Alica Ryba

Integratives Coaching. Implikationen der Allgemeinen Psychotherapie für die Professionalisierung des Coaching. Saarbrücken: VDM.

Rezension von Thomas Webers

5 Min.

Die Wirksamkeit von Coaching konnte bereits in einigen empirischen Studien belegt werden, so dass die Legitimation von Coaching nicht mehr ernsthaft angezweifelt werden kann. Kritiker verweisen nun aber darauf, dass sich Coachs doch an verschiedenen Psychotherapieschulen orientieren. Und das wirft nun wiederum die Frage auf: Ist die eine oder andere Schule vielleicht wirksamer als die andere?
Nicht die Therapieschule als Ganzes ist entscheidend, argumentieren etliche Forscher: Die unterschiedlichen Therapierichtungen ergänzen einander wechselseitig. Deshalb sollte der therapeutische Prozess innerhalb der einzelnen Sitzungen an die Besonderheiten des Patienten angepasst werden. Diese Vorgehensweise wird als "eklektisch", also als auswählend, bezeichnet. Die Mehrzahl der Coachs geht offenbar eklektisch vor und greift auf eine Fülle von Interventionsmethoden zurück. Von Heß & Roth (2001) wird der Methodenpluralismus sogar als ein Qualitätsmerkmal für Coaching identifiziert.
Doch Kritiker dieser Anschauung werfen den Coachs ein konzeptloses Herausnehmen und Vermischen unterschiedlicher Techniken vor, dem weder ein theoretischer Hintergrund noch ein eindeutiges Menschenbild zugrunde liegt. Coaching bedarf also einer therapieschulübergreifenden Veränderungstheorie, also einer Metatheorie. Diese sollte alle relevanten wissenschaftlichen Befunde integrieren, um die Wirkungsweise von Coaching zu erklären und die Anwendung von Interventionen in einen Sinnzusammenhang stellen zu können.
Das Buch der Autorin, das offenbar eine Diplomarbeit darstellt, wurde vor Erscheinen des diesbezüglich bahnbrechenden Werks von Siegfried Greif "Coaching und ergebnisorientierte Selbstreflexion" (2008) abgeschlossen. Sie bezieht sich auf die bis dahin stärkste Veröffentlichung zum Thema Evaluation von Hansjörg Künzli (2005) und schlägt als angemessene Metatheorie die "Allgemeine Psychotherapie" von Klaus Grawe (1995; 2000; 2004) vor.
Die beiden Schwerpunkte des vorliegenden Buchs bilden daher die Grundlagen des Coaching und die Allgemeine Psychotherapie. In den anschließenden Kapiteln werden die Implikationen der Allgemeinen Psychotherapie für die Professionalisierung des Coaching kurz herausgearbeitet und diskutiert.
Im Rahmen seiner Metaanalyse hat Grawe vier therapeutische Wirkfaktoren induktiv aus den Wirkungen der einzelnen Therapieschulen abgeleitet, die als empirisch gesicherte Bestandteile einer allgemeinen psychotherapeutischen Veränderungstheorie gelten: Ressourcenaktivierung - also der Ansatz an den positiven Eigenarten, Möglichkeiten, Motivationen und Fähigkeiten eines Individuums, Problemaktualisierung - Probleme die verändert werden sollen, müssen in der Therapie real erlebt werden, Problembewältigung - die aktive Unterstützung des Patienten bei der Lösung seines Problems, und die Motivationale Klärung - Patienten müssen sich über die Bedeutungen ihres Erlebens und Verhaltens im Hinblick auf ihre Ziele und Werte sowie der damit zusammenhängenden Konflikte klarer werden.
In den vier Wirkfaktoren sieht Grawe zwei sich jeweils ergänzende Perspektiven. Ein Patient hat sowohl Ressourcen, als auch problematische Seiten. Er kann darüber hinaus klärungs- und/oder bewältigungsmotiviert sein. Die Psychotherapie fokussiert sich stark auf die Probleme des Patienten. Es lässt sich jedoch empirisch und theoretisch begründen, dass für die inhaltliche Therapieplanung, d.h. für die Bestimmung dessen, was verändert werden soll, die Problemperspektive einzunehmen ist. Für die Frage, wie die Probleme am besten verändert werden können, also die prozessuale Therapieplanung, ist die Ressourcenperspektive allerdings besser geeignet. Auch sollten die Klärungs- und Bewältigungsperspektive nicht als Entweder-Oder, sondern ebenfalls als ein Sowohl-als-auch betrachtet werden und sich im Therapieprozess abwechseln. Um alle wirkungsrelevanten Aspekte des Therapiegeschehens in einem konsistenten Modell ordnen und zueinander in Beziehung setzten zu können, hat Grawe im Laufe der Zeit drei Systematiken und ein Konsistenztheoretisches Modell des psychischen Funktionierens entwickelt.
Ziel seiner "Allgemeinen Psychotherapie" ist es, dem Patienten ein maßgeschneidertes Therapieangebot zu bieten, welches das gesamte Spektrum therapeutischer Möglichkeiten vor dem Hintergrund eines fallspezifischen Begründungszusammenhangs systematisch berücksichtigt. Idealerweise wird der eigentlichen Therapie ein Abklärungsprozess vorgeschaltet, in dem die für den Patienten optimale Therapie, die Zielsetzung, das Vorgehen, die Erwartungen des Patienten, die Person der Therapeutin und gegebenenfalls sogar die Institution, welche die Untersuchung durchführt, ermittelt wird. Diese Abklärung grenzt er von der Therapie klar ab.
Die bezüglich der Allgemeinen Psychotherapie geführte Kontroverse, Grawe selbst ist inzwischen verstorben, hält an. Insbesondere wird ihr vorgeworfen, sie sei zu komplex und in der Praxis kaum durchführbar. Ryba stellt nun, nachdem sie Grawes Konzeption lang und breit dargestellt hat, fest, dass der gegenwärtigen Konzeption der Allgemeinen Psychotherapie einige Elemente für das Coaching entnommen, und darüber hinaus aus ihr zahlreiche Anregungen abgeleitet werden können. Doch ihr Fazit bleibt knapp und ambivalent. Die Einführung eines dem Coaching vorgeschalteten Abklärungsprozesses und die Arbeit mit Fallkonzeptionen erachtet sie als problematisch und aufwändig, die Spezialisierung von Coachs auf bestimmte Störungen sowie die Einführung kontinuierlicher Qualitätskontrollen sieht sie dagegen prinzipiell als machbar an.
Doch damit belässt die Autorin es. Eine Fortführung, Operationalisierung oder empirische Umsetzung folgt nicht. Die Ergebnisse haben damit eher einen "akademischen" Wert. Die Praktiker erhalten kaum verwertbare Anregungen zur Umsetzung. Schade eigentlich. Spannend könnte es nämlich im Anschluss werden. So wird beispielsweise der dem Coaching vorgeschalteten Abklärungsprozess in etlichen Coaching-Pools offenbar schon praktiziert, das und anderes hätte man würdigen können oder konkrete Settings ableiten und empirisch testen können. Da bleibt nur zu hoffen, dass sich andere Studenten in ihren Abschlussarbeiten hier irgendwann anhängen und den Faden weiter spinnen. Ansonsten besteht der Mehrwert dieses Buchs darin, die Allgemeine Psychotherapie auf überschaubarem Raum zusammengefasst zu haben. Ob das aber den Kaufpreis aufwiegt?
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