Methoden

Resonanz und ihre Bedeutung im Coaching-Prozess – Teil 1

Begriffserklärung und Voraussetzung von Resonanzfähigkeit

7 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 05 | 2016

Resonanz ist ein unter anderem in Naturwissenschaft, Coaching und Therapie verwendeter Begriff mit weitem Anwendungsfeld. Im sozialen Bereich ist es üblich, von der Resonanz des Coachs oder Therapeuten zu sprechen, und Resonanzfähigkeit gilt oft als grundlegende Kompetenz. Der Artikel schaut hier genauer hin. Im vorliegenden ersten Teil werden die theoretischen Hintergründe des Begriffs und die Voraussetzungen der Resonanzfähigkeit erläutert. Im zweiten Teil wird die zentrale Bedeutung von Resonanz als – bisweilen unterschätzte – Basistechnik im Coaching-Prozess dargestellt. Dabei wird vor allem auch dem Aspekt der "biographischen Selbstbewusstheit" des Coachs für das Gelingen Rechnung getragen.

Begriffsklärung: Was ist Resonanz?

Der Begriff Resonanz wird in vielen Bereichen bzw. (Alltags-)Zusammenhängen verwendet, z.B. in der Physik, der Musik oder der Soziologie. Resonanz kommt vom lateinischen "resonare" und bedeutet widerhallen, mitschwingen. In Physik und Technik bezeichnet Resonanz das verstärkte Mitschwingen eines schwingungsfähigen Systems, dessen Eigenfrequenz in der Nähe der Anregungsfrequenz von außen liegt. Sie kann bei allen schwingfähigen Systemen vorkommen und tritt im Alltag häufig auf. Gängig ist der Begriff auch in der Musik, wo man bei einem Instrument vom Resonanzkörper spricht, dessen Aufgabe es ist, Töne zu verstärken. Bei der Geige ist dies z.B. der hölzerne Hohlraum. Von Volumen und Form des Resonanzkörpers hängt es dabei ab, welche Frequenzen verstärkt werden. Je größer der Hohlraumresonator eines Instruments wie z.B. beim Kontrabass, desto tiefer ist seine Eigenfrequenz.

In der soziologischen Systemtheorie nach Niklas Luhmann bezeichnet Resonanz "die Qualität der Fähigkeit eines Systems, nach Maßgabe seiner Struktur auf Umweltereignisse reagieren zu können" (Gabler Wirtschaftslexikon). Dabei ist die Resonanzfähigkeit eines Systems selektiv, d.h., sie wird nicht von allen Umweltentwicklungen angesprochen bzw. in Schwingungen versetzt.

Im Lexikon der Psychologie findet sich der Begriff "empathische Resonanz", der das "Mitansprechen oder Mitschwingen von Gefühlen oder Gedanken bei anderen Menschen" bezeichnet. Diese empathische oder auch affektive Resonanz wird auch als emotionale Ansteckung bezeichnet, da sie vor allem das Mitfühlen von Gefühlen des Anderen beschreibt. Schlägt sich jemand z.B. mit dem Hammer auf den Finger, leiden wir sozusagen mit. Sowohl weil wir uns kognitiv den Schmerz vorstellen können, als auch weil wir durch dieses Ereignis tatsächlich selbst unangenehme Gefühle empfinden.

Die Begriffe Resonanz und Empathie werden in der Literatur oft gemeinsam bzw. fast austauschbar verwendet. Sie haben jedoch unterschiedliche Schwerpunkte. Empathie meint die "Fähigkeit, eine Situation, ein Problem, eine Handlung aus der Lage des jeweils anderen von der Sache Betroffenen aus sehen zu können" (Lexikon online für Psychologie und Pädagogik). Hier geht es um die aktive Einfühlung in den Anderen, während bei der Resonanz auch das etwas distanziertere "was geschieht durch den anderen mit/in mir?" im Vordergrund steht. Empathisches Wahrnehmen ist sicher immer Teil eines Coachings und begünstigt das Entstehen von Resonanz.

Das in der Psychoanalyse begründete Konzept der (Übertragung und) Gegenübertragung weist ebenfalls Überschneidungen mit dem Resonanzbegriff auf und thematisiert gerade den über die Einfühlung hinausgehenden Aspekt. Freud sah Gegenübertragung im Wesentlichen als Reaktion des Therapeuten auf die unbewusste Affektverschiebung des Klienten aus seinem Vergangenheits-Unbewussten auf den Therapeuten an. Für ihn bildete sie zunächst eine Quelle der Störung und den Begriffen haftet zum Teil bis heute die Konnotation der Unangemessenheit oder Verzerrung an. Tatsächlich wird Gegenübertragung jedoch seit längerem offener gefasst und z.B. in der Psychodynamischen Psychotherapie "als Gesamtheit aller emotionalen Reaktionen des Therapeuten auf den Patienten" (Lohmer, 2010; 5) verstanden, die tiefe Einsichten für den therapeutischen Prozess ermöglichen. In diesem Sinne kann Gegenübertragung als weiterer Teil der Resonanz gesehen werden.

Angewandt auf die Coaching-Beziehung lässt sich der Begriff Resonanz als das "Tönen des Coachs in der Schwingung des Klienten" fassen. Dieses Tönen umfasst dabei zwei Aspekte:

  1. das einfühlsame bzw. empathische MITSCHWINGEN mit den Gedanken und Emotionen des Klienten
  2. den WIDERHALL den dieses Mitschwingen im Coach, auch aufgrund seiner eigenen Lebensgeschichte/-wirklichkeit, hervorruft.

Zusätzlich zu diesen beiden Bereichen, folgt in der Coaching-Beziehung das gezielte Wahrnehmen und gegebenenfalls Einbringen dieser persönlichen Resonanz in den Prozess.

Physische und individuelle Voraussetzungen der Resonanzfähigkeit

Die Fähigkeit, Gefühle eines anderen Menschen empathisch wahrzunehmen, ist im Menschen von Geburt an angelegt und entwickelt sich im Laufe des Lebens in Beziehung zu einer Bezugsperson. Schon kleine Kinder trösten in der Regel die Mutter, wenn diese weint. Sie sind früh in der Lage, den Gefühlszustand zu erkennen und selbst zu reagieren.

Egal ob Kind oder Erwachsener – empathische Wahrnehmung, auch emotionale Ansteckung genannt, geschieht unbewusst bei allen Menschen. Blickt jemand beispielsweise einem traurigen Menschen, bei dem sich mit der Traurigkeit die Pupillengröße ändert, ins Gesicht – dies ließ sich in Versuchen nachweisen – verändern sich seine Pupillen ebenfalls. Gleiches geschieht bei der unwillkürlichen, oft kleinen, unmerklichen, aber nachweisbaren Imitation der Mimik des Gegenübers (Lossau, 2011). Wir schwingen also immer mit.

Die emotionale Empfindungsfähigkeit ist im Gehirn lokalisiert. Die dafür nötigen Nervenzellverschaltungen werden von Kindesbeinen an durch eigene Erfahrungen auf- und ausgebaut. Besonders gut gebahnte Verbindungen werden stabilisiert, andere verworfen. Vorbilder und Leitbilder helfen bei der Einordnung der Erfahrungen (Beck, 2003).

Das Ausmaß des Mitschwingens und des Widerhalls in uns ist somit immer auch von unseren Lernerfahrungen im sozialen Kontext geprägt. Ein Mensch, der früh lernen musste, dass freundliche Menschen sich unerwartet böse verhalten, reagiert anders bzw. verhaltener auf das Zeigen von Freundlichkeit, als jemand, dessen Vorerfahrungen durchweg positiv waren.

Viele kennen es auch, dass z.B. nach einem Vortrag jeder Zuhörende ganz unterschiedliche Dinge über den Inhalt für wichtig erachtet und wiedergibt. Unsere Persönlichkeit und Erfahrung ist dabei der Bezugspunkt. Der Widerhall geschieht auf Basis der Lebenswirklichkeit, Sozialisation und des Erfahrungsrahmens einer Person. Oft weist uns unsere Resonanz, wie z.B. bei der Zusammenfassung eines Vortrags, auf unsere eigene Energie hin. Das, was uns angesprochen hat, verrät ebenso viel über uns, wie über den Vortragsinhalt.

Zusammenfassend ist somit klar:

  • Alle gesunden Menschen besitzen die Fähigkeit, in Resonanz zu treten, im Übrigen nicht nur mit anderen Menschen, sondern auch mit Themen, Stimmungen, Orten, Bildern etc.
  • Resonanz in uns geschieht immer, ob unbewusst oder bewusst, fast unmerklich oder offensichtlich,
  • und sie geschieht im Rahmen unserer eigenen Denk- und Empfindungsmuster. Art und Ausmaß der Resonanz, bezogen auf die gleiche Anregung, sind also individuell verschieden.

Ob für die Gefühlsansteckung beim Menschen die sog. Spiegelneuronen eine Rolle spielen, wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Die Existenz von Spiegelneuronen wurde 1996 an der Universität Parma nachgewiesen. Dort hatte ein Ärzteteam einen neurologischen Handlungsablauf bei Schimpansen untersucht und festgestellt, dass die gleichen Signale im Gehirn eines Affen entstehen - ganz gleich, ob er selbst die Handlung – das nach einer Nuss greifen – ausführt oder ob er einen Teammitarbeiter beim Griff zur Nuss beobachtet. Die Übertragung dieser Erkenntnisse zur "motorischen Resonanz" beim Affen auf die "emotionale Resonanz" beim Menschen konnte bisher nicht bestätigt werden (Stein, 2014).

Ausblick auf Teil 2: Resonanz im Coaching-Prozess

Treten zwei Menschen miteinander in Kontakt, geschieht wechselseitige Resonanz. In der Coaching-Beziehung hängt Resonanz von (1) Art und Ausmaß der Anregung durch den Klienten und (2) von der Beschaffenheit des Resonanzkörpers ab, d.h. von der Arbeit des Coachs. Im zweiten Teil dieses Artikels steht zunächst der Aspekt der Wechselseitigkeit von Resonanz in einer Coaching-Beziehung im Mittelpunkt, bevor auf die Resonanz des Coachs und deren Einsatz im Coaching-Prozess eingegangen wird.

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