Methoden

Lösungsfokussiertes Coaching

Hintergründe und Missverständnisse

9 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 03 | 2019

Die Lösungsfokussierte Gesprächsführung nach Steve de Shazer, Insoo Kim Berg et al. wird heute in Beratungseinrichtungen rund um die Welt praktiziert und kontinuierlich weiterentwickelt. In Deutschland ist der LF-Ansatz übrigens im Vergleich zu anderen Ländern (z.B. Finnland, Japan, Korea, Südafrika, Ungarn, UK oder USA) relativ wenig verbreitet. Daher soll dieser Beitrag die wesentlichen Hintergründe der Entstehung des Ansatzes darstellen und in diesem Zuge dazu beitragen, mit grundlegenden Missverständnissen zum Thema des Lösungsfokussierten Coachings (LFC) aufzuräumen.

Die Entstehung des LF-Ansatzes

Erst 1982 wurde dieser Ansatz von Steve de Shazer (1940–2005) und Insoo Kim Berg (1934–2007) vorgestellt. Steve de Shazer hatte sich schon Ende der 60er Jahre intensiv mit neuen Interventionsformen und deren Wirksamkeit in der Psychotherapie beschäftigt. Dabei wurde er auch durch die Arbeit von Milton Erickson und seinem hypnotherapeutischen Ansatz beeinflusst. Dessen Verständnis für die Ressourcen des Klienten als Ansatzpunkt für die Lösung von Problemen und ein zufriedeneres Leben waren ein wichtiger Ausgangspunkt für die Grundprinzipien der LF-Therapie.

De Shazer wurde außerdem stark durch die Arbeiten der Palo-Alto-Gruppe (MRI, Mental Research Institute) und die Schule der Mailänder Familientherapeuten (Centro per lo Studio della Famiglia) beeinflusst. Beide Gruppen entwickelten im Rahmen ihrer familientherapeutischen Ansätze auch kurzzeittherapeutische Vorgehensweisen. Die Auseinandersetzung mit diesen systemischen kurzzeittherapeutischen Ansätzen bildeten zusammen mit der ressourcenorientierten Sichtweise von Milton Erickson den fruchtbaren Boden für eine weitere Entwicklung, die dann in das Brief Family Therapy Center (BFTC) mündete, welches 1978 von Steve de Shazer, Insoo Kim Berg und anderen gegründet wurde.

Ziel des BFTC war es, möglichst effektive und effiziente Wege zu finden, um Klienten zu helfen. Dabei stellte sich sehr bald eine Erkenntnis ein, die den BFTC-Ansatz von allen etablierten Therapieansätzen unterschied: Interventionen, die zur Lösung führen, müssen nichts mit den Ursachen der Klientenprobleme zu tun haben. Probleme können kompliziert und vielschichtig sein, sie können eine lange Historie haben und sehr schwerwiegend sein. All das bedeutet aber nach LF-Auffassung nicht, dass die Interventionen, die zur Lösung führen, ebenfalls kompliziert oder vielschichtig sein müssen.

Steve de Shazer nutzte zur Erläuterung dieses Sachverhaltes das Bild eines Dietrichs. Das Problem ist in diesem Bild ein kompliziertes Schloss, welches die Klienten mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln nicht öffnen können. Die Lösung liege aber nicht im Schloss (Problem) verborgen, sondern in der Verwendung des passenden Schlüssels. Doch um das komplizierte Schloss zu öffnen, brauche es nicht einen ebenso komplizierten Schlüssel, sondern es reiche ein Dietrich, der dieses Schloss öffnen kann (de Shazer, 1989). Genau dieser Verzicht auf eine Problemanalyse unterscheidet den LF-Ansatz – in kontroverser Weise – von fast allen anderen Therapie- und Coaching-Ansätzen, die davon ausgehen, dass die Problemanalyse ein wichtiger und unverzichtbarer Teil der Veränderungsarbeit ist.

Missverständnis: Der lösungsfokussierte Ansatz fokussiert auf Lösungen

Genau das macht der LF-Ansatz nicht, da es sich bei einer Lösung ja immer um die Lösung eines Problems handelt. Allerdings interessiert sich das LFC nicht für Probleme. Der Klient wird zu Beginn des Coachings nicht einmal gefragt „Was führt Sie zu mir?“ oder „Was ist Ihr Anliegen?“, weil dies automatisch dazu ermuntert, dass der Klient sein Problem schildert – so wie er dies wahrscheinlich schon häufig gegenüber Freunden oder Kollegen getan hat. Im LF-Ansatz hält man dies für nicht zielführend und nicht hilfreich – vor allem aber für überflüssig.

Daher lautet die erste Frage im LFC häufig: „Was ist Ihre kühnste Hoffnung in Bezug auf das Ergebnis unserer Zusammenarbeit?“ (Meier & Szabó, 2008). Es wird also direkt nach der erwünschten Zukunft des Klienten gefragt. Der LF-Ansatz nimmt die erwünschte Zukunft als Ausgangspunkt für das weitere Coaching. Wenn diese erwünschte Zukunft erreicht wird, dann hat sich die Auseinandersetzung mit dem Problem nach LF-Auffassung fast wie von allein erledigt.

Lösungsfokussiert heißt also nicht, dass der Klient darin unterstützt wird, Lösungen für seine Probleme in ressourcenorientierter Art und Weise zu finden, sondern ihm zu helfen, ein möglichst konkretes Bild von seiner erwünschten Zukunft zu entwickeln. Durch die detaillierte Beschreibung – das „Ausmalen des Bildes“ – vergrößert der Klient die Wahrscheinlichkeit, diese auch zu erreichen, d.h.:

Der Coach unterstützt den Klienten bei Bedarf durchaus dabei, sich seiner Möglichkeiten bewusstzuwerden, denn häufig sind Klienten durch ihre Sicht auf das Problem von den eigenen Ressourcen abgeschnitten und nicht dazu in der Lage, zu erkennen, welche Kompetenzen sie zur Verfügung haben. Im LFC wird die Aufmerksamkeit des Klienten auf jene Verhaltensweisen gelenkt, die bereits funktionieren (nicht auf das Problem), um eine Verstärkung dieser zu erzielen. Je klarer das Bild des Klienten von seinen Ressourcen vor dem Hintergrund der Situation ist, desto eher findet er darin Entwicklungsimpulse (Middendorf, 2018).

Die Vergangenheit gibt nach LF-Auffassung aber nicht vor, wie die Zukunft des Klienten auszusehen hat. Hilfreiche Impulse zur eigenen Entwicklung findet der Klient nach dieser Auffassung auch in der möglichst klaren Beschreibung der eigenen Zukunft, die als etwas Geschaffenes und Verhandelbares verstanden wird (ebd.). Diese radikale Art der Zukunftsorientierung ist ebenfalls etwas, was den LF-Ansatz von vielen anderen Coaching-Ansätzen unterscheidet. Andere Ansätze legen oft ein stärkeres Gewicht auf den gegenwärtigen Kontext der Klienten, z.B. der Gegebenheiten in der Organisation, in die der Klient eingebunden ist, da ihre Vertreter die im Coaching erarbeiteten Inhalte als zwingend kontextspezifisch betrachten. Im LF Ansatz kommt der Kontextbezug dagegen ggf. durch den Klienten in das Coaching, aber nicht zwingend durch den Coach.

Forschungsstand

Das LFC setzt also auf Impulse zur Veränderung, die sich der Klient durch die Beschreibung seiner erwünschten Zukunft selbst gibt. Dass dies nicht nur Wunschdenken der LF-Praktiker ist, zeigen erstaunlich viele Studien zum LF-Ansatz. Dr. Alasdair Macdonald (2017) hat eine Übersicht zur Studienlage zusammenzutragen. Er berichtet u.a. von zehn Meta-Studien und 325 Ergebnisevaluationsstudien inklusive 143 Studien mit randomisierten Kontrollgruppen. Diese Studien zeigen die Wirksamkeit des LF-Ansatzes auf (siehe auch Lenz, 2019). Grundsätzlich kann man viele Studienergebnisse zusammenfassen, indem man sagt, dass der LF-Ansatz ebenso zum Erfolg führt wie andere Ansätze, aber dafür deutlich weniger Zeit bzw. Sitzungen braucht.

Zur Einordnung der Studien ist es wichtig, zu verstehen, dass diese meist in therapeutischen Settings durchgeführt wurden. Die LF-Vorgehensweise, also die Methode und die Fragetechniken unterscheiden sich im LF-Ansatz allerdings nicht zwischen Therapie, Sozialberatung oder Coaching. Der wesentliche Unterschied liegt auf der Seite der Klienten und deren vorhandenen Selbststeuerungsmöglichkeiten. Diese sind per Definition bei Coaching-Klienten natürlich wesentlich ausgeprägter als bei den anderen beiden Settings, was Anlass zur Vermutung gibt, die Wirksamkeit könnte im Coaching-Kontext eher noch erhöht sein, denn: Nach Asay und Lambert (1999) sind 40 Prozent des Beratungserfolges (im therapeutischen Kontext) den Fähigkeiten des Klienten und der Unterstützung durch sein Umfeld geschuldet.

Missverständnis: Im LFC wird nie über Probleme gesprochen

Die Fokussierung auf die Zukunft bedeutet natürlich nicht, dass im LFC nicht über Probleme gesprochen werden darf. Dazu ist der Leidensdruck vieler Klienten häufig zu groß. Oft ist es sogar sehr wichtig, dass der Leidensdruck und die aktuellen Coping-Strategien explizit vom Coach anerkannt werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Coach versucht, das Problem zu verstehen, oder in das Problem hineinfragt.

Der Coach braucht nach LF-Auffassung weder mono-kausale noch multi-kausale (systemische) Hypothesen über die Ursachen des Problems, um den Klienten zu unterstützen. Das Erkunden des Problems und der Ursachen ist zwingend notwendig in technischen Systemen. Wenn ein Motor defekt ist, muss ich herausfinden, wo die Ursache des Problems liegt, damit der Motor wieder läuft. Menschen funktionieren aber anders als Maschinen – seien sie trivial oder komplex. Dennoch wird oft dieses, aus einem mechanistischen oder auch kybernetischen Verständnis stammende Weltbild auf die Arbeit mit Menschen übertragen.

Häufig zeigt sich im LFC sogar, dass die erwünschte Zukunft nur wenig mit dem Problem zu tun hat, welches der Anlass für den Besuch beim Coach war. Je klarer man sich über die erwünschte Zukunft ist, desto stärker ist die Veränderung der Sichtweise der Gegenwart. So tritt das eigentliche Problem („störender Mitarbeiter“) oft in den Hintergrund und der Fokus richtet sich auf das Ziel des Klienten („erfolgreiche Führungskraft sein“).

Probleme spielen im LF-Ansatz also eine Rolle mit Blick auf den Anlass des Coachings oder die Wertschätzung des Leidens und das Umgehen des Klienten mit der Situation. Für das Ergebnis des Coachings spielen sie nach LF-Auffassung eine untergeordnete Rolle. Zusätzlich, so ein (nicht nur) im LF-Ansatz gängiger Standpunkt, sollten Coaches das Unternehmen Coaching nicht als Reparaturdienstleistung für Probleme von Führungskräften und Mitarbeitern oder sogar als Reparaturbetrieb für Mitarbeiter ansehen. Vielmehr sollte Coaching für eine Form der Personalentwicklung stehen, die zukünftige und gewünschte Entwicklungen unterstützt – und dafür braucht es kein Problem.

Missverständnis: Lösungsfokussierung = Wunderfrage! Oder?

Dieser absolute Zukunftsfokus hat sich auch im LF-Ansatz erst mit den Jahren weiterentwickelt. So kennen die meisten Coaches die „Wunderfrage“, neben den Skalenfragen der zweite Exportschlager des LF-Ansatzes. Die Wunderfrage hat so gute Dienste geleistet, dass sie eine Zeitlang als fester Standard in jedem LF-Gespräch eingesetzt wurde. Allerdings braucht die Wunderfrage ein Problem, um zu funktionieren. Damit begrenzt sich die Wirksamkeit dieser Frage schnell auf den Bereich des Problems. Dies hat im Laufe der Zeit dazu geführt, dass sie heute seltener von LF-Coaches eingesetzt wird. Sie wurde überholt von der sogenannten „Best Hope“-Frage oder eben von der Frage nach der erwünschten Zukunft. LF-Coaching von 1987 ist eben nicht das LF-Coaching von 2019, auch wenn die Grundannahmen gleich geblieben sind.

Wieso dann der Name „Lösungsfokussiert“?

Wieso heißt der Ansatz dann aber „Lösungsfokussiert“? Das hat historische Gründe: Die Forschergruppe in Palo Alto rund um John Weakland, Richard Fisch, Paul Watzlawick etc. hatte 1974 einen Artikel mit dem Titel „Brief Therapy: Focused Problem Resolution“ veröffentlicht. 1986 schrieben Steve de Shazer, Insoo Kim Berg, Eve Lipchick et al. einen weiteren Artikel, der sich auf den Artikel von Weakland et al. bezog. Mit dem Titel des Artikels von de Shazer et al. sollte deutlich gemacht werden, dass es einige Gemeinsamkeiten in den Ansätzen gab, aber auch deutliche Unterschiede: „Brief Therapy: Focused Solution Development“.

So wurde der Name Solution Focused Approach geboren. Auch wenn der Ansatz aus heutiger Sicht passender als „Preferred Future Approach" bezeichnet worden wäre. In Deutschland hat sich dann noch die Variante „Lösungsorientiertes Arbeiten“ verbreitet und wurde zum Synonym für den „Lösungsfokussierten Ansatz“.

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