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Coaching in der Lehrerbildung

Professionsbezogenes Coaching als Bestandteil der 2. Phase der Lehrerbildung in NRW

Mit dem Lehrerausbildungsgesetz von 2009 wurden in Nordrhein-Westfalen die Weichen für die Lehrerausbildung neu gestellt. Das umfangreiche Gesamtkonzept der Reform hat in Sachen Lehrerausbildung auch im Ländervergleich neue Maßstäbe gesetzt. Eines der Reformelemente dabei ist die „Personenorientierte Beratung mit Coaching-Elementen“: ein professionsbezogenes Coaching, das verpflichtender Bestandteil in einem speziell geschaffenen benotungsfreien Raum des Vorbereitungsdienstes für Lehrerinnen und Lehrer ist.

10 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 1 | 2014 am 19.02.2014

Intention und Implementierung

Lehrer* müssen heute über umfangreiche Kompetenzen verfügen. Sie sollen Unterricht effektiv gestalten und Lernprozesse nachhaltig anlegen, dabei erziehen, die Heterogenität von Lerngruppen intelligent nutzen und Kinder und Jugendliche möglichst optimal individuell fördern. Lehrer arbeiten in multiprofessionellen Teams, beraten Schüler, Eltern und Kollegen und agieren in oft hochkomplexen, fordernden Arbeitszusammenhängen. Dafür sind neben den berufsfachlichen Kompetenzen personale Kompetenzen von wesentlicher Bedeutung.

Vor diesem Hintergrund geht Nordrhein-Westfalen als erstes Bundesland einen viel versprechenden neuen Weg und unterstützt mit einem professionsbezogenen Coaching die individuelle Entwicklung der jungen Lehrerpersönlichkeiten, stärkt sie im Hinblick auf die Bereitschaft für ein lebenslanges Lernen und leistet mit dem Ansatz nicht zuletzt einen wichtigen Beitrag für die langfristige Gesundheit der Lehrkräfte.

Das darauf gerichtete neue Beratungsformat ergänzt die bewährte ausbildungsfachliche Beratung der Auszubildenden und fokussiert von Beginn des Vorbereitungsdienstes an auf die intensive, personenorientierte Begleitung der Auszubildenden im professionsbezogenen Entwicklungsprozess. Es findet in einem neu geschaffenen „benotungsfreien Raum“ statt: Lehrerausbilder geben – soweit sie im Coaching eingesetzt sind – ihren Auszubildenden zwar durchaus Rückmeldung zum Ausbildungsfortschritt (Maßstab sind die definierten Ziele des Vorbereitungsdienstes), benoten diesen aber nicht und werden auch nicht als Prüfer in den abschließenden Staatsprüfungen ihrer Klienten (Coachees) eingesetzt. Damit ist es möglich, ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Klient und Coach aufzubauen, das im Hinblick auf den Erfolg jedes Coachings als unverzichtbar gilt.

Nötige Ausbilderkompetenzen

Mit der Entscheidung für die Einführung eines professionsbezogenen Coachings im Ausbildungskontext für den Lehrerberuf stellte sich die zentrale Frage, wie die erforderlichen zusätzlichen Kompetenzen der Ausbilder in das Ausbildungssystem würden eingespeist werden können.

Das Ministerium für Schule und Weiterbildung entschied sich 2011 in einem Auswahlverfahren für das Qualifizierungskonzept der Kooperationspartner Soencksen & Teilhaber und WIBK (Wissenschaftliches Institut für Beratung und Kommunikation). Die maßgeschneiderte Konzeption auf der Basis des systemischen Coachings im Umfang von ca. 160 Ausbildungsstunden ist auf die Bedürfnisse der bereits beratungserfahrenen Zielgruppe (Ausbilder an den Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung/ ZfsL) abgestimmt und integriert deren Vorerfahrungen gewinnbringend. Nach einem Testlauf mit einer Pilotgruppe aus 25 bereits coachingerfahrenen Lehrerausbildern startete die groß angelegte Qualifizierungsmaßnahme im Herbst 2011.

Um das neue Beratungsformat flächendeckend und in der gewünschten hohen Qualität an allen 33 Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung mit den 106 lehramtbezogenen Seminaren in Nordrhein-Westfalen anbieten zu können, werden bis Ende 2013 rund 800 Ausbilder der Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung (ehemals Studienseminare) für das neue Beratungsformat qualifiziert.

Fragen und erste Erfahrungen

Als der erste Durchgang des reformierten Vorbereitungsdienstes im November 2011 startete, gab es noch viele organisatorische und inhaltliche Fragen rund um das neue Beratungsformat. Wie werden die angehenden Lehrer das neue Angebot annehmen? Wie kann das professionsbezogene Coaching ein verpflichtender Teil der Ausbildung sein? Welche Themen eignen sich für das Coaching und wer bringt die Themen ein? Wie viele Beratungen sollen und wie viele können im Laufe der Ausbildung stattfinden? Wie stellen die Coaches sicher, dass sie die Benotungsfreiheit überzeugend gewährleisten? Wie gehen die Coaches mit der neuen Rolle um? Wie verändern die neuen Aufgaben die Arbeit in den Seminaren und das Verhältnis der Ausbilder zueinander?

Im April 2013 hat die erste Kohorte von rund 4.000 Auszubildenden im reformierten Vorbereitungsdienst ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen. Die bisher gemachten Erfahrungen der Auszubildenden und der Ausbilder werden erhoben und systematisch ausgewertet. Parallel untersucht die landesweite großangelegte BILWISS-Studie die Implementation der Reformelemente und deren Wirksamkeit.

Schon heute kann gesagt werden: Coaching ist erfolgreich in der schulpraktischen Phase der Lehrerausbildung in Nordrhein-Westfalen eingeführt worden und wird von den Beteiligten durchgängig positiv bewertet und als Gewinn gesehen.

Herausforderungen und Qualifizierung der Ausbilder

Ausbilder im Vorbereitungsdienst für das Lehramt (dem Referendariat) sind von ihrer Herkunft Lehrer. Sie verstehen sich zunächst als Experten, die den Lehramtsanwärtern schulpraktisch relevante Inhalte vermitteln und sie bei der Durchführung von Unterricht unterstützen. Sie verstehen sich aber in der Regel nicht als Coaches, die angehende Lehrer bei der Bewältigung persönlicher Probleme unterstützen. Damit ist die Qualifizierung der Ausbilder als Coaches vor folgende Herausforderungen gestellt:

  • Ausbilder an den ZfsL verstehen sich als Berater im Sinne einer Expertenberatung im Bereich Schule. Coaching als Teil der eigenen Profession bedeutet hier einen Rollenwechsel und eine Veränderung der Einstellung: auf die Ressourcen des Klienten zu vertrauen, sich mit eigenen Vorschlägen zurückzuhalten, den Klienten zu unterstützen, selbst eine Lösung zu finden.
  • Auf der anderen Seite erfordern die Themen der Auszubildenden auf Seiten des Coaches durchaus Expertenwissen: Umgang mit Stress und Zeitmanagement, Nähe und Distanz zu Schülern auszutarieren, seine Position in neuen sozialen Systemen zu finden, Regelkreise in Konflikten aufzulösen.
  • Lehrkräfte sind nicht unbedingt eine einfache Zielgruppe. Wie es eine Ausbilderin in der als Vorbereitung durchgeführten Zielgruppenanalyse formulierte: „Lehrer sind es gewöhnt, es immer etwas besser zu wissen, als die, die vor ihnen stehen“.Schließlich ist es wichtig, ein gemeinsames Coaching-Verständnis zu entwickeln, das eine gemeinsame Basis für das Handeln in unterschiedlichen Schulformen und Regionen ermöglicht.

Konzept des Coaching-Angebots

Grundlage der Qualifizierung ist das Konzept des Systemischen Coachings im Anschluss an König & Volmer (2012). Es ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet:

  • Coaching wird als strukturierter Prozess in Anlehnung an das GROW-Modell von Whitmore verstanden, was die Anwendung und Vermittlung dieses Konzeptes erleichtert und sowohl Ausbildern als auch Lehramtsanwärtern eine klare Struktur bietet.
  • Coaching wird verstanden als Komplementärberatung, bei der die Klienten unterstützt werden, selbst neue Perspektiven und Lösungen zu entwickeln, bei der andererseits aber auch Ausbilder ihre Erfahrungen und ihre Anregungen einbringen können.
  • Im Blick auf die Themen liegt das inhaltliche Schwergewicht darauf, die Rolle der Auszubildenden in Bezug auf unterschiedliche soziale Systeme zu klären, eine Vision für die zukünftige Tätigkeit als Lehrer zu entwickeln, neue Perspektiven und bessere Coping-Strategien zu entwickeln, mit sich selbst verantwortlich umzugehen.

Coaching zu lernen heißt, Coaching selbst zu erfahren. Methodische Konsequenz daraus ist, fast ausschließlich mit realen Themen der Teilnehmer zu arbeiten. Sich untereinander zu coachen ermöglicht für Coach und Klient die Erfahrung einer realen Situation: Selbst zu erleben, wie das Überstülpen eigener Vorstellungen zu Abwehr führt oder wie andererseits Coaching als wirkliche Unterstützung erfahren werden kann.

Auf dieser Basis wurde ein Qualifizierungskonzept im Umfang von 18 Trainingstagen, ergänzt durch Gruppensupervision und Lerngruppen, entwickelt. Nicht zuletzt der Umfang hebt dieses Konzept deutlich von vergleichbaren Maßnahmen in der Lehrerfortbildung ab. Fortbildungen im Umfang von 3 oder 6 Tagen haben nicht die Nachhaltigkeit. Coaching, das ist eine der zentralen Erfahrungen der Teilnehmer, ist zum einen das Erlernen von Methoden, es ist aber insbesondere das Erwerben einer Haltung, was einen längeren Prozess des Übens, Erfahrens und Reflektieren erforderlich macht. Flankiert wurde die Qualifizierung durch Informationsveranstaltungen an den einzelnen Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung sowie eigene Qualifizierungen für die jeweiligen Dezernenten in den Bezirksregierungen, aber auch die beteiligten Personalvertretungen, um die Akzeptanz der Maßnahme im System zu sichern.

Evaluation

Die Auswertung von mittlerweile knapp 200 Veranstaltungen mit insgesamt ca. 3.900 Seminarrückmeldungen belegt, dass es gelungen ist, fast alle beteiligten Ausbilder zu erreichen. Auf einem Evaluationsbogen wurden sämtliche Veranstaltungen von den Teilnehmern quantitativ (4er Skala) und qualitativ bewertet.

Coaching in der Lehrerbildung: Auswertung

Abb.: Evaluation sämtlicher Veranstaltungen, Skala von 1 (sehr gut) bis 4 (unzureichend).

Die durchweg positive Bewertung dokumentiert eindrucksvoll die Zufriedenheit der – ansonsten durchaus kritischen – Teilnehmenden mit der Ausbildung. Vielfache Äußerungen in der qualitativen Rückmeldung belegen, dass das Konzept die Bedürfnisse der Zielgruppe abbildet und Wirkungen auch im Bereich der eigenen Persönlichkeitsentwicklung entfaltet.

Erfahrungen aus der Praxis

Am Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung in Siegburg werden die Lehrämter Grundschule, Sonderpädagogische Förderung und HRGe (Hauptschule, Realschule, Gesamtschule) ausgebildet. Coaching im beschriebenen Format wird seit 2011 durchgeführt. Inzwischen liegen in allen drei Lehrämtern Erfahrungen vor: „Ich hätte nicht gedacht, dass dabei so viel rauskommt“, „es ist irre, was alles möglich erscheint, wenn man die Gedanken da so vor sich liegen sieht“ – diese oder ähnliche Aussagen von Lehramtsanwärtern belegen ebenso wie erste Evaluationsergebnisse das Gelingen von Coaching im Rahmen des reformierten Vorbereitungsdienstes in der Lehrerausbildung.

Über 80 Prozent der Auszubildenden des ersten Durchgangs gaben an, dass ihnen die Personenorientierte Beratung geholfen habe, die individuellen Potenziale für die beruflichen Aufgaben als Lehrer bestmöglich zu entfalten. Sie stellten zusätzlich heraus, dass sich die fachlichen Beratungen durch Fachleitungen der einzelnen Unterrichtsfächer gut mit den Coachings durch überfachliche Ausbilder ergänzten, da Coaching deutlich andere Perspektiven in den Blick nehme, die Lehrerpersönlichkeit stärker fokussiere und Fähigkeiten entwickeln helfe, die die Auszubildenden im ihrem Studium häufig noch nicht erworben haben. 

Coaching ist verpflichtendes Element im Vorbereitungsdienst. Der Coach ist in der Regel nicht frei wählbar, sondern Personenorientierte Beratung ist an einen zugeteilten überfachlichen Seminarausbilder gebunden. Die Nichterfüllung der Faktoren „Freiwilligkeit“ und „freie Personenwahl“ die als grundlegend für Coaching gelten, wurde im Vorfeld heftig diskutiert. Ebenso die bestehende Asymmetrie durch das Ausbildungsverhältnis, auch wenn der Coach nicht an Benotungen beteiligt ist. Die Praxis zeigt, dass Coaching trotz dieser Einschränkungen gelingt. Allerdings müssen Ausnahmen möglich sein, wenn sich z.B. die Beziehung zwischen Coach und Klient als nicht tragfähig erweist.

Wahrnehmung des Coachings

Als wichtig hat sich erwiesen, zunächst ausreichend Zeit in die Aufklärung zu investieren. Wie immer im Coaching, spielt bereits dabei die Sprache eine wichtige Rolle. „Nehmen Sie sich eine Stunde Zeit, um mit einem erfahrenen Ausbilder an Ihren persönlichen Zielen, Potenzialen und Herausforderungen zu arbeiten“ motiviert viele Auszubildende mehr als der sachliche Hinweis auf die in der Ausbildungsordnung genannte Verpflichtung zur personenorientierten Beratung.

In den Sitzungen erleben die Auszubildenden Coaching dann als ziel- und ressourcenorientierte Beratung, die klare und nachvollziehbare Struktur des „GROW-Modells“ erweist sich als ein guter „Türöffner“. Als äußerst hilfreich schätzen die Lehramtsanwärter die Visualisierung und die Verschriftlichung von Zielen, Gedanken und Entwicklungsschritten ein. Hierdurch entsteht nicht nur Verbindlichkeit, sondern Coach und Klient können die persönlichen Veränderungs- und Entwicklungsprozesse besser im Blick behalten. Zudem unterstützt die schriftliche Fixierung die Arbeit mit dem Portfolio, einem ebenfalls neuen personenorientierten Element der aktuellen Lehrerausbildung. Schließlich können die angehenden Lehrkräfte das im Coaching erlebte strukturierte Vorgehen und die systemischen Sichtweisen und Interventionen selbst in ihrer eigenen Unterrichts- und Beratungspraxis nutzen.

Die Ausbilder der Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung waren berufsimmanent schon immer erfahrene und personenzentriert arbeitende Berater. Die Akzeptanz für ein zusätzliches Beratungsformat musste auf Seiten der Beteiligten daher zunächst geschaffen werden.

Dies gelang durch zahlreiche Informationsveranstaltungen, die die Institute WIBK und Soencksen & Teilhaber in vielen Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung durchführten, nicht zuletzt aber durch die Erlebnisse und Erfahrungen, die die Ausbilder in den professionell durchgeführten Lehrgängen zur Personenorientierten Beratung aber auch in den Coachings mit den Auszubildenden selbst sammeln konnten.

Dabei erwies sich das Konzept der Anbieter als sehr praxistauglich, da es als komplementäre Beratungsform Experten- und Prozessberatung nutzt und miteinander verbindet. Das heißt, die Feldkenntnis des Ausbilders wird, falls erforderlich, bereitgestellt ohne dem Klienten die Entscheidung für mögliche Lösungen und Veränderungsschritte abzunehmen.

Fazit

Durch Coaching hat die Lehrerausbildung in NRW ein neues und äußerst hilfreiches Element dazugewonnen. Lehrkräfte müssen jetzt und in Zukunft eine hohe Entwicklungs- und Veränderungsbereitschaft mitbringen für lebenslanges Lernen auf dem Weg zum guten Lehrer. Die Schüler in unseren Schulen und alle an den Ausbildung Beteiligten profitieren, denn systemisches Denken und Handeln erleichtern den Schul- und Unterrichtsalltag und unterstützt die persönliche Entwicklung angehender Lehrer.

Literatur

  • König, Eckard & Volmer, Gerda (2012). Handbuch Systemisches Coaching. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage . Weinheim: Beltz.

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