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Bernd R. Birgmeier

Coaching und Soziale Arbeit. Grundlagen einer Theorie sozialpädagogischen Coachings.

Rezension von Professor Dr. Anton Hahne

5 Min.

"Ist Coaching ein Format oder ein Verfahren?", würde Ferdinand Buer bekanntermaßen fragen. Bernd Birgmeier, Wissenschaftler an der Katholischen Universität Eichstätt, treibt die Frage um, ob Coaching eine Methode oder eine Profession darstellt. Wünschenswert wäre ihm eher der zweite Fall, denn so ließe sich manch altbackene Berufsbezeichnung ad acta legen. "Sozialpädagoge" ist einer dieser Berufe, dem das Image des Soften und Ineffizienten anhängt - Kuschelpädagogik und Betroffenheitsritual, angestaubt und mit dem Signum der Alt-68er behaftet. Wie strahlend dagegen die Konnotation, also die gedankliche Verknüpfung mit Erfolg, Gewinn und Glücksvision beim Begriff Coaching.
Nun ist Birgmeier weit davon entfernt, derart platte Vorurteile zu verbreiten. Ihm geht es vielmehr um eine gründliche Fundierung eines sozialpädagogischen Coachings, das man sich als Mischung aus Selbstmanagement, Supervision und Verhaltenstherapie vorzustellen hat für Klienten mit "bio-psycho-sozialen" Problemen: Er schlägt ein "für Coaching, Supervision und Therapie gleichermaßen kompatibles Rahmenmodell" vor, "das sich über die Sozialpädagogik als Disziplin und Profession begründen lässt" (S. 16), "interdisziplinär im Schnittpunkt vieler Wissenschaften und Disziplinen verortet", inklusive sämtlicher (sic!) aus der Sozialpädagogik stammenden lebensweltlichen, systemtheoretischen, reflexiven, transzendentalphilosophisch-kritischen, interaktionistisch-phänomenologischen, ökosozialen, dienstleistungsorientierten, anthropologisch-handlungstheoretischen sowie bildungstheoretischen und kritisch-subjektiven Theoriefragmente. Wow!!
Birgmeier bemüht sich also, für das Feld des Sozialen "das" Meta-Konzept zu entwickeln, ähnlich kompatibel und multifunktional wie die "eierlegende Wollmilchsau" in der BWL, könnte man überspitzt meinen. Gleichzeitig soll dieses Meta-Konzept den Pluralismus des weiten Coaching-Methodenrepertoires fokussieren, qualitätsorientiert bündeln. Sehen wir uns sein Vorgehen kurz an. Es handelt sich um vier Kapitel:
In der "Einführenden Orientierung" wird die Verbindung zwischen zwei Polen gesucht: Einerseits gibt es da den Pol der eher elitären Klientel, nämlich karriereorientierter Führungskräfte aus dem Management. Andererseits suchen am entgegengesetzten Pol die Klienten sozialpädagogischer Arbeit primär ihr soziales (Über-) Leben zu sichern bzw. Gefahren abzuwenden. Was beide Lebenslagen gemeinsam haben, ist die Notwendigkeit, selbst handeln zu müssen und dies oft nicht adäquat ohne Unterstützung bewerkstelligen zu können.
Im ersten Kapitel geht es um einen Überblick zum Thema Coaching. Eine "historiographischen Skizze", Begriffsklärungen, Ziele, Anlässe, Themen, Inhalte im Coaching, Ansätze und -konzepte, Interventionen und Methoden sowie schließlich Anforderungen an die Professionalität des Coachs, all dies wird summarisch referiert und gewürdigt. Das eigene (Meta-) Modell nimmt dabei auf einer handlungstheoretischen Basis Konturen an.
Die eingangs zitierte Frage, ob Coaching eine Methode oder eine Profession sei, steht im Mittelpunkt des zweiten Kapitels. Dahinter erkennt man zum einen eine Grundsatzfrage sozialer Arbeit: Soll klienten- oder professions- bzw. einrichtungsbezogen gearbeitet werden. Birgmeier sucht die Professionsorientierung, denn dort scheint ihm die wissenschaftliche Fundierung sichergestellt, die Reflexion auch ethischer Standards und Menschenbilder. Er entwickelt die "Programmatik einer Sozialpädagogik als Handlungswissenschaft" (S. 165) und führt damit eine Diskussion um den Stand der Sozialen Arbeit als Wissenschaft weiter, der er 2003 eine eigene Monographie gewidmet hatte. Dem Außenstehenden mag die Debatte müßig erscheinen, doch steht dahinter der Versuch, Sozialarbeit und Sozialpädagogik wissenschaftlich zu fundieren und als dritte Disziplin neben Allgemeiner und Schulpädagogik innerhalb der Erziehungswissenschaften zu etablieren. Damit würde die Sozialpädagogik vom Fachhochschulniveau auf eine universitäre Ebene gehoben, was für die gesellschaftliche Anerkennung und auf die Verdienstmöglichkeiten unmittelbare Auswirkungen hätte. Erst wenn man diesen Hintergrund kennt, versteht man die leicht verbissene Ernsthaftigkeit, mit der hier argumentiert wird.
Das dritte Kapitel verortet Coaching zwischen seinen Nachbardisziplinen Psychotherapie und Supervision. Wieder wird summarisch und etwas ermüdend aufgelistet, welche Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen den verschiedenen Ansätzen bestehen. Als verbindende Brücke wird auf das Konzept der "Selbstmanagementtherapie" eingegangen: Probleme, die primär aus der Person des Klienten hervorgehen, seien Aufgabe des Therapeuten; demgegenüber helfe der Coach diejenigen Probleme des Klienten zu lösen, "die primär aus seiner Situation hervorgehen" (S. 217). Wenn es denn so einfach wäre, möchte man dem Autor entgegenhalten. Dass das verhaltenstherapeutische SOR-Paradigma mit dem zielorientierten Coaching kompatibel ist, überrascht nicht weiter. Aber ist etwas gewonnen, wenn Coaching als Sonderfall der Supervision verstanden wird?
Die Skizze eines sozialpädagogischen Coaching-Prozessmodells steht am Ende sozusagen als Quintessenz des Bandes. Interessant wäre eine zumindest exemplarische Konkretisierung in ausgewählten Handlungsfeldern der Sozialarbeit. Darauf muss der Leser aber noch warten - vielleicht erfolgt sie in der nächsten Monographie. Birgmeier ist ein fleißiger Autor, daneben auch in weiten Teilen gut lesbar, würde denn das übermäßige Zitieren unterbleiben.
Für wen ist das Buch geschrieben? Für Kollegen aus dem Feld des Sozialen, die sich um eine Professionalisierung und wissenschaftliche Fundierung Gedanken machen. Darüber hinaus für Theorieinteressierte, die Verbindungslinien zwischen klassischen sozialpädagogischen Theorien und aktuellen Beratungsansätzen nachvollziehen wollen. Nicht empfohlen werden kann das Buch den coachenden Kollegen, die im sozialen Bereich neu Fuß fassen wollen. Über Spezifika einzelner sozialer Felder und über Eigenheiten im Kontakt mit Klienten, über den Gegenpol zur glitzernden Businesswelt also, erfährt der Leser fast nichts.
Fassen wir zusammen: Vor uns liegt ein Buch, dass zurecht den Untertitel trägt "Grundlagen einer Theorie sozialpädagogischen Coachings". Es könnte auch heißen: "Wie schaffen Sozialarbeit und Sozialpädagogik endlich den Sprung auf universitäres Niveau? Antwort: Durch ein integratives umfassendes Metakonzept, letztlich durch Meinungsführerschaft im Bereich Coaching". Jeder Coach aus dem Wirtschaftsbereich, jeder supervidierende Erwachsenenbildner und jeder Psychologe wird dies anmaßend finden. Aber das ist das alte Thema der Sozialarbeitswissenschaft: Niemand nimmt sie so richtig ernst.

Professor Dr. Anton Hahne

www.antonhahne.de