Carolyn Pini

fragen führen wachsen: Mit der pini5® Coaching-Methode zur gezielten Veränderung im Führungsverhalten. Dübendorf: AVEXYS.

Rezension von Prof. Dr. Klaus Stulle

5 Min.

Wenn (wie immer häufiger) ein Buch zum Thema "Coaching" zur Rezension ansteht, stellt sich zunächst die Frage nach der Zielgruppe des Werkes: Richtet es sich an Experten, die selbst coachen wollen, oder an die weitaus größere Gruppe der potenziell Coaching-Klienten? Aus dem Einband und dem Vorwort eines Experten wird deutlich, dass sich dieses Buch ausdrücklich an eine sehr breite Leserschaft wendet: nicht nur (aber auch) an professionelle Coachs, nicht nur (aber insbesondere) an Führungskräfte, und darüber hinaus an alle, die über sich selbst nachdenken und an sich arbeiten wollen.
Im Vorwort beschreibt die Autorin die Entstehungsgeschichte des Buchs: Ursprünglich hatte sie dabei an eine Art "Apotheker-Kasten" gedacht, in dem die Arznei allein aus den passenden Fragen für so ziemlich jede Lebenslage besteht. Da die jeweilige Antwort aber stets sehr individuell erfolgen muss, kann sie nur vom Klienten selbst kommen. Die Autorin will also bewusst keine Vorgaben wie etwa Musterlösungen machen.
Diese radikale Herangehensweise wird dann aber zunächst einmal zurück gestellt beziehungsweise in Form der beiliegenden Kartensets realisiert. Im Buch folgt zunächst ein konventioneller Text. Im Mittelpunkt steht hier die von der Autorin entwickelte "pini5-Methode". Mit deren Hilfe soll der Leser in fünf Schritten lernen: sich selbst zu erkennen und einzuschätzen, unabhängiger zu werden, schnell zum Kern der eigenen Themen vorzustoßen, praktische Hilfestellung zur persönlichen Entwicklung und Erweiterung der Kompetenzen abzurufen sowie die eigenen Erwartungen besser zu managen. Kurzum: Er erfährt geballte Lebenshilfe.
Den Anfang dazu macht ein Kapitel über Veränderungen und die damit oft verbundenen Schwierigkeiten. Zahlreiche Übungen laden hier und in der Folge zur Selbstreflexion ein zu Themen wie "Worüber sprechen Sie am meisten?" oder "Was sind ihre heimlichen Verhinderer?". Dabei handelt es sich um sicherlich berechtigte, tiefschürfende Fragen, doch bei noch anstehenden weiteren 300 Seiten eng bedrucktem Text wird zu diesem frühen Zeitpunkt vermutlich kaum ein Leser verweilen und meditativ in sich gehen wollen. Aufgelockert wird die Darstellung durch zahlreiche Aphorismen kluger Köpfe, dennoch bleibt der Text allein schon aufgrund seiner optischen Aufmachung schwer zu lesen und zu "verdauen".
Das folgende Kapitel geht der Rolle von den besonders relevanten Fragen nach, die unmittelbare Auswirkung auf das Selbstwertgefühl haben. Auch in der Folge werden zweifellos relevante Themen dargestellt wie "Persönliche Glaubenssätze" oder "Führungskompetenz" oder "Worauf wird beim Einstellungsgespräch Wert gelegt?".
Doch der Rezensent befindet sich weiterhin auf der Suche nach der originären "pini5-Methode". Diese wird dann tatsächlich, wenn doch recht spät, nämlich ab Seite 188, beschrieben in Form eines Veränderungsprozesses, der aus einfachen, aber konsequent auszuführenden Schritten besteht: (1) Wie ist die Ausgangslage? Wie verhalte ich mich heute? (2) Was wäre besser? Wie sollte es sein? (3) Was würde das bringen? (4) Was verhindert dieses gewünschte Verhalten? (5) Was muss ich konkret tun oder nicht mehr tun, um mich wie gewünscht zu verhalten? Die fünf zentralen Fragen der "pini5-Methode" wirken ebenso berechtigt wie unvermeidbar (um nicht "trivial" zu sagen). Sie werden im Anschluss ausführlich anhand von Beispielen und Musterdialogen veranschaulicht.
Die "pini5-Methode" kann aber nicht nur zur Selbsthilfe, sondern auch zum aktiven Coaching anderer verwendet werden: zum Beispiel als Führungskraft, Personaler, Lehrer, Freund oder Elternteil. Und weil nun das Buch als Medium an seine Grenzen zu stoßen droht, wird ab Seite 259 auf die drei Kartensets verwiesen, die in Form von drei quadratischen Holzboxen (10 x 10 cm) das Buch begleiten. Diese Karten sollen insbesondere als "Teilchenbeschleuniger" dienen und stehen für interaktive Legetechniken zur Verfügung. Sie können sowohl individuell als auch für Gruppenprozesse verwendet werden. Unterteilt werden die Coaching-Karten in die drei Bereiche: Führungs-, Sozial- und Persönliche Kompetenz. Aus der Internetseite der Autorin geht hervor, dass mittlerweile auch noch zusätzliche neue "pini5"-Coaching-Kartensets zu "Verkaufskompetenz" und "Emotionale Kompetenz" erhältlich sind. Darüber hinaus finden sich dort auch viele Original-Fragen und die wesentlichen Inhalte der "pini5-Technik".
Diese Kartensets stellen sicherlich das Herzstück der Methode dar. Jede Box enthält je 48 Karten mit je 5 Fragen (= 720 insgesamt!), dazu noch eng bedruckt. Dies bedeutet eine derartige Fülle an möglichem "Reizmaterial", dass eine weitergehende Beschäftigung damit eine echte Überwindung darstellen muss. Der Rezensent jedenfalls fühlt sich angesichts der Fülle eher überfordert. Zugegeben, vielleicht wäre nach dieser Überwindung und der Bereitschaft zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Karten schon der berühmte erste Schritt zur Selbsterkenntnis und Verbesserung getan, aber jeder weiß schließlich aus eigener Erfahrung, wie schwer solches fällt.
Letztlich setzt sich nach der Beschäftigung mit diesem Werk eine zentrale Aussage fest, nämlich das hier - wie so oft - weniger mehr gewesen wäre. So zutreffend der Inhalt im Prinzip auch sein mag, wäre die Autorin mit weniger Seiten, Fragen, Übungen etc. ausgekommen, könnten ihre - zweifellos berechtigten - Botschaften ein deutlich höheres Gewicht erhalten. Eine Überarbeitung des Werks in Form einer deutlichen Kürzung und Straffung könnte außerdem von einem verbesserten Layout profitieren, was sowohl dem Buch als auch den Kartensets gut tun würde. So ehrenwert eine Herausgabe im Selbstverlag sowie Holzkästchen aus der Behinderten-Werkstatt sein mögen, für eine breitere Vermarktung wären sicherlich noch diverse Schritte der Professionalisierung erforderlich.
Wenn diese Änderungen erfolgt sind, muss sich das Werk aber der breiten Konkurrenz der Coaching-Literatur, mehr aber noch der ungezählten Selbsthilfe-Ratgeber stellen, die allesamt zur Selbstreflexion mit Standort-Bestimmung einladen und Tipps für den schwierigen Weg der Veränderung bereithalten. So bleibt zu erwarten, dass für die nähere Zukunft die "pini5-Methode" vermutlich eng mit dem Wirken der Autorin verbunden bleibt, die als Erwartungsmanagerin und Diplom-Coach seit über 20 Jahren selbstständig tätig ist. Und zur Bewertung des Coaching-Erfolgs gilt ja zweifellos die alte Mediziner-Regel: "Wer heilt, hat recht!".

Prof. Dr. Klaus Stulle

Corporate Human Resources, Bayer AG, Leverkusen

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