Peter Müri, Barbara Steiner

Coaching auf den Punkt gebracht. Rüstzeug für den Praktiker. Bern: HEP.

Rezension von Thomas Webers

5 Min.

In der Einleitung erklären die Autoren, dass sie Gegner einer Normierung des Coaching-Prozesses seien. Coaching basiere nach ihrem Verständnis weniger auf Methoden, Wissen und Können, sondern vor allem auf der erfolgreichen Haltung. Ein Standpunkt, der bedenkenswert ist und einiges für sich hat, der allerdings auch eine gewisse Ambivalenz beinhaltet. Die Autoren zeigen nach Ansicht des Rezensenten im Buch selbst auf, warum diese Meinung nur teilweise richtig ist, und dass ein "Sowohl als auch" durchaus angebracht wäre.
Das Buch besteht aus zwei Teilen: In einem ersten Teil geht es um das sogenannte Rüstzeug. Der zweite Teil dokumentiert zwei Coaching-Prozesse. Die Autoren empfehlen, mit dem zweiten Teil zu beginnen, weil man dann vielleicht besser verstehe, wovon im theoretischen Teil die Rede sei. - Schon seltsam, wenn das Buch doch mit Teil 1 beginnt... - In diesen dokumentierten Fallberichten wird kontinuierlich zwischen wörtlicher Rede und Reflexion (Metaebene) gewechselt. In Textkästen werden methodische Interventionen fortlaufend erklärt. Dies ist ein strikt empirischer Zugang, der die Leser sozusagen an die Hand nimmt. Das Vorgehen kann plastisch nachvollzogen werden, man schaut dem Coach nicht nur über die Schulter, sondern erhält quasi einen permanenten Kommentar zum Geschehen. Das ist absolut hautnah und plausibel. Der Nachteil: Es ist ein Monolog! Und ein One-best-Way. Der Leser lernt als Schüler vom Meister. Ein Austausch, eine kritische Diskussion, findet nicht statt. Der Coach muss sich vor dem Leser nicht rechtfertigen, warum er gerade Methode X angewandt hat und warum nicht Methode Y; der Coach spricht unangefochten in der ersten Person. Vor- und Nachteile, Risiken und Nebenwirkungen des Methodeneinsatzes bleiben weitgehend unklar. Dass heißt, das Konzept bleibt unklar und dabei gehen beim Rezensenten natürlich sämtliche Warnlampen an. Die "Haltung" alleine muss also komplett die Professionalität begründen. Der Meister darf brillieren, der Schüler staunen - aber er begreift nicht. Denn dazu bräuchte es Wissen und Erfahrung.
Im ersten Teil wird zunächst das eigene Coaching-Verständnis, dann das Thema Haltung erläutert. Im dritten Kapitel werden Coach und Klient als Teilnehmende besprochen, deren Interaktion als dritter Part - als das Dazwischen - zu berücksichtigen sei. Der Bezug zur Philosophie Martin Bubers, der als Vorläufer der Systemtheorie, insbesondere von Gregory Bateson gilt, erscheint hier allerdings rein zufällig und ist offensichtlich den Autoren unbekannt.
Das nächste, vierte Kapitel befasst sich mit Denkmodellen. Es enttäuscht komplett. Auf mal eben einer oder anderthalb Seiten werden stichwortartig Paradigmen vorgestellt, die durchaus mehr Tiefgang verdient gehabt hätten. Da geht es in einem Parforceritt um das "neue Weltbild" Konstruktivismus oder um Klientenzentrierung oder Ressourcenorientierung, dass es dem Rezensenten nur so schüttelt. Innerhalb von vier Zeilen kommen die Autoren von Counseling über Pacing zu Flow; das kann man bestenfalls als name dropping durchgehen lassen, von fundierter Einordnung ist das meilenweit entfernt. Die Konzepte bleiben äußerst blass und werden durchaus eigenwillig vorgestellt. Dabei fällt auf, dass es Seitenhiebe gibt in Richtung lösungsorientierten und konstruktivistischen Ansatz. Man kann ja eine Menge diskutieren, aber wenn die Autoren noch nicht einmal den Namen des Gründers des hypnotherapeutischen Ansatzes, Milton Erickson, korrekt schreiben können, nimmt der Rezensent ihnen einfach nicht ab, dass sie sich in dieser Materie wirklich auskennen.
Und dies ist nun kein Firlefanz. Denn was nutzt es, Methoden anzuwenden (s. Teil 2 des Buchs), wenn man die Konzepte dahinter nicht versteht? Stattdessen warten nun die Autoren als nächstes mit einem Prozessmodell auf: KAKRI. Der Coaching-Prozess ist für die Autoren nichts anders als ein "Schnüffelprozess" - Kontrakt, Abholen, Kern erfassen, Ressourcen suchen und Implementieren. Ein Metamodell, um die ganzen theoretischen Konzepte über einen gemeinsamen Leisten zu mainstreamen. Man versteht, die Autoren haben offensichtlich den ultimativem Überblick und packen den Rest der Welt in ihre eigenen Kästchen - sie nennen das "Coaching auf den Punkt bringen". Aha. Dabei werden immer wieder bestimmte Therapieschulen abgewatscht, überraschenderweise werden aber die Methoden dieser Schulen (lösungsorientierte, systemische) selber immer wieder rezipiert, was irritiert.
Im Kapitel "Switch - das Geheimrezept" wird dem Leser nun das Umlenken der Aufmerksamkeit als List des Coachs, dem Veränderungswiderstand des Klienten zu entgehen, präsentiert. Da schau an, never heard before... Als die vier Switch-Verfahren werden Methoden-, System-, Innen-außen- und Konfrontations-Switch dargestellt. Im achten Kapitel werden Klippen und Gefahren, im neunten Coaching-Formen kurz vorgestellt und im zehnten wird erläutert, warum man Coaching nicht lernen müsse, weil man als Coach ja stets unterwegs und nie am Ziel, das Ergebnis immer relativ sei und weder Coach noch Klient gültig beurteilen könnten, ob eine gefundene Lösung richtig oder falsch sei. An dieser Stelle kann der Rezensent nicht anders als sein "nicht einverstanden" zu artikulieren, viel zu viel Willkür ist hier für die Bilanzierung des Coaching-Erfolgs für den Coach reserviert.
Resümee: Im theoretischen Teil ein enttäuschendes Buch. Für Anfänger mag der Teil 2, also die Fallbeispiele, anregend wirken; nur sollte man nicht vergessen, dass der eigentliche Arbeitspart für angehende Coachs erst im Anschluss zu leisten ist. Novizen seien damit gewarnt: Ein Drehbuch macht noch lange keinen Film.






Thomas Webers

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