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Halko Weiss, Michael E. Harrer, Thomas Dietz

Das Achtsamkeits-Buch. Grundlagen, Anwendungen, Übungen. Stuttgart: Klett-Cotta.

Rezension von Günther Mohr

4 Min.

Achtsamkeit ist zurzeit ein viel beachtetes Thema. In einer Welt von "noch schneller" und "noch mehr" bleibt für das Innehalten und Nachspüren kaum noch Zeit. Und wenn, dann muss aber schon etwas Gigantisches von außen geboten werden. Sonst wird weggezappt. Eine Hinwendung zur Betrachtung der eigenen inneren Welt stellt da schon eine arge Herausforderung dar. Die Beobachtung des Funktionierens des eigenen Geistes ist eine radikale Alternative, wenn üblicherweise äußere Bedingungen zur Ursache für alles gemacht werden.
Aber genau zur Innenbetrachtung fordern die Autoren Weiss, Harrer und Dietz in ihrem Achtsamkeitsbuch auf. Sie stehen in guter und langer Tradition. Denn sie beziehen sich auf die buddhistische Psychologie, wie die Autoren die Erkenntnisse des Buddhismus zum menschlichen Geist hier konsequenterweise nennen. Diese liefert eine Jahrtausende lang erprobte und überprüfte Vorgehensweise. Wurde aus der westlichen Welt lange verächtlich auf diesen Erkenntnisschatz der Menschheit geschaut, wird nun die Brücke geschlagen.
Dies ist gerade deshalb interessant, weil es in einer Zeit stattfindet, in der die beiden großen mit der buddhistischen Psychologie in Verbindung stehenden Länder der Welt, Indien und China, durch das Aufnehmen westlicher wirtschaftlicher Prinzipien einen großen wirtschaftlichen Aufschwung in Szene setzen. Im Westen entsteht heute die Brücke zu den fernöstlichen Erkenntnissen, Globalisierung im Austausch der Stärken. Auch durch die Ergebnisse der modernen Hirnforschung werden hier Gräben überbrückt. Achtsamkeit, Gelassenheit und Mitgefühl sind keine rein moralischen Aspekte, sie sind trainierbar und mit den modernen sogenannten bildgebenden Verfahren der Hirndiagnostik messbar.
Die Autoren gliedern das Buch in drei Abschnitte. Das erste ist "Achtsamkeit im täglichen Leben". Darin wird Achtsamkeit definiert als eine Art des Seins, als eine Haltung, mit ihren "technischen" Aspekten und mit ihren Zielen und Wirkungen. Aufmerksamkeitslenkung, Gegenwärtigkeit, Akzeptanz und der "innere Beobachter" zeichnen Achtsamkeit aus. Der wild herumschweifende Geist des "Monkey Minds" wird damit ersetzt. Sie setzen hier schon Achtsamkeit mit einigen mittlerweile populären Ansätzen wie MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction) in Verbindung. Im zweiten Kapitel geht es um "Achtsamkeit im Umgang mit der Innenwelt". Das dritte Kapitel thematisiert "Achtsamkeit in Psychotherapie und Coaching".
Gelenkte Aufmerksamkeit oder Achtsamkeit, wie die Autoren sie nennen, wird zu einer wesentlichen integrierenden Kompetenz der Menschen im 21. Jahrhundert. Dies gilt sowohl für die Haltung des Menschen zu sich selbst, als insbesondere auch für unterstützende Beziehung in der helfenden Situation wie zwischen Coach und Klient oder zwischen Therapeut und Klient. Auch auf Management- und Führungssituationen ließe sich das mühelos übertragen.
Eine ganze Reihe selbst klassischer Therapieschulen wie die Verhaltenstherapie hat heute in ihre Arbeit Elemente des Achtsamkeitstrainings integriert. Auch viele Erkenntnisse der Psychoanalyse werden im neuen Licht betrachtet plausibel. Weiss, Harrer und Dietz kommen selbst aus der Tradition der humanistischen Psychologie. Sie stellen mit dem Achtsamkeitsbuch eine gerade bei diesem oft esoterisch überfrachteten Thema sehr solide Ausarbeitung vor, die das Thema aus vielerlei Hinsicht begründet.
Das Buch ist sehr empfehlenswert. Dies gilt besonders für alle, die sich für eine praktische Umsetzung von Achtsamkeit in ihrer Arbeit, aber auch in ihrem sonstigen Leben interessieren. Es ist solide und mit viel Fundierung recherchiert, gibt immer wieder kurze Erklärungen einzelner Konzepte, in kleinen, abgesetzten Kästen dargestellt. Übungsvorschläge lassen das Ganze praktisch werden. Was ich persönlich als Kriterium an ein Buch über Achtsamkeit an Anforderung stelle, ist außerdem, während des Lesens gleichermaßen innerlich ruhig zu werden und interessiert dran zu bleiben. Und diese Kombination schafft das Buch in hervorragender Weise.
Natürlich könnte man sich auch noch einiges wünschen. Aber das Buch ist ganz schön rund so, wie es ist. Deshalb sollte jetzt nur der weiterlesen, der sich dies schon gemerkt hat: Zusätzlich könnte man anmerken, über eine Reduzierung der Hervorhebung der Hakomi-Methode am Ende des Buches nachzudenken. Sie ist trotz der offensichtlichen Vorliebe eines Autors ein nicht so verbreiteter Ansatz. Nachdenkenswert wäre auch noch ein direkterer Bezug der guten Übungen nach den Kapiteln zu spezifischen Zielen. Denn sie sind doch eher etwas für den Einsatz durch erfahrene Leute. Aber betrachten Sie diese Bemerkungen als einen Zug der wesentlichen Gewohnheit, immer noch etwas Weiterzuverfolgendes auszumachen, nicht als eine Schmälerung des Aussagegehaltes des Achtsamkeitsbuches.

Günther Mohr

Hofheim
www.mohr-coaching.de