Maren Fischer-Epe

Coaching: Miteinander Ziele erreichen.

Rezension von Thomas Webers

5 Min.

Die Verlagswerbung verkündet: "Das Standardwerk der Coaching-Literatur". Starker Tobak. Dem auf der anderen Seite aber, das muss man anerkennen, üppiges Haben gegenüber steht: Seit vielen Monaten stand die Vorgängerauflage unter dem Stichwort "Coaching" auf Platz 1 der Hitliste beim Onlinebuchhändler Amazon. Dass der Titel dort kurzzeitig verschwand, lag sicher an der Neuauflage. Inzwischen rangieren Alt- und Neuauflage gemeinsam in den Amazon-Top-Ten - das spricht Bände, um im Bild zu bleiben.
Neben einer Einführung vom Mentor Friedemann Schulz von Thun und einer Vorbemerkung der Autorin zur vollständig überarbeiteten Neuauflage gliedert sich das Buch in sechs Kapitel - plus eines Exkurses als siebten, denen sich ein Register und ein Literaturverzeichnis anschließt. Etliche Zeichnungen illustrieren und gelegentliche Checklisten ergänzen den Inhalt.
Das erste Kapitel handelt vom Coaching-Begriff und dem Verständnis der Autorin, die als studierte Psychologin und mit diversen Wassern der Psychotherapie gewaschene, langjährige Beraterin und Ausbilderin auf fundierte und konsolidierte Erfahrung baut. Coaching verortet sie als Beratung im Spannungsfeld von Rolle und Person. Sie bezeichnet ihr Coaching-Verständnis als systemisch, psychologisch, konstruktivistisch, phänomenologisch, entwicklungsorientiert, auf humanistischen Grundwerten basierend, dialogisch, den aktuellen Stand der Neurowissenschaften nutzend sowie Interventionstechniken aus unterschiedlichen Beratungsschulen integrierend.
"Es sind keineswegs die Techniken und gewieften Interventionen, die an erster Stelle als hilfreich genannt werden", eröffnet die Autorin das zweite, umfangreichste Buchkapitel "Werkzeugkoffer", "sondern vielmehr die Grundhaltung und die prinzipielle Dialogfähigkeit des Beraters". Es folgen sieben praktische und systematisch aufgebaute Abschnitte zu Coaching-Kompetenzfeldern: 1. Zuhören und Stellung nehmen, 2. Den Überblick behalten, 3. Lösungsorientiert vorgehen, 4. Rollen und Aufgaben klären, 5. Kommunikation reflektieren, 6. Die psycho-logische Welt erklären, 7. Themenzentriert vertiefen. Zu diesen Kompetenzfeldern werden jeweils Erklärungsmodelle, Beratungsmethoden und -techniken beschrieben, die sich in der Ausbildung von Coachs besonders bewährt haben. Jeder Abschnitt enthält eine Sektion "Chancen und Gefahren", in der dem "blind toolgläubigen Schrauber" in Form eines Beipackzettels die "Risiken und Nebenwirkungen" solcher Modelle oder Techniken verdeutlicht und mögliche Alternativen angeraten werden. Das ist umsichtig und gar manchem hoffentlich hilfreich.
"Der Coachee muss sicher sein können, dass Organisations- und Sachprobleme nicht psychologisiert und individualisiert werden. Andererseits dürfen individuelle Probleme aber auch nicht versachlichend ‚wegorganisiert‘ werden", resümiert die Autorin einleitend das dritte Kapitel und veranschaulicht am Modell der "Tiefung" (Petzold), wie man im Coaching die richtige Bearbeitungsebene findet. Das vierte Kapitel handelt vom konkreten Vorgehen, beschreibt also Coaching als einen systematischen, professionellen Prozess. Das fünfte Kapitel handelt von der Coaching-Kompetenz in der Führungsrolle. Hier wird zum kontroversen Thema "Führungskraft als Coach" ein Sowohl-Als-Auch postuliert - wenn auch unter sorgfältiger Abwägung und Kontrolle der Rahmenbedingungen. Unter der Überschrift "Der ‚ideale‘ Coach" legt die Autorin im sechsten Kapitel die Kompetenzfelder eines Coachs dar und die Anforderungen, die man an sie oder ihn stellen muss - was dann ins Thema Qualitätssicherung mündet.
Die Leser haben bis hierhin eine ungeheuer kompakte und gediegene Einführung ins Thema Coaching bekommen - zu einem günstigen Preis. Konzeptionell findet man sehr viel aus der Hamburger Schule (Schulz von Thun) wieder, so dass die Novizen im Coaching-Feld, ob nun angehende Coachs oder Führungskräfte, eine gute Basis vorfinden - sozusagen das Starter Kit, vor allem, wenn sie ohne psychologische Vorbildung angetreten sind. Von hier aus lässt sich sukzessive weiteres Wissen er- und anschließen - das dem psychologischen Experten gleichwohl vertraut sein sollte. Ein Beispiel: Mit dem Riemann-Thomann-Modell das Thema Persönlichkeit zu erklären, mag für den Laien eine Erleuchtung bedeuten. Dem Psychologen dürfte zu dieser schlichten Melodie aber leicht eine mehrstimmige Symphonieorchestrierung einfallen.
Wäre da nicht noch dieser Exkurs als siebtes Kapitel, das dem Rezensenten verstörte: "Was bedeutet ‚systemisch‘ im Coaching?" Im "Werkzeugkoffer" hatte die Autorin die systemische Klaviatur rauf und runter bedient. Hier nun kritisiert sie zusammen mit den Kollegen Claus Epe und Martin Reissmann nach einem kurzen geschichtlichen Aufriss unter anderem "die fehlende Persönlichkeitsdimension in der Systemtheorie". Wenn man Systemtheorie im Luhmann‘schen Sinne verengt versteht, mag das Sinn machen. Doch bedient man sich der Konzepte "inneres Team" (Schulz von Thun) oder "multiple Persönlichkeit" (Gunther Schmidt) ist das alles andere als schlüssig - im Gegenteil. Weitere Kritikpunkte könnten noch kontrovers diskutiert werden. So wundert man sich, warum die Autorin dieses provokante, polarisierende Kapitel - das inzwischen auch als Auskoppelung in der Zeitschrift "wirtschaft+weiterbildung" (3/11) erschien ist - ins Buch aufgenommen hat. Hier lehnt sie sich plötzlich - und ohne erkennbare Not - recht weit aus dem Fenster in schwindelnder Höhe. Ob dies auf einen speziellen Marketingeffekt abzielen sollte? Dies wäre unnötig, denn das Buch ist ein Bestseller und ein Standardwerk (unter anderen).
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