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Wissenschaft

Coaching Psychology

Zur Entwicklung eines Lehrplans für psychologische Coaches

6 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 4 | 2012 am 21.11.2012

Anthony M. Grant, Coach, Psychologe und Leiter der weltweit ersten „Coaching Psychology“-Abteilung an der Universität in Sidney, eröffnete im März 2011 die Diskussion um die Entwicklung eines Ausbildungscurriculums zum psychologischen Coach. Seine Argumentation besteht im Kern darin, dass sich die „Coaching Psychology“ in den letzten zehn Jahren sowohl in der Praxis als auch in der Forschung enorm entwickelt hat, so dass es an der Zeit sei, die Bedingungen der Ausbildung zum psychologischen Coach zu definieren. Eine Ausbildung in „Coaching Psychology“ sei mehr als eine einfache „How to coach“-Ausbildung.

Um über einen Lehrplan in „Coaching Psychology“ zu diskutieren, sei es vorab notwendig, zu definieren, was man darunter verstehen möchte. In seiner Arbeitsdefinition orientiert sich Grant an den frühen Definitionen der Aus-tralian Psychological Society (APS) und der British Psychological Society (BPS). Demgemäß ist „Coaching Psychology“ ein Zweig der Psychologie, der sich mit der systematischen Anwendung der Verhaltenswissenschaften auf die Verbesserung der Lebenspraxis, der Arbeitsleistung und des Wohlbefindens von Einzelpersonen, Gruppen, aber auch Personen befasst. „Coaching Psychology“ konzentriert sich dabei auf die Erleichterung der Zielerreichung und Verbesserung der persönlichen und beruflichen Entwicklung der Klienten in ihrem alltäglichen Leben und ihrer Berufstätigkeit. Sie bezieht sich nicht direkt auf die Behandlung von klinisch bedeutsamen psychischen Störungen oder abnormalen Stressbelastungen.

Grants Ansicht nach verpflichtet der Bezug der „Coaching Psychology“ zu einer Vielzahl von philosophischen, psychologischen und theoretischen Ansätzen dazu, Coaches nicht nur in Coaching-Methoden auszubilden, sondern auch die kritische Auseinandersetzung mit den jeweiligen Ansätzen zu fördern und die hierzu notwendigen Fähigkeiten zu vermitteln.

Der psychologische Coach – so Grant – sollte nicht nur in der Lage sein, Einzelpersonen oder Gruppen darin zu unterstützen, Lebens- und Arbeitsziele zu erreichen, sondern auch psychische Probleme der Klienten zu erkennen und entsprechende Empfehlungen zur Behandlung geben zu können. Außerdem sollte eine Ausbildung zum psychologischen Coach denjenigen befähigen, effektive Coaching-Programme in Organisationen umzusetzen und diese in ihrer Wirkung mit entsprechend guten Untersuchungen professionell evaluieren zu können. Um sich auf bestehende psychologische Theorien beziehen und diese für die Verwendung in dem Coaching-Kontext weiterentwickeln zu können, sei ein Grundgerüst an psychologischem Wissen notwendig.

Folgende Bereiche gehörten demnach als zentrale Elemente in den Lehrplan der „Coaching-Psychology“:

  • Grundlagen eines evidenzbasierten Praxis-Ansatzes
  • ethische Prinzipien
  • professionelle Praxismodelle
  • psychische Störungen im Coaching
  • kognitive Verhaltenstheorien
  • die Zieltheorie
  • Veränderungstheorien
  • die systemische Theorie (inklusive Gruppenprozesse und Anwendung auf Organisationen)
  • die Vermittlung zentraler Coaching-Techniken und ihre Anwendung bezüglich Leistung, Entwicklung und Förderung von Kompetenzen
  • die Anwendung von „Coaching Psychology“ auf spezialisierte Bereiche der Praxis wie beispielsweise Coaching von Führungskräften, Gesundheits-Coaching, Life-Coaching und Spitzenleistungs-Coaching

Die Frage nach der Akkreditierung des „psychologischen Coachs“ sei der nach einem Curriculum nachrangig. Grant plädiert allerdings dafür, den Zugang zu den postgraduierten Fortbildungen zum psychologischen Coach nicht alleine auf diejenigen Teilnehmer zu begrenzen, die ein Psychologie-Studium (Grundstudium) abgeschlossen haben, sondern die Inhalte dieser Weiterbildung zum psychologischen Coach so zu bestimmen, dass auch Nicht-Psychologen die oben gelisteten Fertigkeiten vermittelt bekämen.

Vierzehn internationale Interessensvertreter – Coaches, Coaching-Weiterbildungsanbieter, Klienten und Vertreter von Coach-Verbänden – folgten der Einladung zur Diskussion. Ihre unterschiedlichen Positionen ließen sich in die unten genannten vier Kategorien einordnen:

  1. Ziel des Lehrplans: Was beabsichtigt der Lehrplan? Und für wen wird er erstellt?

  2. Kulturelle Kontextbedingungen: Welche wichtigen kontextuellen Bedingungen beeinflussen die Ausbildung in „Coaching Psychology“?

  3. Inhalte des Lehrplans: Was soll vermittelt werden?

  4. Lehrmethoden: Wie können diese Inhalte des Curriculums vermittelt werden?

Zusammenfassend lässt sich folgender Tenor in den Reaktionen der Interessensvertreter festhalten: Bevor ein Lehrplan inhaltlich aufgestellt werden kann, muss zunächst der Frage nachgegangen werden, was „Coaching Psychology“ eigentlich ist. Dazu reicht nicht nur die Abgrenzung zu anderen Bereichen der Psychologie. Alleine die Aussage, dass sie sich nicht direkt auf die Behandlung von psychischen Störungen bezieht, sagt nichts über die Relevanz der Vermittlung von Kenntnissen über psychische Störungen aus. Wie sich aus den einzelnen Kommentaren ergab, ist die Festlegung einer Definition und die damit verbundene Bestimmung der Inhalte eines Lehrplans angesichts der extrem komplexen Einsatzbereiche von Coaching keine leichte Aufgabe. Gerade die Vielschichtigkeit der Einsatzmöglichkeiten und die Wandelbarkeit machen Coaching zu einem einzigartigen Instrument im Umgang mit den Bedürfnissen der Klienten.

Wie lässt sich diese Stärke des Coachings – die Individualität, aber auch seine Interdisziplinarität – in einer Agenda zur Ausbildung abbilden? Die Herausforderung in der Beantwortung dieser Frage liegt zum einen darin, die Flexibilität und Responsivität von Coaching zu bewahren, und gleichzeitig die Erkenntnisse aus unterschiedlichsten Disziplinen und Praktiken zu integrieren. Zum anderen muss geklärt werden, in welcher Form eine Standardisierung und Qualitätssicherung einer professionellen Coaching-Tätigkeit überhaupt möglich ist? Lassen sich Leitlinien im Sinne einer „Best Practice“ für einen Beratungsprozess definieren, der auf die individuellen Bedürfnisse der Klienten maßgeschneidert wird? Das allgemeine Verständnis der evidenzbasierten Praxis, das der Wirksamkeitsforschung und der Qualitätssicherung zugrunde liegt, stößt hier an seine Grenzen.

Bezüglich des Ausbildungsmodells wurde die folgende Frage aufgeworfen: Geht es darum, sich mehr theoretisches oder praktisches Wissen anzueignen? Oder ist es wichtig, Wissen zu vermitteln, das den Coaches hilft, Dinge zu erfassen und zu integrieren? Wie sich zeigte, ist die Gestaltung des Ausbildungsmodells inklusive der pädagogischen Prozesse, die angewendet werden sollen, von diesen Fragen abhängig.

Wie sich weiterhin zeigte, kann die Diskussion der Entwicklung einer Agenda zur Ausbildung von „Coaching Psychology“ nicht unabhängig von Überlegungen zur staatlichen Anerkennung und der Zertifizierung geführt werden. Die Frage, die Grant als wesentlich, aber nachrangig bezeichnet – ob Nicht-Psychologen als psychologische Coaches ausgebildet werden dürfen – ist deutlich von den berufsrechtlichen Gegebenheiten des jeweiligen Lands abhängig. So ist es beispielsweise in Großbritannien und Süd-Afrika aufgrund der berufsrechtlichen Situation nicht möglich, ohne einen Psychologie-Abschluss eine Qualifikation in „Coaching Psychology“ zu erwerben, während zum Beispiel in Deutschland die Profession des Coachs bisher noch kein geschützter Begriff ist.

Letztlich werfen die Thesen von Grant eher mehr Fragen und weiteren Diskussionsbedarf auf als einen Konsens über einen Lehrplan der „Coaching Psychology“ zu finden. Angesichts der Vielschichtigkeit der Reaktionen wird schnell klar, dass noch interessante Debatten erwarten werden können. Cavanagh und Palmer gehen sogar davon aus, dass eine einhellige Antwort auf die Frage nach inhaltlicher Gestaltung eines „Coaching Psychology“-Curriculums auf internationaler Ebene nicht erwartet werden kann.

Grant, A. M. (2011). Developing an agenda for teaching coaching psychology. International Coaching Psychology Review, Vol. 6, No. 1, pp. 84-99.

Cavanagh, M. et al. (2011). Educating coaching psychologists: Responses from the field. International Coaching Psychology Review, Vol. 6, No. 1, pp. 100-128.

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