Nach oben
Michael Pohl, Heinrich Fallner

Coaching mit System: Die Kunst nachhaltiger Beratung (3., überarb. u. erw. Aufl.). Wiesbaden: VS.

Rezension von Thomas Webers

4 Min.

Wenn ein Buch schon in der dritten Auflage erscheint, sollte man glauben, es habe sich am Markt bewährt. Doch das Buch hat mit Coaching nur zum Teil, mit System kaum zu tun. Auch wenn Titel und Untertitel gar suggerieren mögen, man hielte mit diesem Buch sozusagen - zwischen Könner- und Künstlerschaft - die berühmte Eier legende Wollmilchsau in der Hand. Legt man das Buch nach der Lektüre aus der Hand, ist man geneigt, es als ein einziges Missverständnis zu betrachten. Warum?
Nach dem einleitenden Überblick, an dem schon das Motto, "der kreative Geist stiehlt, wo er kann", irritiert, gliedert sich das Buch in sieben Teile. Der erste Teil ist mit "Die Kunst des Coaching" überschrieben. Autor Pohl, ein studierter Soziologe, beginnt damit, Coaching für die drei Zielgruppen - Einsteiger, Ökonomen und Beratungsprofis - in deren "Sprache" zu erklären; allerdings wenig überzeugend. Die folgenden Abschnitte beziehen sich immer wieder auf fundamentale Quellen, als da die Bücher von Christopher Rauen, Astrid Schreyögg oder Ed Nevis wären. Verwunderlich ist dabei die oft eigenwillige Interpretation der Quellen und deren Verknüpfung mit anderen, eher wenig offensichtlich naheliegenden Quellen, und eine Sprache, die oft wenig präzise, dafür reich an Allgemeinplätzen, gelegentlich tautologisch, immer auch wieder widersprüchlich und häufig semantisch inhaltleer anmutet. So werden Arbeitssysteme als lebendige Organismen bezeichnet, um nur ein Beispiel zu nennen. Doch welches Arbeitssystem stirbt, wenn man den Chef (das Haupt) austauscht? Aber vielleicht wurden an dieser Stelle nur die Anführungszeichen vergessen, mit denen sonst inflationär operiert wird. Sollte man jedoch diverse Begrifflichkeiten lediglich als Metaphern verstehen, stellt sich sogleich die Frage, warum so blumig? Warum nicht konkret? Zum Schluss des Kapitels kommt ein wenig Licht ins Dunkle: Autor Pohl hat längere Zeit mit einem Kunsthistoriker und Designdozenten kooperiert. So mag sich manche Metapher als Adaption aus dessen Gedankenwelt erklären.
Im Mittelpunkt des zweiten Teils aus der Feder Autor Fallners steht das "System-Haus", das schon im ersten Teil eingeführt wurde. Fallner, von Beruf Diakon, erklärt dann Systeme - ob nun Individuen oder Organisationen - mit der Haus-Analogie, was ebenso irritiert wie die zuvor erwähnte Organismus-Analogie. Was die beiden Autoren hier als "System" liefern, ist schlichte Kybernetik erster Ordnung, also ein überholtes Systemverständnis und man vermisst entsprechende Erkenntnisse der Soziologie (Luhmann), des Konstruktivismus (von Foerster) oder der (Sozial-)Psychologie.
Neu in der dritten Auflage ist Teil III: Eine Qualifizierung zum Coach. Hier legen die Autoren ihr Coaching-Ausbildungscurriculum dar. Als Garant der Qualitätssicherung wird die Deutsche Gesellschaft für Coaching (DGfC), als Zielgruppe werden Sozialpädagogische Fachkräfte, Mitarbeiter in Jugendämtern und Lehrer genannt.
Auch der vierte Teil ist neu in dieser Auflage. Er handelt von der Coaching-Kultur und der Zukunft des Coaching. Hier wird in aller Breite eine Veröffentlichung von Astrid Schreyögg als organisationssoziologische (dabei ist Schreyögg Psychologin) Analyse referiert. Das Kapitel mündet in eine Warnung vor zu viel Lobbyismus, um dann zwei Sätze weiter den eigenen Verband als Vorbild zu benennen.
Teil V "Coaching-Kontexte" versteht sich als erweitertes Glossar. Hier werden auf zwanzig Seiten zentrale theoretische Begriffe der Autoren erläutert - und schnell Opfer des kritischen Lesers. Der umfangreiche sechste Teil liefert Live-Berichte und Übungen. Hier wird nun die methodische Orientierung der Autoren, sie entstammen der Gestalttherapie, offensichtlich. Das Format der Übungen lässt sich mit "Selbsterfahrung" überschreiben, sie entstammen den eigenen Ausbildungssequenzen. Die Formate mögen im Ausbildungssetting funktionieren, doch wie man im Einzel-Coaching mit Dyaden und Triaden arbeiten soll, erschließt sich nicht so leicht. Im abschließenden siebten Teil folgen Materialien und Arbeitspapiere der Autoren; eine eher bunt zusammen gewürfelte Bibliografie schließt sich an.
Nun ist prinzipiell nichts gegen eine Fokussierung auf eine methodische Schule, in diesem Fall die Gestalttherapie, einzuwenden. Gravierender fällt ins Gewicht, dass das Buch dieser potenziellen Erwartung, Coaching nach Gestaltprinzipien zu erklären, kaum entspricht. Der Text ist in weiten Strecken auf einem wenig Erkenntnis fördernden Niveau. Was soll ein Anwender nun tun, wenn die Autoren breit von der "sozialen Heilung" durch Coaching schwärmen und dann wenige Sätze weiter lesen, bei Coaching gehe es nicht (!) um Therapie? Der von den Autoren genannten Zielgruppe der Sozialpädagogischen Fachkräfte, Mitarbeitern in Jugendämtern und Lehrern sei größerer Erkenntnisgewinn zu gönnen. Lassen wir dieses Buch deshalb, im Gestalt-Jargon, "einfach einmal ein Stück weit im Raume stehen"