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Eckard König, Gerda Volmer

Handbuch Systemisches Coaching. Für Führungskräfte, Berater und Trainer. Weinheim: Beltz.

Rezension von Thomas Webers

5 Min.

Vom bekannten und erfolgreichen Autorenpaar, schon 1993 erschien die erste Auflage des "Handbuch Systemische Organisationsberatung", erscheint auch das "Handbuch Systemisches Coaching". Im Vorwort legen die Autoren dar, dass das Buch aus dem Kontext der eigenen Coaching-Ausbildungen heraus entstanden ist. Es basiere auf mehr als dreißigjähriger Erfahrung beim Coaching von Führungskräften, Projektleitern, Mitarbeitern und Teams. Da man 1979 hierzulande noch nicht von Coaching gesprochen hat, macht diese Aussage stutzig. Im Vorwort zum "Handbuch Systemische Organisationsberatung" (2008) berufen sich die Autoren auf eigene Erfahrungen in verschiedenen Veränderungsprojekten in den letzten 20 Jahren und die Ausbildungen in systemischer Organisationsberatung in den letzten 25 Jahren. Wann genau haben die Autoren also begonnen, ihre Tätigkeit spezifisch als Coaching zu bezeichnen, wirft sich dem aufmerksamen Leser an dieser Stelle als Frage auf? Denn Coaching sei ein Modewort geworden, stellen die Autoren König & Volmer im ersten Kapitel selber fest. Anders herum gefragt: Ist Coaching - nach Meinung der Autoren - eine Unter- und Spezialform der Organisationsberatung? 

Rein äußerlich betrachtet unterscheiden sich die beiden Handbücher deutlich im Umfang: 541 zu 266 Seiten. Deutliche Parallelen zeigen sich allerdings, wenn man die beiden Inhaltsverzeichnisse nebeneinander legt. Eine inhaltliche Abgrenzung von Organisationsberatung und Coaching wird im ersten Kapitel "Systemisches Coaching - was ist das?" jedoch nicht vorgenommen. Die Autoren konstatieren in der Hinführung zu unspezifischen Definitionen (Gallwey/Whitmore und Peterson/Hicks) lediglich: "Coaching ist eine ganz besondere Gesprächsform; nicht jedes Gespräch ist Coaching". So muss der Leser sich diese Frage wohl selber beantworten, was Workshops oder den Methodenmix hybrider Change-Architekturen von Coaching unterscheidet. 

Doch ehe nun der Eindruck entsteht, das vorliegende Buch sei minderer Güte, muss festgehalten werden, wir haben es hier durchaus mit einem gediegenen Handbuch zu tun, dass gerade Praktikern eine wertvolle Hilfe sein kann. Auch Studenten oder andere Gruppen, die sich ins Thema einarbeiten wollen, finden hier reichhaltige Informationen, die auf Praxistransfer zielen. 

Im einleitenden ersten Kapitel wird nun noch das "systemisch" beleuchtet. Der Überblick über die Systemtheorie beginnt bei Bertalanffy und Hall/Fagen, setzt dann die biologische Systemtheorie von Frederic Vester ins Licht, wechselt zur soziologischen Systemtheorie (Niklas Luhmann) und schließt dann mit der "personalen Systemtheorie in der Tradition von Gregory Bateson" ab. Das alles geschieht recht kurz und knapp, auch verglichen mit dem "Handbuch Organisationsberatung", und hätte mehr Raum verdient. Wenn von den Autoren formuliert wird, "Systemisches Coaching bedeutet, nicht nur auf die Einzelperson zu schauen, sondern den Blick auf das soziale System zu richten", mag das eine zutreffende Aussage sein ähnlich wie die zweite, dass systemisch bedeute, "über den Tellerrand zu schauen", aber es ist eben auch eine, die man deutlich differenzierter hätte spezifizieren können. Ob das anderweitig besser gelingt, beispielsweise bei Sonja Radatz, die vom "gemeinsamen Tanz von Coach und Klient" spricht, sei dahin gestellt. Immerhin äußert Radatz sich ausführlich über die Haltung des Coachs, einen Part, den wir im besprochenen Handbuch leider dezidiert vermissen. 

Die folgenden Kapitel sind sehr stringent und praxisorientiert gestaltet. Durch alle zieht sich ein Praxisfall als Anschauungsmaterial. Die abschließende "Anregung zur Weiterarbeit" gibt Tipps zum Üben und weiterführende Literaturhinweise. 

Das zweite Kapitel handelt vom Beginn des Coaching-Prozesses. Hier geht es um das eigene Konzept und um die Auftragsklärung. Kapitel 3 widmet sich den Phasen des Coaching-Prozesses und orientiert sich dabei am bekannten GROW-Modell - Goal, Reality, Options, Will - von John Whitmore. In Textkästen findet der Leser Beispiele für Prozessfragen, die er unmittelbar praktisch nutzen kann. Dieses klare und unspektakuläre Phasenmodell zieht sich durch alle folgenden Kapitel als Richtschnur. 

Das vierte Kapitel eröffnet den Blick auf das soziale System: Stakeholder-Analyse und Systemvisualisierung helfen, die Personen des sozialen Systems zu identifizieren. Subjektive Deutungen werden durch zirkuläre Fragen, Referenztransformationen (Reframing) oder durch Symbole und Metaphern hinterfragt und verändert. Regeln und Werte werden als zentrale Operatoren in Organisationen und für Individuen beleuchtet. Ebenfalls kommen Systemgrenzen und Kontexte sowie die Dimension der Zeit in den Blick. 

Im fünften Kapitel geht es dann um Diagnoseverfahren im Rahmen von Coaching-Prozessen: Beobachtung, Interview und Fragebogen oder Testverfahren sowie Feedback. Die Darlegungen beziehen sich stark auf wissenschaftliche Methodik (Bortz/Döring) und sind daher als klassisch zu bezeichnen. Der spezifisch systemische Ansatz mit seinem typisch hypothetischen und multiperspektivischen Setting kommt hier leider kaum zum Tragen. Auch wird die Erkenntnis, dass Diagnostik zugleicht eine Intervention ist, Information also "den Unterschied macht, der den Unterschied macht" (Bateson), kaum systematisch, und damit im eigentlichen Sinne systemisch, genutzt. 

Mit Coaching-Themen wie Transition, Führung, Strategie oder Selbstmanagement beschäftigt sich das sechste Kapitel. Hier werden zunächst allgemeine Hintergrundinformationen gegeben. Anschließend wird - wieder am Phasenmodell orientiert - das konkrete Vorgehen im Coaching-Prozess durchgegangen. 

Coaching in komplexen Situationen stellt das siebte Kapitel in den Mittelpunkt und bezieht sich damit zunächst auf triadische Konstellationen. Coaching und Mediation werden insofern deckungsgleich. Team-Coaching und kollegiales Coaching behandeln nun diverse Varianten. Wie das Konzept "Führungskraft als Coach" (Kapitel 8) funktionieren kann oder wo es an seine Grenzen stößt, wird differenzierter dargelegt und in einem Flussdiagramm veranschaulicht. 

Das letzte und neunte Kapitel thematisiert den Abschluss des Coaching-Prozesses. Wie wichtig dafür die Evaluation ist, wird zwar allgemein thematisiert, aber spezifische Evaluationsinstrumente - wie der Fragebogen S-C-Eval (Runde) oder die Arbeit mit Multiskalierungen (Szabó), die beispielsweise in den Coaching-Tool-Bänden (von Herausgeber Christopher Rauen) vorgestellt werden - fehlen im Handbuch. 

Das "Handbuch Systemisches Coaching" ist ein Praktikerbuch, das die Coach-Ausbildung begleiten kann und sich auch als Nachschlagewerk eignet. Es ist stringent umsetzungsorientiert geschrieben und bietet bewährte Methoden und Techniken an. Insofern ist es durchaus zu empfehlen. Was das Attribut "systemisch" betrifft, hätte sich der Rezensent allerdings eine stärkere und elaboriertere Konzeptionierung gewünscht.