interpretieren lernen.
Collatz und Sachse erklären sehr verständlich das empirisch untermauerte klärungsorientierte Coaching sowie seine psychologischen Grundlagen und, was Schemata eigentlich sind. Dies ist bei solch umfassenden Themen nicht einfach und entsprechend "dicht" und reich sind die Informationen! Dennoch ist das Buch wahrscheinlich vor allem denen zu empfehlen, die einen psychologischen Hintergrund mitbringen, denn ohne dieses Grundwissen scheint es nicht nur schwierig, einen solch reichen, komplexen Ansatz zu verstehen und professionell anzuwenden, sondern vielleicht auch nicht vertretbar. Richtig angewendet ist ein klärungsorientiertes Coaching allerdings sicherlich eines, das nicht nur an der Oberfläche bleibt, sondern den Klienten hilft, langwierige Hemmschuhe zu überwinden und ihr eigener Coach zu werden. Man kann sich nur wünschen, noch mehr von den Autoren zu lesen, die so gekonnt erprobte psychotherapeutische Interventionen auf Coaching anwenden.

Dr. Christine Seiger

Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW)
christine.seiger@zhaw.ch