Mary Beth O'Neill

Executive Coaching with Backbone and Heart. A Systems Approach to Engaging Leaders with their Challenges.

Rezension von Dr. Michael Loebbert

4 Min.

"Hands on!" - Wer von einem amerikanischen Buch zum Thema Executive-Coaching umsetzbare Praxisanleitung erwartet, wird nicht enttäuscht. Im zweiten Teil wird ein Phasenmodell für den Coaching-Prozess skizziert und im dritten geht es um die Rollengestaltung im Coaching von Führungsverantwortlichen und um spezifische Herausforderungen, wenn Führungskräfte Coaching als Format in ihr Handlungsspektrum integrieren möchten.
Der Hauptgrund für die Empfehlung ist O’Neills pragmatische Darstellung von zwei Kernkonzepten für Coaching. Sie nennt sie "Signatur Präsenz" und "System-Perspektive".

"Präsenz bedeutet, dass Du Dich selbst als Coach, Deine Werte, Deine Leidenschaft, Deine Kreativität, Deine Gefühle und Deine Urteilskraft einbringst ..." (S. 17). O’Neill versteht Präsenz des Coachs als Quelle dafür, Klientinnen in ihrer eigenen Präsenz zu fördern. Mehr als Rollenvorbild ist die "Signatur Präsenz" die persönliche Art der Beraterin, mit ihren eigenen persönlichen Herausforderungen, Stärken und Schwächen umzugehen. Mehr als Authentizität meint "Signatur Präsenz" zugleich die volle Verantwortung für die Coaching-Beziehung zu übernehmen: Eigene Ziele, eigene Sichtweisen, eigene Verletzlichkeiten zu behaupten, und zugleich den Klienten darin zu unterstützen. Mehr als Augenhöhe bedeutet "Signatur Präsenz", den Parallelprozess ("parallel journeys") von Berater und Klienten, Verbundenheit und Nähe, ihre jeweils eigene persönliche "Handschrift" zu entwickeln.
"System-Perspektive": Ein Führungsverantwortlicher berichtet davon, dass sein Team nicht die vereinbarten Ziele erreicht. Der Coach hat die Wahl, entweder stimmt sie in die Klage über die Unfähigkeit des Managementteams ein, oder sie bemerkt die Handlungsmuster ihres Klienten, die ihn "unausweichlich" in diese Situation gebracht haben. An vielen sprechenden Beispielen zeigt O’Neill, wie systemische Modelle wie "Kraftfeld", "Triangulierung", "Interaktionsmuster", "Kokreation" den Coach und den Klienten dabei unterstützen, neue handhabbare Lösungen zu erarbeiten. Darin beschreibt sie auch die Beraterin als Teil des Systems ihres Klienten im Beratungs-Klienten-System und die damit verbundenen Herausforderungen für die Beziehungsgestaltung.
Damit macht O’Neill einen Unterschied zu vielen anderen angelsächsischen Fach- und Ratgeberbüchern zum Coaching, die hauptsächlich Variationen des Ablaufs von Coaching-Prozessen mit unterschiedlichen Leitmetaphern verbinden. Sherpa-Coaching, Polarexpedition und so weiter. Mit der Anknüpfung an wissenschaftliche Theoriebildungen der Beziehungsgestaltung und der Systemtheorie rahmt sie die sonst üblichen pragmatischen Verkürzungen. Davon profitieren Leserinnen, nicht nur von rezepthaften Anleitungen, sondern für vertiefte Auseinandersetzung mit der eigenen Person und den eigenen Handlungsvorstellungen.
Und es gibt noch weitere Gründe, warum sich die Lektüre für Coaches (und auch ihre Kunden) lohnt: Beispielsweise "Live-Action Coaching". Darunter fasst O’Neill Arbeitsformate zusammen, in denen die Beraterin direkt im Handlungskontext der Klientin arbeitet: Entweder als Coaching zusammen mit dem Team des Klienten, als offenes Coaching des Klienten in seiner Handlungssituation oder als Begleitung des Klienten in seiner Herausforderung am Arbeitsplatz - wir nennen das auch "Shadowing". Coaching wird im System des Klienten transparent und in den Interaktionspartnern des Klienten selbst wieder als Coach ansprechbar.
Und auch dieser Grund zur Lektüre sei noch angeführt: Coaching ist mehr als eine private persönliche Beziehung von Coach und Klientin. Aus systemischer Sicht steuert die Beraterin die Verkürzung der persönlichen Coaching-Beziehung zugunsten von Nachhaltigkeit und strategischer Partnerschaft im System. Damit wird der Coach im Klientensystem wahrgenommen als Change-Agent, als ein strategischer Veränderungs- und Wertschöpfungspartner ("Business Partner").
"Rückgrat" und "Herz", eigener Standpunkt und beraterische Expertise, vereint mit emotionaler Verbindlichkeit sind aus Sicht von O’Neill die beiden Pole erfolgreichen Executive-Coachings. Das Buch ist in zweiter Auflage 2007 erschienen. Das spricht für die Haltbarkeit des gewählten Rahmens als Einführung in das Coaching von Führungsverantwortlichen durch eine in Nordamerika anerkannte und geschätzte Praktikerin.

Dr. Michael Loebbert

Programmleiter Coaching Studies FHNW – Fachhochschule Nordwestschweiz
www.coaching-studies.ch
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