Beruf Coach

Wer hat Angst vor der KI?!

Über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz und ChatGPT im Coaching

Spätestens seit der Veröffentlichung der Web-App „ChatGPT“ ist Künstliche Intelligenz (KI) in aller Munde und erfreut sich großer Beliebtheit. Die Berichte über Möglichkeiten und Einsatzgebiete sind unzählig und so macht KI auch vor dem Thema Coaching nicht halt. Dieser Artikel soll eine kurze Einführung in KI und deren Funktionsweise geben. Des Weiteren werden Beispiele vorgestellt, wie Coaches KI nutzen können, ohne über Vorkenntnisse verfügen oder kostenintensive Anschaffungen tätigen zu müssen. Der Fokus liegt dabei ausschließlich auf sogenannten Large-Language-Models (LLM).

11 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 03 | 2024

Grundlagen von KI und Funktionsweisen von LLM

KI ist kein Computerprogramm, das mit einem Algorithmus programmiert, sondern ein neuronales Netzwerk, das mit sehr großen Datenmengen trainiert wurde und weiter lernt. Die Unterschiede der einzelnen LLM-KI liegen an der Größe der Netzwerke und Datenmengen, mit denen sie trainiert wurden.

Bei einem Computerprogramm gibt es einen Code, der programmiert ist und zu einem Ergebnis/Output führt. Die KI dagegen produziert ihr Ergebnis selbst: Man gibt einen Input und erhält einen Output. Es lässt sich aber nicht erklären, wie es zu diesem kommt, da das neuronale Netzwerk viel zu groß ist, um den Entstehungsprozess des Ergebnisses nachvollziehen zu können (Stichwort „Blackbox“).

Auf einen Blick

  • Large Language Models sind große generative Sprachmodelle mit Künstlicher Intelligenz.
  • Bei einer KI hängt die Qualität des Outputs von der Qualität des Inputs (Prompts) ab.
  • Mit Hilfe einer KI kann die Arbeit eines Coachs vereinfacht und verbessert werden. Beispielsweise kann sie Coaches als Rollenspielpartner und Reflexionsmedium dienen.

Bei LLM werden Texte generiert (deshalb auch „generative KI“), indem die KI Wörter aneinanderreiht, die mit großer Wahrscheinlichkeit zueinander passen. Hinter dem produzierten Text steckt also kein „Wissen“, sondern statistische Berechnung (vgl. Rüll, 2023). Je präziser der Input gegeben wird, desto besser ist der Output. Den Input, den ein Mensch an die KI gibt, also z.B. die Eingabe, die man bei ChatGPT tätigt, nennt man Prompt.

Zusammengefasst: Der Unterschied zum herkömmlichen Algorithmus und Programmieren liegt darin, dass KI ein komplexes neuronales Netzwerk ist. Ein Prompt wird durch das neuronale Netzwerk – also eine Blackbox – verarbeitet und Output generiert. Die Qualität des Outputs hängt auch von der Qualität des Prompts ab. Die Faszination an KI besteht darin, dass sie sich in allen Themengebieten gut auskennt. Für Laien lässt sich die Qualität des Outputs oft nur schwer bewerten, da die Ergebnisse plausibel erscheinen und sich nur – und wenn überhaupt – durch Fachexpertise falsifizieren lassen (vgl. Gebauer, 2023).

Ersetzt KI den Coach?

ChatGPT wurde mit über 5,7 Terabyte (entspricht 570 Gigabyte) trainiert (Spitzer, 2023). Eine unvorstellbare Menge an Text, die nur maschinell erlernt und nicht menschlich überprüft werden kann. Das heißt, dass die KI sämtliche Fachliteratur, unterschiedliche Coaching-Ansätze und zugrundeliegende Schulen kennt. ChatGPT ist also in der Lage, sehr gut Fragen zu formulieren, die Menschen in herausfordernden Situationen weiterhelfen können.

Allerdings ist der Vergleich von ChatGPT und einem Coach nicht ganz fair: ChatGPT als LLM, also sprachgestützte KI, beschränkt sich auf den schriftlichen bzw. von einer Computerstimme gesprochenen sprachlichen Kanal. Ein Coach hat im klassischen Face-to-Face-Setting hingegen mehrere Parameter zur Verfügung, die er mit der eigenen Intuition verarbeitet und in das Coaching miteinfließen lässt: para- und nonverbale Äußerungen, körperliche Zustände und Reaktionen, Mimik, Gestik, Tonalität etc.

Natürlich wäre auch denkbar, dass eine KI weitere dieser Parameter verarbeitet. Emotionserkennung an (Mikro-)Mimik via Kamera funktioniert heute schon, ließe sich also z.B. in einem Online-Coaching über Kamera implementieren. Genauso wie eine Spracherkennung, die paraverbale Signale und Tonalität blitzschnell analysiert und in den Coaching-Prozess miteinfließen lässt. Weitere Informationen, wie z.B. körperliche Stressreaktionen, messbar durch unter anderem die Herzfrequenz, ließen sich über die Kopplung der Fitnessuhr einbinden. Kurz gesagt: Je mehr Informationen eingebunden werden, desto besser werden die Antworten. Und menschliche Coaches müssen sich eingestehen, dass die KI die Fülle der einzelnen Parameter präziser und schneller verarbeiten kann als sie selbst.

Das Alleinstellungsmerkmal, das ein Mensch-zu-Mensch-Coaching bietet, ist die soziale, also zwischenmenschliche Begegnung. Die oben genannten körperlichen Reaktionen finden nicht nur beim Klienten, sondern auch beim Coach statt. Diese können genutzt werden, um einen menschlichen Resonanzraum zu öffnen, in dem der Klient reflektieren kann.

Zugegebenermaßen wird je nach Schule vermutlich Widerspruch laut: Während ein gestalttherapeutischer Ansatz genau diese soziale Situation des Du und Ich im Hier und Jetzt nutzt, würde im psychoanalytischen Sinne davon vermutlich eher Abstand genommen.

Wie kann man KI als Coach nutzen?

Die Entwicklung der KI macht rasante Fortschritte, sodass die Frage, wie Coaches KI nutzen können, sich sehr schnell ändern kann. Die oben beschriebene Möglichkeit, KI mit mehreren Parametern zu füttern, um ein möglichst präzises, der Wahrnehmung des Menschen ähnliches Coaching zu ermöglichen, ist bisher mehr Fiktion als Realität – es bleibt abzuwarten, wie es sich in der nahen Zukunft entwickeln wird.

KI lässt sich nicht nur als Coach nutzen, sondern bietet auch enormes Potenzial, um die Arbeit der Coaches zu vereinfachen und zu verbessern. Das zeigen folgende Anwendungsbeispiele:

KI als Rollenspielpartner

KI eignet sich hervorragend, um als Rollenspielpartner zu dienen: So lassen sich Szenarien erstellen, um Sequenzen eines Coaching-Prozesses zu simulieren, und der Coach kann seine Gesprächsführung einüben. Das ist besonders in Situationen nützlich, in denen sich der Coach unsicher fühlt oder nicht genau einschätzen kann, was auf ihn zukommt.

Man könnte die KI beispielsweise anweisen, in die Rolle einer Klientin zu schlüpfen, die neu in einer Führungsposition ist und nun konflikthafte Situationen mit ihren Kollegen erlebt. Der Coach könnte so den Gesprächseinstieg und die Zielformulierung üben.

In einem anderen Szenario könnte der Gesprächseinstieg bei einem neuen Kunden geübt werden, bei dem man sich noch unsicher fühlt: Man füttert die KI mit den bekannten Informationen und weist sie an, die Rolle des potenziellen Kunden zu übernehmen, um das Erstgespräch zu simulieren.

KI als Reflexionsmedium

KI kann zu Reflexionszwecken dienen und Feedback zur Gesprächsführung geben. Es ist z.B. möglich, die oben genannten Rollenspiele zu nutzen und die KI zu bitten, eine Rückmeldung zu den Fragen sowie zur Gesprächsführung zu geben.

Eine andere Möglichkeit wäre es, echte Coaching-Fälle reflektieren zu lassen: Transkribierte Coaching-Verläufe können in die KI eingegeben und analysiert werden. Zu beachten sind datenschutzrechtliche Gesichtspunkte, die vorher aus den Transkripten entfernt werden sollten, um nicht auf Servern, die nicht DSGVO-konform sind, zu landen.

KI als Inspiration und Erweiterung des eigenen Repertoires

KI kann auch zur Nachbesprechung, also als Intervisions-/Supervisions-Medium genutzt werden. Die KI kann Vorschläge zum weiteren Vorgehen kreieren, die vom Coach übernommen oder zur Inspiration und Weiterentwicklung von Ideen genutzt werden können.

Auch das eigene Repertoire kann erweitert werden. Angenommen ein Coach lernt in einem Wochenendseminar den „Leeren Stuhl“ als Intervention der Gestalttherapie kennen und möchte wissen, wie diese Intervention angeleitet werden kann. Die KI könnte wieder als Rollenspielpartner genutzt werden: „Geh bitte in die Rolle als Coach und leite den Leeren Stuhl zu meinem Thema xy an.“ Ebenfalls könnte direkt nach Formulierungsvorschlägen gefragt werden: „Gib mir bitte Formulierungsvorschläge, wie ich den Leeren Stuhl als Intervention der Gestalttherapie anleiten kann.“

Grenzen der KI im Coaching

Die Grenzen der KI im Coaching liegen aktuell in der bislang kanalreduzierten Kommunikation. Bei ChatGPT wird mit Sprach- oder Texteingabe gearbeitet (wobei die Spracheingabe in Textform transkribiert und Tonalität etc. nicht berücksichtigt wird). Sie ersetzt nicht die zwischenmenschliche Begegnung und Interaktion eines Face-to-Face-Coachings. Es ist zwar denkbar, dass in naher Zukunft mehr Kanäle hinzukommen und ein KI-Coach menschenähnlicher wird (Stichwort Avatar oder Hologramm). Die Kopie eines Face-to-Face-Settings, in dem nicht mehr erkennbar ist, ob eine KI oder ein echter Mensch präsent ist, wird – wenn überhaupt – jedoch noch einige Zeit brauchen. Zudem stellt sich die Frage, ob dies überhaupt erstrebenswert ist und ob nicht gerade die zwischenmenschliche Interaktion und Arbeitsbeziehung im Face-to-Face einen Mehrwert für den Coaching-Prozess birgt.

Ein weiteres Beispiel: Übermäßige Nutzung von Social Media ist ein Risikofaktor für psychische Probleme wie z.B. Angst, Depression oder Vereinsamung, obwohl es die Chance bietet, mit unzähligen Menschen auf der ganzen Welt in Echtzeit in Kontakt zu stehen (vgl. Schairer, 2018; RSPH, 2017). Auch KI stößt im zwischenmenschlichen Kontakt naturgemäß an ihre Grenzen: Sie kann die Individualität menschlichen Handelns nicht ersetzen, denn jeder zwischenmenschliche Kontakt ist einzigartig.

Auch ist die Geschwindigkeit in der zwischenmenschlichen Interaktion sehr unterschiedlich: Mal geht es Schlag auf Schlag und die Dialogpartner fließen mit ihren Beiträgen ineinander über. Mal geht es aber auch langsam zu und es gibt stille Momente, in denen geschwiegen oder nachgedacht wird. In der Interaktion mit ChatGPT wird nach jedem Prompt innerhalb kürzester Zeit ein Output kreiert, der wiederum auf eine Aktivität des Nutzers abzielt. Ein kurzes Innehalten oder Schweigen findet nicht statt.

In der Praxis zeigt sich aktuell auch, dass ChatGPT sehr schnell dazu übergeht, Ratschläge und Handlungsanweisungen zu geben. Auch wenn dies vorher explizit in der Rollenspielanweisung genannt wurde, fällt es ChatGPT schwer, „non-direktiv“ zu agieren. Es bleibt abzuwarten, wie die Entwicklung weitergeht und welche Art von Coaching-Chatbots entwickelt werden, die eine professionelle Coaching-Gesprächsführung beherrschen. Mit ChatGPT 4.0 kann man sich bereits eigene GPTs bauen und mit Eigenschaften und Wissen versehen, wodurch auch persönliche Kommunikationsstile berücksichtigt werden können.

Fazit

Der niedrigschwellige Zugang zu KI für einen Großteil der Menschen ist ein enormer Fortschritt. KI ist ein Werkzeug, das für verschiedenste Zwecke genutzt werden kann: zerstörerische, erschaffende, schadende oder helfende.

Die drängende Frage ist also nicht, ob KI genutzt wird, sondern wie. Diese Frage betrifft alle gesellschaftlichen Kontexte wie z.B. das Bildungssystem, das Gesundheitswesen, die Forschung oder das Militär.

Neben technischen Aspekten und notwendiger Medienkompetenz sind auch ethische und datenschutzrechtliche Fragen zu diskutieren. Umso früher Coaches sich mit dem Thema KI auseinandersetzen, desto besser sind sie aufgestellt und können KI sinnvoll in ihre Arbeit integrieren. Bedarf an menschlichem Coaching wird es nach wie vor geben. Oder warum gibt es noch Personal Trainer im Sport, die für Einzelstunden teuer eingekauft werden, obwohl auf YouTube zu jeder Zeit, auf allen Sprachen und zu jedem Geschmack ein passendes Video verfügbar ist?

Checkliste: Tipps und Tricks für die Arbeit mit ChatGPT im Coaching-Alltag

  • Je besser der Input, desto besser der Output. Das präzise Formulieren der Prompts ist Grundvoraussetzung für ein gutes Ergebnis. Besser kurze Sätze statt Schachtelsätze, Füllwörter und Doppeldeutigkeiten gilt es zu vermeiden.
  • ChatGPT im Rollenspiel nutzen: Die KI kann mit Anweisungen gefüttert werden, bevor das Rollenspiel startet. Je mehr Informationen die KI hat, desto besser kann sie in die gewünschte Rolle schlüpfen.
  • Anregung statt Anleitung: ChatGPT produziert durchaus auch Falschaussagen und inkorrekte Informationen. Daher sollte man nichts 1 zu 1 übernehmen. Vielmehr können Ergebnisse als Anregung zur kritischen Reflexion und persönlichen Weiterentwicklung genutzt werden. Sie sollten aber stets kritisch hinterfragt werden.
  • Die kostenfreie Version 3.5 (Stand Februar 2024) liefert aufgrund der Trainingsdaten und Größe des neuronalen Netzwerks weniger gute Ergebnisse als die kostenpflichtige Version 4.0. Zudem bietet die Version 4.0 einen deutlich größeren Funktionsumfang: Analysieren von Textdateien, individualisiertes Erstellen einer eigenen „Coaching-Persönlichkeit“ mit dem GPT-Builder, Erstellen von Bildern, um beispielsweise eine Situation im Coaching-Prozess metaphorisch darzustellen.
  • ChatGPT funktioniert in der App auf dem Smartphone auch mit Sprachein- und Ausgabe. Dabei empfiehlt es sich, die Länge der Spracheingabe manuell über das Mikrofonsymbol zu kontrollieren, da die automatische Erkennung nicht viel Zeit für Unterbrechungen zulässt und ein flüssiges Sprechen ohne Pausen notwendig ist
  • Keine Angst vorm Ausprobieren: KI wird nicht an uns vorbeiziehen, sondern zum festen Bestandteil des Lebens werden. Die Kompetenz damit umzugehen, wird nicht von heute auf morgen vorhanden sein, sondern ist als Lernprozess zu verstehen, bei dem man sich stetig weiterentwickelt.
Die Infografik visualisiert die zuvor im Artikel genannten Tipps und Tricks für die Arbeit mit ChatGPT im Coaching-Alltag.


Dieser Text wurde ohne Verwendung von KI erstellt.

Literatur

Gebauer, J. (2023). „AlphaFold – how machine learning changed structural biology forever (or not?).” 37C3 Unlocked. Abgerufen am 20.01.2024: www.media.ccc.de

Rüll, A. (2023). „Lass mal das Innere eines Neuronalen Netzes ansehen!“ 37C3 Unlocked. Abgerufen am 20.01.2024: www.media.ccc.de

RSPH (2017). „Status of Mind: Social media and young people’s mental health and wellbeing“. Abgerufen am 01.03.2024: www.rsph.org.uk

Schairer, F. (2018). „Gut vernetzt – aber einsam?“ Deutschlandfunk. Abgerufen am 01.03.2024: www.deutschlandfunk.de

Spitzer, M. (2023). Künstliche Intelligenz. Dem Menschen überlegen – wie KI uns rettet und bedroht. München: Droemer.

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