Wissenschaft

Linguistik und Coaching

Ein multidisziplinäres Forschungsprogramm 

Auch die Linguistik, die Wissenschaft der Sprache und Kommunikation, hat Coaching (endlich) als relevanten Forschungsgegenstand entdeckt. Während andere Formate professioneller Kommunikation wie Beratungsgespräche oder Psychotherapie-Gespräche seit einiger Zeit erfolgreich linguistisch erforscht werden, steckt die Erforschung von Coaching-Gesprächen immer noch in ihren Kinderschuhen und muss sich ihren Platz in den Reihen etablierter Forschungsthemen erst noch sichern.

13 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 4 | 2011 am 22.11.2011

Zum momentanen Zeitpunkt werden im deutschsprachigen Raum nur eine sprachwissenschaftliche Habilitation (es wird der Ansatz „Emotional-Intelligentes Coaching“ von Dietz Training und Partner linguistisch erforscht) und einige wenige Doktorarbeiten zur spezifischen Kommunikation im Coaching verfasst. Diese mangelnde Wahrnehmung steht zum einen im Zusammenhang mit alten linguistischen Traditionen, die mehr das System von Sprache im Blick hatten als sich ihrer Funktion als dem primären Kommunikationsmittel zu widmen. Zum anderen liegt die fehlende linguistische Wahrnehmung auch an der immer noch relativen Unbekanntheit von Coaching innerhalb der Geisteswissenschaften und damit verbundener Berufsfelder.

Bob Garvey von der Sheffield Business School definiert Coaching als „a conversation with a purpose”. Nun sind es ja Gespräche beziehungsweise deren Analyse, die einen Kernbereich der (angewandten) Sprachwissenschaft, genauer der Gesprächs- oder der Diskursanalyse, darstellen. Eine linguistische Erforschung von Coaching ist also naheliegend. Im Unterschied zu anderen Disziplinen, die sich ebenfalls mit Gesprächen oder Kommunikation beschäftigten, geht es in der Linguistik dabei nicht primär um eine inhaltliche Auseinandersetzung. Stattdessen stehen vor allem strukturelle und interaktive Phänomene im Mittelpunkt, also Fragen nach charakteristischen Frage-Antwort-Sequenzen – hier könnte man den Unterschied von Coaching zu Psychotherapie herausarbeiten – nach den zugrundeliegenden Handlungsschemata von Gesprächen, also der kommunikativen Ausgestaltung der verschiedenen Phasen eines Gesprächs oder auch Fragen nach den verschiedenen Strategien, mittels derer die Beteiligten ihre jeweiligen Agenden durchsetzen.

Charakteristika einer sprachwissenschaftlichen Analyse von Coaching-Gesprächen

Coaching ist sprachwissenschaftlich definiert zunächst ein Gespräch zwischen einem professionell Handelnden und einem nicht professionell Handelnden zum Zwecke der Unterstützung des Letzteren durch den Ersteren; und damit ein asymmetrisches Gespräch. Wie auch in der Psychotherapie oder anderen Beratungsformaten ist Sprache oder Kommunikation im Coaching sowohl das primäre Medium als auch die primäre Methode; Coaching entsteht somit erst in und durch das Gespräch zwischen Coach und Klient/in. Im Unterschied zu Alltagsgesprächen impliziert die professionelle Rahmung einen asymmetrischen Gesprächs-Aufbau (es existieren also unterschiedliche Beteiligungsvoraussetzungen und Verantwortlichkeiten), eine unterschiedliche Verteilung von Wissen und Macht (über das Eröffnen und Beenden des Gesprächs, über das Einbringen und Weiterbearbeiten von Themen etc.) und eine explizite Zielorientierung, die die Gestaltung des Gesprächs prägt. Daraus resultieren bestimmte kommunikative Aufgaben wie zum Beispiel Verständnissicherung auf der Gesprächsprozessebene, die den spezifischen Coaching-Aufgaben, beispielsweise der Klärung des Anliegens auf der Beratungsprozessebene, zugrunde liegen. Eine Beleuchtung dieser Ebene gewährt somit wichtige Einblicke in die Ebene des Beratungsprozesses.

Wie geht nun die Linguistik bei ihren Analysen von Coaching-Gesprächen vor? Zunächst einmal ist die sprachwissenschaftliche Herangehensweise eine qualitative; es geht nicht um die Häufigkeit bestimmter kommunikativer Phänomene, sondern um das Beschreiben ihrer interaktiven Ausgestaltung und Varianz. Darüber hinaus steht der Prozess selbst im Fokus, nicht aber die Frage der Ergebnisse. Für derart qualitative Prozessanalysen bedarf es spezifischer (und leider nur sehr schwer zugänglicher) Daten: Video- oder Audio-Aufzeichnungen authentischer Coaching-Gespräche, die zur Bearbeitung (vollständig) transkribiert, also sehr detailliert und zeitaufwendig verschriftet werden. Während das Erstellen eines Grob-Transkripts in einem Zeitaufwandsverhältnis von 1:25 (Originalgespräch zu Transkript) angesetzt werden muss, eine Minute gesprochene Coaching-Interaktion bedarf 25 Minuten Verschriftungsarbeit (!), liegt bei einem sogenannten Fein-Transkript der zeitliche Aufwand sogar bei einem Verhältnis von 1:90. Die Daten werden komplett anonymisiert, sämtliche Namen, Orte und andere, das Wiedererkennen von Personen und Unternehmen ermöglichende Details werden also abgeändert. Bei Workshops oder Veröffentlichungen werden außerdem nur kurze Ausschnitte aus den Daten verwendet, nie jedoch gesamte Sitzungen. Obwohl es auf Seiten von Coaches und Klient/innen im Vorfeld manchmal die Befürchtungen gibt, dass das Aufzeichnen den Prozess und den intimen Rahmen beeinflussen oder stören könnte, zeigt die bisherige Erfahrung, dass die Aufzeichnungen im Prozess selbst als Hilfsmittel oder gar als Intervention zum Einsatz kommen (können) und somit nicht mehr als den natürlichen Beratungsfluss beeinträchtigend empfunden werden.

Im Unterschied zu Verbatim-Protokollen anderer wissenschaftlicher Disziplinen, wo es vor allem um die inhaltliche Wiedergabe eines Gesprächs geht, liegt der Fokus bei der sprachwissenschaftlichen Transkription und Analyse auf der Mikro-Ebene, also auf den strukturellen und interaktiven Charakteristika von Gesprächen: Hörerrückmeldungen wie „mhm“ oder „ja“, Überschneidungen und gleichzeitiges Sprechen, Korrekturen, Abbrüche, (Mini-)Pausen und so weiter, geben als relevante Signale Auskunft darüber, wie gut Coach und Klient/in in Kontakt sind, wie die Beteiligten das vom anderen Gesagte verstehen, wo der interaktive Ursprung kommunikativer Probleme liegt und so weiter. Die in der ethnomethodologischen Konversationsanalyse aufgestellte Display-Rule besagt dabei, dass sich Gesprächsteilnehmer/innen fortlaufend signalisieren, wie sie das Gespräch interpretieren.

Das Gesprächsverhalten von Coach und Klient/in kann also als der wichtigste Indikator für zugrundeliegende (implizite) Gesprächsnormen und Probleme angesehen werden: Schon 1967 machten Paul Watzlawick und seine Kollegen in ihrem Buch „The Pragmatics of Human Communication“ auf die Wichtigkeit des „Wie“ im Verhältnis zum „Was“ der Darstellung aufmerksam. Besonders das „Wie“ liefert wertvolle Informationen über die Qualität der Coaching-Beziehung sowie des Coaching-Prozesses. Genau diese Mikro-Ebene von Coaching-Gesprächen wird aber zum momentanen Zeitpunkt in ihrer diagnostischen und interventionsrelevanten Funktion noch unterschätzt. Mit Hilfe der Konversationsanalyse, der Gesprächs- oder Diskursanalyse, der kritischen Diskursanalyse, der interaktionalen Soziolinguistik oder der Pragmatik werden Coaching-Gespräche entlang ihrer strukturellen, interaktionalen und thematischen Ebene beschrieben. Durch diese integrative Methode können mit Hilfe der Linguistik auch größere Phänomene wie etwa die Rolle von Gender im Coaching oder die Frage nach den aktuellen Strömungen in der Unternehmung erforscht werden, da sich all diese Phänomene ja auf der Gesprächsebene manifestieren.

Der konkrete Nutzen und das Potenzial für die Coaching-Praxis

Zum momentanen Zeitpunkt kristallisieren sich die folgenden drei Bereiche heraus, in denen Ergebnisse sprachwissenschaftlicher Arbeiten einen relevanten Beitrag leisten (können):

  • Die Ermittlung der Interaktionstypik, also des zugrunde liegenden kommunikativen Handlungsschemas von Coaching-Gesprächen, kann zur weiteren Formatbestimmung von Coaching und dadurch zur Abgrenzungsdebatte vor allem gegenüber Psychotherapie beitragen: Welche obligatorischen und fakultativen kommunikativen Bestandteile zeichnen Coaching aus? So gilt ja auch in der Psychotherapie die Therapeut-Klienten-Beziehung als die conditio sine qua non für eine erfolgreiche Therapie; eine zentrale Frage gilt also der (unterschiedlichen) kommunikativen Gestaltung der Beziehung Coach-Klient. Gleichzeitig kann die Ermittlung der „Shared Habitual Practices“, also der zugrundeliegenden Coaching-spezifischen kommunikativen Praktiken, einen relevanten Beitrag zur Professionalisierung von Coaching leisten. Professionen zeichnen sich durch typische wiederkehrende Praktiken aus, die im Falle der auf Kommunikation basierenden Beratungsberufe im Sinne von typischen wiederkehrenden kommunikativen Praktiken zu spezifizieren sind.

  • Erst eine Analyse authentischer Coaching-Gespräche erlaubt es aufzuzeigen, was sprachlich-kommunikativ unter weit verbreiteten Konzepten wie „Dialog auf Augenhöhe“, „Anliegenklärung“ oder auch „Beziehungsgestaltung“ aus der Praxis-Literatur zu verstehen ist und wie diese im Coaching-Gespräch konkret von den Beteiligten gestaltet werden. Die kommunikativen Fähigkeiten zur Erfüllung dieser professionellen Aufgabe sind dabei keine selbstverständlichen menschlichen Grundkompetenzen, sondern müssen, ebenso wie andere professionelle Coaching-Kompetenzen, erst erlernt oder geschult werden. Ergebnisse in diesem Bereich können und sollten deshalb in Aus- und Weiterbildungen einfließen, um das Vermitteln und Erlernen diese Konzepte zu konkretisieren. Sind dieser Konzepte in ihrer sprachlich-kommunikativen Realisierung erforscht, kann erfolgreicheres von weniger erfolgreichem Vorgehen unterschieden werden und so ein Beitrag zur Qualitätssicherung im Coaching geleistet werden. 
  • Schließlich generiert erst die linguistische Analyse der konkreten Kommunikation zwischen Coach und Klient/in Erkenntnisse über den Gesprächsprozess im Coaching, der dem Beratungsprozess zugrunde liegt und für das Gelingen oder Nicht-Gelingen desselben verantwortlich zeichnet. Diese auf das „Wie“ gerichtete Perspektive auf Coaching kann im Rahmen von Sensibilisierungsworkshops und ähnlichen Formaten erarbeitet werden. Im Unterschied zu den am Markt gängigen Rhetorik- und Kommunikationsseminaren geht es bei dem hier vorgestellten diskursanalytischen Vorgehen nicht um die Präskription einzelner kommunikativer Verhaltensweisen, sondern um das Bewusstmachen des Spektrums an Verhaltensalternativen, die Coach und Klient/ innen zur Bewältigung von kommunikativen Aufgaben wie Verständnissicherung, Beziehungsgestaltung und so weiter zur Verfügung stehen sowie um die generelle Sensibilisierung für die kommunikativen Prozesse auf der Mikro-Ebene.

Die sprachwissenschaftliche Erforschung von Coaching zu etablieren und ihr Potenzial für die Coaching-Praxis aufzuzeigen, ist jedoch kein leichtes Unterfangen.

Eine große praktische Herausforderung stellt dabei der schwierige Feldzugang, die Akquise von authentischen Gesprächsdaten, dar. Der zu schützende Rahmen sowie die Sensibilität der besprochenen Themen bedeutet für die Beteiligten ein zunächst verständliches Hemmnis, sich aufzeichnen zu lassen; auch die Anwesenheit einer Videokamera oder eines Mikrofons wird oftmals als störend eingeschätzt. Jedoch berichten all jene Coaches und Klient/innen, die sich aufzeichnen ließen, von überaus positiven Effekten wie eben der oben beschriebenen Möglichkeit, die Aufzeichnungen in den laufenden Prozess zu integrieren und sie so – als Feedback – für die konkrete Coaching-Arbeit nutzbar zu machen.

Die aufwendige Transkription und der generelle zeitliche Aufwand qualitativ-linguistischer Forschung sind ebenfalls an dieser Stelle als Hemmnis zu nennen. Die Pionierarbeit, die gerade von der entstehenden Habilitation und den Dissertationen geleistet wird, schafft aber eine Grundlage an sprachwissenschaftlichem Wissen und Konzepten zu Coaching, die dann in der Folge auf neue Fragestellungen und neues Material in weniger zeitintensiven Studien übertragen und adaptiert werden können. Dem (verständlichen) Ruf nach schnellen Ergebnissen für einen schnelllebigen Markt kann so in Zukunft besser Rechnung getragen werden. Gleichzeitig ermöglichen Transkriptionspools das Auslagern des zeitintensiven Verschriftens und erlauben es den Forscher/ innen, die Zeit für die Analyse selbst zu verwenden. Dies setzt jedoch ausreichend finanzielle Mittel voraus. Ein Punkt, der zur nächsten Herausforderung überleitet. Die Finanzierung sprachwissenschaftlicher Forschungsprojekte, deren Ergebnisse nicht an den Universitäten bleiben sollen und über diese finanziert sind, sondern die sich aus der Zusammenarbeit von Linguistik und Coaching-Praxis ergeben, muss ausreichend gesichert sein.

Eine wichtige Aufgabe für die Linguist/innen liegt darin, ihre Arbeit und den wertschätzenden und nach strengen ethischen Vorgaben gestalteten Umgang mit Coaching-Gesprächen in der Praxis bekannt zu machen, dadurch bestehende Befürchtungen zu zerstreuen, den Fokus auf den Mehrwert der linguistischen Forschung für Coaches, Klient/innen, Aus- und Weiterbildungsinstitute sowie Personalentwickler/innen zu lenken und vor allem auch die Bedürfnisse der Praxis kennenzulernen und als wichtige Grundlage in die Konzeption von Forschungsprojekten zu integrieren. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist ein Dialog auf Augenhöhe zwischen Praxis und Forschung, eine Kooperation bei der Generierung der Forschungsfragen und des -designs – und kein Beforschen von oben herab. Eine Plattform zum gegenseitigen Austausch und Kennenlernen bieten unter anderem die an der LMU in München stattfindenden Symposien der Forschungsgruppe LOCCS.

LOCCS – ein Dialog zwischen Praxis und Forschung

Die Forschungsgruppe LOCCS

The Linguistics of Coaching, Consulting and Supervision (LOCCS) wurde 2008 als transuniversitäre Forschungsgruppe von den Linguistinnen Yasmin Aksu, Dr. Eva-Maria Graf und Sabine Rettinger gegründet. Seit 2010 ist die Gruppe interdisziplinär aufgestellt; neben der Linguistik sind die Psychologie, die Erziehungswissenschaften und die Soziologie vertreten. Der Wissenschaftliche Beirat setzt sich zusammen aus namhaften Forscher/ innen der Universitäten in München, Mannheim, Bochum, Hamburg, Warwick (UK), Cardiff (UK) und Wellington (NZ). Neben einer interdisziplinären Erforschung von Coaching und anderen Beratungsformaten sind die enge Zusammenarbeit mit der Beratungspraxis (viele Mitglieder von LOCCS sind sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis verankert) und die Rückführung der Forschungserkenntnisse in die Praxis die erklärten Ziele von LOCCS.

Eine äußerst positive Resonanz auf ihre Arbeit erhielt LOCCS auf den beiden Symposien in den Jahren 2010 und 2011 an der LMU München, wo sich ein wachsender Kreis interessierter Forscher/ innen und vor allem auch Praktiker/ innen von der Arbeit, den Möglichkeiten einer Zusammenarbeit sowie der inhaltlichen Ausrichtung überzeugen konnten. Weitere Veranstaltungen, Publikationen, aber auch konkrete Angebote für Coaches, Berater/innen und Supervisor/innen im Sinne von Sensibilisierungsworkshops und so weiter sind in Planung oder schon im Angebot.

www.lmu.de/loccs

Kritik populärer Kommunikationsmodelle 

Eine weitere Schwierigkeit liegt im verständlichen Wunsch der Praxis neben schnellen, vor allem auch einfache Modelle und Konzepte an die Hand zu bekommen, mittels derer man das hoch komplexe Geschehen im Coaching und anderen Kommunikationssituationen herunterbrechen kann.

Das Vier-Seiten-Modell der Kommunikation von Friedemann Schulz von Thun – ein beliebtes und weitverbreitetes Modell auf dem Kommunikationsmarkt – ist hierfür ein klassisches Beispiel: Das Modell illustriert anschaulich, dass eine Äußerung unterschiedliche Funktionen oder Bedeutungen hat oder haben kann und dass Sprecher/in und Hörer/in mit einer Äußerung oft Unterschiedliches meinen oder verstehen. Der Erfolg des Modells liegt in seiner bestechenden Einfachheit und Prägnanz, das Modell ist leicht zu vermitteln, zu übernehmen und auf unterschiedlichste Kommunikationssituationen anzuwenden. Aus linguistischer Sicht ist es jedoch nicht hilfreich – vor allem für das Erklären und Lösen kommunikativer Probleme – Senden und Empfangen von Nachrichten auf Sprecher/in und Hörer/in aufzuteilen. Stattdessen geschieht Kommunikation im lokalen und sehr individuellen Aushandeln von Bedeutung zwischen den Beteiligten, wobei das gerade vom einen Gesagte als lokaler Kontext und damit Voraussetzung für das danach vom anderen zu Sagende darstellt. Die Relevanz dieser Prozessualität und Interaktivität von Gesprächen für das Gelingen von Kommunikation kann jedoch nur über die Analyse der Mikro-Ebene beschrieben werden. Entwickelt man als Coach aber ein Gespür für diese Ebene und für die Bedeutung kommunikativer Phänomene wie unter anderem Mikropausen und Hörerrückmeldungen, so sind solche und ähnliche Modelle – so hilfreich sie für andere Zwecke sein mögen – nicht mehr vonnöten.

Auch das Neurolinguistische Programmieren, kurz NLP, eine ebenfalls aus linguistischer Sicht in seiner kommunikationstechnologischen und simplifizierenden Herangehensweise an Gespräche kritisch zu bewertende Methode, ist an dieser Stelle zu nennen. NLP fußt auf zwei linguistischen Theorien – der Transformationsgrammatik von Noam Chomsky aus den 1960er-Jahren und der Sapir-Whorf-Hypothese über das Verhältnis von Sprechen und Denken (sprachliche Kategorien prägen unser Denken, wir können nur solche Dinge gedanklich fassen, für die wir auch Begriffe haben) – die nach neueren sprachwissenschaftlichen, aber vor allem auch neurologischen und kognitionswissenschaftlichen Erkenntnissen nicht mehr haltbar sind.

Ausblick

Die Linguistik hat ihren Elfenbeinturm verlassen und beschäftigt sich mit real existierenden Fragestellungen der kommunikativen Welt. Neben der Fremdsprachendidaktik sind dabei vor allem die Studien zu professioneller Kommunikation zu nennen, deren Ergebnisse erfolgreich in die jeweilige Praxis wie zum Beispiel die Medizin zurückgebunden werden. Die Erforschung von Coaching und die Zusammenarbeit mit der Coaching-Praxis stehen jedoch noch ganz am Anfang. Aber gerade zum momentanen Zeitpunkt, zu dem Coaching immer noch um seine Definition, Professionalisierung und Standards zur Qualitätssicherung ringt, sollte das Potenzial eines linguistischen Zugangs genutzt werden. Dieses liegt vor allem in der Erschließung der Mikro-Ebene von Coaching-Gesprächen, also der eigentlichen Gesprächsebene, die der Beratungsebene zugrunde liegt.

Doch auch die Linguistik alleine kann natürlich keine allumfassenden Antworten auf alle Fragen dieser Coaching-Welt geben! Dies gelingt nur in Kombination mit anderen Disziplinen im Rahmen eines multi- oder transdisziplinären Ansatzes sowie im engen Austausch mit der Praxis, und zwar nicht im Sinne von Daten-Lieferanten und Beforschten, sondern im Sinne eines interprofessionellen Dialogs.

Erste vielversprechende Projekte in diese Richtung sind interdisziplinäre Analysen zum Thema Emotionen im Business-Coaching, gemeinsame Sensibilisierungsworkshops von Linguistinnen und Coaches sowie das entstehende Korpus MUCCSI (The Munich Corpus of Coaching, Consulting and Supervision Interaction), das Daten zu den verschiedenen Beratungsformaten enthält und zur multidisziplinären Forschung einlädt.

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