Astrid Schreyögg

Coaching von Doppelspitzen. Anleitung für den Coach. Frankfurt/M.: Campus.

Rezension von Dr. Christopher Rauen

6 Min.

In ihrem neuesten Werk zeigt die Coaching-Expertin Dr. Astrid Schreyögg, wie ein Coach mit "Doppelspitzen", d.h. einem sich offiziell oder auch inoffiziell die Leitungsfunktion teilendes Führungsduo, arbeiten kann.

Das Buch untergliedert sich in zwei Teile. Im ersten Teil wird eine Einführung in das Thema Coaching gegeben und es werden grundlegende Aspekte wie z.B. Begriff, Funktion, Zielgruppen, Anlässe, Rollen des Coachs und Settings thematisiert. Weiterhin werden die unterschiedlichen Konstellationen von formellen und informellen Doppelspitzen dargestellt.
Im zweiten Teil des Buches beschreibt die Autorin dann die typischen Konfliktsituationen, mit denen Doppelspitzen konfrontiert sind. Dabei wird erläutert, welche Ursachen die Konflikte haben und wie diese Konflikte im Coaching diagnostiziert werden können. Den Abschluss des Buches bilden zahlreiche Anregungen, wie Konflikte innerhalb einer Doppelspitze im Coaching bearbeitet werden können.
Das Buch macht deutlich, dass Doppelspitzen oft gar keine "Notlösung" sind, sondern sogar recht häufig bewusst gewählt werden. Eine typische Ausgangssituation dafür liegt z.B. vor, wenn sich zwei freiberufliche Fachleute wie z.B. Rechtsanwälte, Steuerberater, Mediziner, Psychotherapeuten usw. zusammenschließen, insbesondere bei Existenzgründungen. Jeder der beiden Fachleute möchte sein finanzielles Risiko minimieren, sucht nach fachlicher und persönlicher Ergänzung, traut sich ohne den anderen eine Firmengründung nicht zu oder strebt manchmal auch schlichtweg aus Sympathie eine Zusammenarbeit an. Dabei werden sehr häufig die rationalen Gründe von emotionalen Gründen überlagert. Dies kann jedoch problematisch werden, weil emotionale Faktoren eine höhere Auffälligkeit für schwere Konflikte nach sich ziehen können. Wenn die "gefühlte Grundlage" verloren geht, führt dies zu starken Enttäuschungen, die wesentlich intensiver sind, als bei Sachproblemen.
Aber nicht nur bei Freiberuflern, sondern auch in Organisationen verschiedener Art finden sich Doppelspitzen. Die Gründe dafür - und die daraus resultierenden Probleme - sind unterschiedlich und seien übersichtsartig dargestellt, um die
Themenvielfalt des Buches zu veranschaulichen:
In manchen politischen Parteien gibt es z.B. Doppelspitzen, weil die ideologische Orientierung eine breite Verteilung von Macht wünscht oder damit unterschiedliche "Flügel" in einer Partei repräsentiert werden sollen. Eine Folge davon sind "Flügelkämpfe", d.h. die Rolle verlangt von den Rolleninhabern als Repräsentanten unterschiedlicher Meinungen faktisch den Konflikt.
Auch in Staatsbetrieben finden sich bedingt durch parteipolitische Einflussnahmen Doppelspitzen. Bei der Regierungsübernahme durch Koalitionen werden zuweilen die Führungsposten jeweils durch einen Vertreter der einen und der anderen Partei abgedeckt, um so eine Parität zu erzeugen. In der Folge führt dies aber dazu, dass parteipolitische Interessen in die Betriebe hineingetragen werden und die von der Doppelspitze ausgehende Pattsituation zu einer faktischen Lähmung der gesamten Organisation führen kann.
Bei Gemeinschaftsprojekten von Konzernen oder Nationen sind Doppelspitzen gar eine "Pflicht", um ein auf der symbolischen Ebene ein "Gleichgewicht" zu demonstrieren. Die unterschiedlichen Interessen der Protagonisten bzgl. Prestige, Einflussnahme, Erfolgs- und Misserfolgszuschreibungen, Gewinnverteilungen usw. führen mit schöner Regelmäßigkeit zu regelrechten "Hahnenkämpfen".

In Familienbetrieben werden Doppelspitzen beim Generationenwechsel etabliert, z.B. wenn der Senior den Junior einarbeitet, letztlich aber nicht loslassen mag. Die darin faktisch enthaltene Untergrabung der Autorität des Juniors führt dann nicht nur zu betrieblichen Störungen, sondern macht eine geregelte Betriebsübergabe teilweise unmöglich, weil der Junior zu stark in seinem innerbetrieblichen Ansehen beschädigt wurde.
In Tendenzbetrieben (z.B. religiös geprägte Einrichtungen) finden sich oftmals Doppelspitzen, die aus einem Theologen und einem Betriebswirt bestehen. Während letzter für den faktischen Betriebsablauf sorgt, ist der Theologe als "Kulturhüter" für den weltanschaulichen Zusammenhalt zuständig.

Im Gesundheitsbereich arbeiten z.B. Mediziner und Kaufleute zusammen, um den zunehmenden wirtschaftlichen Druck in der Branche gerecht werden zu können. Aber auch in vielen anderen Branchen führte und führt der Kostendruck zu Konstellationen, dass einer Fachkraft (z.B. einem Ingenieur) ein Betriebswirt zur Seite gestellt wird. Die unterschiedlichen Sichtweisen haben früher in solchen Konstellationen zu erheblichen Konflikten geführt.
In Matrixorganisationen existieren Doppel- und Mehrfachspitzen, weil z.B. eine hierarchische Aufbauorganisation nicht gewünscht ist. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die meisten Matrixorganisationen entweder nicht funktionieren oder sich innerhalb der Matrix eine informelle (althergebrachte) Hierarchie etabliert.

Doppelspitzen auf höchster Ebene werden auch bei übernahmen und Fusionen installiert. Bei Übernahmen sind Doppelspitzen oftmals nur scheinbar Vorhanden. Um den "Schein zu wahren" wird dann eine solche Schein-Doppelspitze (meist nur temporär) installiert. Symbolisch möchte man die Demotivation der Mitarbeiter des aufgekauften Unternehmens verhindern - bzw. den Abgang der besten Mitarbeiter zur Konkurrenz. Bei den (seltenen) Fusionen auf gleicher "Augenhöhe", kann es sich um echte Doppelspitzen handeln. Auch hier möchte man den Mitarbeitern beider Organisationen vermitteln, dass beide Ursprungsorganisationen wichtig waren und somit in der Leitung auch repräsentiert sind. Problematisch bleibt bei Fusionen immer die meist unterschiedliche Unternehmenskultur, die oft über Jahrzehnte gewachsen ist. Ohne die Fähigkeit der Doppelspitzen-Manager, sich an die jeweils andere Kultur anzunähern, ist eine konstruktive Zusammenarbeit unwahrscheinlich.
Ferner werden Doppelspitzen auch bewusst angestrebt, um damit eine Tradition aufrecht zu erhalten. Z.B. wird dies manchen Genossenschaftsbanken praktiziert, um damit die Idee der Risikominimierung zu pflegen.

Auch werden Positionen doppelt besetzt, weil man schlicht und ergreifend die Sorge hat, dass ein guter Mitarbeiter (samt seinem Fachwissen) das Unternehmen verlassen könnte. Ähnliches gilt für Teilzeitkräfte, wo aus einer Vollzeitstelle zwei Halbtagsstellen gemacht werden, um die Mitarbeiter halten zu können.
Eine besondere Form von Doppelspitze liegt hingegen vor, wenn dies gar nicht organisatorisch angestrebt wurde, sondern sich faktisch ergeben hat. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn in Organigramm nur eine Führungskraft verzeichnet ist, tatsächlich jedoch eine informelle Führungskraft im Hintergrund erheblichen Einfluss ausübt. Die Machtbasis beider Führungskräfte ist dann unterschiedlich legitimiert: Während die offizielle Führungskraft formal ernannt ist, führt die inoffizielle Führungskraft auf der Basis ihrer sozial-emotionalen Verankerung im Unternehmen. Derartige informelle Phänomene finden sich z.B. in hoch formalisierten Organisationen, d.h. oftmals Behörden. Weil diese hochformalisierte Organisationen bei tatsächlicher Einhaltung des Dienstweges meist nicht mehr handlungsfähig wären, kristallisiert sich eine informelle Struktur heraus, die die formellen Regeln stillschweigend außer Kraft setzt.
Interessanterweise kann jedoch ebenso beobachtet werden, dass sich auch in Organisationen mit zu geringer formaler Struktur (und flachen Hierarchien) informelle Strukturen herausbilden.

Im einen als auch im anderen Fall ist jedoch leicht vorherzusagen, dass das rivalisierende Aufeinanderprallen von formellen und informellen Führern erheblichen Einfluss auf die (Dys-)Funktionalität einer Organisation ausüben kann.
Insgesamt gesehen handelt es sich bei dem Buch um eine spannende Synthese der Themen "Führungsdyade", "Konfliktlösung & Mediation" und "Coaching". Das Buch bietet daher ein hoch interessantes Schnittfeld und eröffnet damit ein neues Feld im Coaching. Anhand der beispielhaften Fallschilderungen kommt neben theoretischen Ausführungen die Praxis nicht zu kurz.

Dr. Christopher Rauen

www.rauen.de
 

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