Methoden

Entwicklungsorientiertes Coaching

Merkmale

4 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 06 | 2006

Genau genommen kann man jedes (gute) Coaching als "entwicklungsorientiertes Coaching" bezeichnen, denn letztlich geht es im Coaching um das (Mit-)Auslösen und Begleiten von Entwicklung. Dennoch zeichnet sich ein explizit entwicklungsorientiertes Coaching gegenüber einem "normalen" Coaching durch eine Reihe von Merkmalen aus. Hervorgehoben seien zunächst zwei wesentliche Nebenbedingungen, die zu berücksichtigen sind: 

  • Klienten fragen i.d.R. nie von sich aus nach einem entwicklungsorientierten Coaching. Dies ist überwiegend in der (verständlichen) Unkenntnis begründet, dass eine derartige Beratungsform überhaupt existiert. Es liegt daher in der diagnostischen Kompetenz des Coachs, einen entsprechenden Wunsch des Klienten zu "entschlüsseln" und auf das Angebot des entwicklungsorientierten Coachings hinzuweisen.
     
  • Klienten mit einem expliziten Entwicklungswunsch bzw. -ziel streben oftmals einen überidealisierten Zielzustand an. Weil dies eigenständig nicht funktioniert hat, erwarten sie Hilfe von einem Coach. Diese überidealisierten Ziele sind oftmals jedoch nicht realistisch erreichbar. Oder sie sind erreichbar, verschaffen dem Klienten aber nicht die Befriedigung, die er erwartet hat (und es beginnt die "Jagd" auf das nächste Ziel). Der Coach muss hier kritischer als sonst die Ziele und Motive des Klienten hinterfragen. Dazu bedarf es der Haltung der kritischen Loyalität, d.h. sich dem Klienten und seinem Anliegen verpflichtet zu fühlen und eben gerade deshalb kritisch zu sein – und kein purer Erfüllungsgehilfe.

Merkmale des entwicklungsorientierten Coachings

Das entwicklungsorientierte Coaching zeichnet sich dadurch aus, dass es eine umfangreiche(re) Analysephase beinhaltet, in der auch Aspekte abgefragt und geklärt werden, die dem Klienten möglicherweise zunächst unwichtig erscheinen oder ihm gar nicht bewusst sind. Analysiert wird dabei sowohl der Klient, als auch sein Umfeld. Dies ist wichtig, um nicht Scheinziele oder einseitige Ziele zu verfolgen, deren Konsequenzen derart viele negative Begleiterscheinungen mit sich bringen, dass das Ziel nicht mehr erstrebenswert ist. Derartige Begleiterscheinung werden oftmals aufgeblendet. Die umfassende Analyse hilft, sich damit auseinanderzusetzen.

Weiterhin verlangt das entwicklungsorientierte Coaching vom Coach die Sensibilität, auch schmerzhafte Entwicklungen zu erkennen, diese anzusprechen und (auch länger) begleiten zu können. Dies setzt beim Coach eine gewisse Reife bzgl. eigener Entwicklungserfahrungen voraus.

Zur Erläuterung: Es kann beobachtet werden, dass Klienten häufig ein Coaching in Anspruch nehmen, weil sie vordergründig einen Entwicklungswunsch haben, dahinter jedoch eher ein Wunsch nach Stabilisierung erkennbar ist. Beide Ziele sind legitim. Der Coach sollte jedoch ggf. darauf aufmerksam machen, inwieweit entsprechende Absichten miteinander überhaupt vereinbar sind. Ansonst ist zu befürchten, dass eine vordergründig angestrebte Entwicklung nicht "in Gang kommt", weil der Stabilisierungswunsch des Klienten dominanter ausgeprägt war - jedoch nicht zwangsläufig bewusst sein muss. Dem Klientenanliegen ist somit nicht mit Misstrauen, aber mit Sorgfalt zu begegnen.

Und schließlich sollte der Coach in der Lage sein, dem Klienten Mut zuzusprechen (zu ermutigen, aber auch Dinge zumuten), weil dies von wesentlicher Bedeutung für Entwicklungsprozesse ist. Die Konsequenz daraus ist, dass ein Coach ausschließlich mit den Klienten und den Entwicklungszielen arbeiten kann, an die er glaubhaft und möglich hält. Wer seinem Klienten ein bestimmtes Entwicklungsziel nicht zutraut, sollte seine Bedenken – natürlich gut begründet – mit dem Klienten besprechen. Entweder verliert dann der Coach seine Bedenken oder der Klient findet zusammen mit dem Coach ein anderes Entwicklungsziel. Es kann aber auch sein, dass das Coaching hier beendet werden muss – bzw. dass der Klient einen anderen Coach wählt. Dieses Vorgehen erfordert auch und gerade vom Coach Courage und Professionalität.

Kommt ein Coaching zustande, ist es – wie üblich – die Hauptaufgabe des Coachs, die Übersicht im Gesamtprozess zu behalten. Der Coach muss am Anfang darauf achten, welches Entwicklungsziel sich der Klient gesetzt hat bzw. ausgesucht hat, wie realistisch dies ist, welcher Zeitraum dafür zur Verfügung steht wie die Zwischenetappen aussehen und ob die Reihenfolge der einzelnen Entwicklungsziele sinnvoll angeordnet ist. Insbesondere hier werden meistens Fehler gemacht. Viele Klienten blenden ihre Stärken aus und möchten an ihren Defiziten arbeiten – und wundern sich, warum ihre Motivation schleichend sinkt. Hier kann mit weniger Aufwand aus vorhandenen Stärken oft wesentlich mehr gemacht werden. Zumindest sollten Klienten, die defizitorientiert sind, auf diesen Umstand hingewiesen werden.

Entwicklungsorientierte Coachings sind noch persönlicher und intensiver, als "normale" Coachings. Die entwicklungsorientierte Perspektive birgt die Möglichkeit, bemerkenswerte Veränderungen herbeizuführen bzw. zu begünstigen. Diese Entwicklungsprozesse können sehr langsam ablaufen – sie können aber auch überraschend schnell zu sichtbaren Resultaten führen.

Im nächsten Coaching-Newsletter wird ein Phasenmodell vorgestellt, mit dem sich ein Entwicklungsorientiertes Coaching konkret umsetzen lässt.

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