Arist von Schlippe, Jochen Schweitzer

Gewusst wie, gewusst warum. Die Logik systemischer Interventionen.

Rezension von Thomas Webers

3 Min.

Viele Coaches rühmen sich hierzulande ihres systemischen Ansatzes, wie Siegfried Greif herausgearbeitet hat. Das scheint marketingtechnisch betrachtet, attraktiv zu sein. Doch es mehren sich Stimmen, die dies als eine weitverbreitete Oberflächlichkeit kritisieren. Seit vielen Jahren wird schon vor einer „Tool-Klempnerei“ im Coaching gewarnt. Das aktuelle Buch der beiden Altmeister systemischen Denkens Arist von Schlippe und Jochen Schweitzer – Professoren in Witten-Herdecke sowie Heidelberg – kann daher als Antwort auf diesen Vorwurf gelesen werden: Praktiker sollten nicht nur wissen, wie zirkuläre oder gar die Wunder-Frage gehen, sondern auch beantworten können, warum solche Fragen sinnvoll sind. Auf welcher erkenntnistheoretischen Basis sie entwickelt wurden. Und wann solche Fragen angebracht sind und was sie bewirken? Denn nur mit einem tiefen Verständnis ist es dem Praktiker möglich, auch einen Plan B zu entwickeln und flexibel sowie angemessen zu reagieren.

Damit schließen die Autoren auch an einen eigenen Vorgänger dieses Buchs an, das UTB-Taschenbuch „Systemische Interventionen“, das im Jahr 2009 erstmals erschienen ist und inzwischen in der vierten Auflage vorliegt. Das neue Buch der beiden Autoren wird sicher ebenso beim Publikum einschlagen, denn es ergänzt den Vorläufer optimal.

Von Schlippe und Schweitzer liefern mit  „Gewusst wie, gewusst warum. Die Logik systemischer Interventionen“ den Kontext, die erkenntnistheoretischen und systemtheoretischen Grundlagen für eine gelingende Praxis. Dazu gehört der Konstruktivismus, aber nicht die radikale Variante, jeder Mensch eine Insel, die in manchen Praktikerzirkeln noch immer herumspukt, sondern die geläuterte soziale: Wir werden sozialisiert, leben immer in sozialen Bezügen, benutzen weitgehend die gleiche Sprache, teilen die gleiche Kultur. Ebenfalls gehört die Systemtheorie dazu. Oder sind das etwa verschiedene Ansätze, die man unterscheiden kann? Neben der Theorie sozialer Systeme lernen die Leser die Theorie komplexer dynamischer Systeme sowie narrative Theorien kennen. Der Sinnbegriff erweist sich dabei als übergreifende Klammer. Hierin zeigt sich die inhaltliche Nähe zur Personorientierten Systemtheorie von Jürgen Kriz.

Im dritten Kapitel werden die Logiken systemischer Interventionen dargestellt. Es sind zehn an der Zahl:

  1. Erwartungen und Wünsche wollen aufgegriffen werden, wozu es eine Bündnisrhetorik braucht, die Sicherheit gibt.
  2. Der Verzicht auf zielgerichtete Veränderung öffnet den Raum für Selbstorganisation.
  3. Der Verzicht auf personenbezogene Zurechnung bedeutet jedoch nicht, in Verantwortungslosigkeit zu verfallen.
  4. Ein engagierter Austausch von Wirklichkeitsbeschreibungen führt zwangläufig zum Diktum Heinz von Foersters: Vermehre die Möglichkeiten!
  5. Erwartungs-Erwartungen sind ein Nebel, der gelichtet werden will.
  6. Es wird alles immer nur von einem Beobachter gesagt, es gibt keinen archimedischen Punkt außerhalb unserer Welt.
  7. Problemtrancen gilt es aufzuhellen und zu verstören.
  8. Alternative Geschichten wollen gefunden werden.
  9. Anwalt der Ambivalenz zu sein, bedeutet, einen gesunden Skeptizismus zu pflegen.
  10. Selbstreferenz: Lerne, ein guter Beobachter deiner selbst zu werden!

Im vierten Kapitel werden Settings systemischer Interventionen ausgebreitet: Von der Familie über die Paarbeziehung, Einzelpersonen (Coaching), die Mediation bis zu Settings im Kontext Organisation. Wie schon im Kapitel zuvor erfolgt dies nicht, ohne immer wieder kleine Fallvignetten einzustreuen, so dass sich die Leser bildlich vorstellen können, was die Prinzipien in der Praxis bedeuten sollen.

Fazit: Ohne Abstriche lesenswert und hilfreich – in Ergänzung zum Vorläuferbuch –, aber auch für sich alleine stehend.

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