Beate West-Leuer

Coaching an Schulen. Psychodynamische Beratung zur Stärkung professioneller Beziehungskompetenz. Gießen: Psychosozial-Verlag.

Rezension von Dr. Immanuel Ulrich

4 Min.

Die Autorin schreibt, dieses Buch diene dazu, die Entwicklung professioneller Beziehungskompetenz durch psychodynamisch orientiertes Coaching, Supervision und Beratung anzuregen. Zentral sei dabei die Beziehungskompetenz von Lehrern, da diese Kompetenz die zentrale Komponente eines erfolgreichen Unterrichts darstelle.
In fünf Teilen - Theorie, Einbettung, Fallbeispiel und Interpretation, Einfluss von Status und Gender sowie Eigenheiten der Schule als psychosozialer Raum - werden in diesem Buch jedoch nicht die Klassensituation, sondern die Situation eines Lehrerkollegiums mit seinen Spannungen erläutert. Im Fokus steht die Beobachtung der Beziehungskompetenz der Lehrer während des Coachings des Kollegiums und ihre psychoanalytische Interpretation.
Im ersten Teil "Doppeldenk: Grundlage psychodynamischer Coachingkompetenz" werden nach einer kurzen Einordnung des Themenkomplexes (Was ist Coaching?, Parallelberatung psychischer und sozialer Systeme) die klassischen psychoanalytischen Grundmuster erläutert: Übertragung und Gegenübertragung, Abwehr- und Bewältigungskonstellationen, Spiegelung etc. Sie werden im Rahmen des Coachings kurz, prägnant und fundiert beschrieben.
Im folgenden Teil "Feldanalyse: Schule und Gesellschaft" werden die historischen Veränderungen im deutschen Bildungssystem vom 18. Jahrhundert über Kaiserreich, Weimarer Republik, Drittem Reich sowie BRD und DDR behandelt. Im Fokus steht dabei das Wechselspiel zwischen Institution, Lehrern und Schülern im Kontext des jeweiligen staatlichen bzw. gesellschaftlichen Bildungsauftrages. Ein separates Unterkapitel widmet sich abschließend der gegenwärtigen Situation.
Im Teil drei (Hinter den Kulissen eines Lehrerkollegiums" beschreibt West-Leuer ausführlich ihre Erfahrungen mit dem Coaching des Lehrerkollegiums. Zunächst wird protokollarisch der gesamte Prozess geschildert, um ihn im zweiten Schritt psychoanalytisch zu interpretieren und auszuwerten. Im dritten Schritt wird die gesamte Fortbildung von einer externen Person einer Kontrollanalyse unterzogen, wobei zusätzlich im letzten Schritt zum besseren Verständnis einzelne Aspekte genauer behandelt werden.
Im vierten Teil - Sprachspiele von Status und Gender - werden die Interaktion des konfliktträchtigen Lehrerkollegiums unter den Aspekten der Geschlechts- und Statusrollen (Schulleiter, Lehrer etc.) analysiert. Bedeutende Punkte sind hierbei die Aspekte Autonomie vs. Kontrolle, Nähe vs. Distanz bzw. Liebe und Hass.
Im letzten Teil - Womit im Coaching zu rechnen ist - geht es in erster Linie um die spezifischen Eigenheiten des sozialen Systems Schule. Nach einer Erläuterung des "Psychogramms der Institution Schule" endet das Kapitel mit einem fundierten Plädoyer für professionelle Grundeinstellungen als Basis einer authentischen Beziehung in der Erziehung. Am Schluss des Buches wird noch kurz auf die aktuelle - nun sehr günstige - Situation der Schule ein paar Jahre nach dem Coaching eingegangen.
Fazit: Das Buch beinhaltet eine ausführliche Fallbeschreibung des Coachings eines Lehrerkollegiums. Ausgangssituation, Vorbereitung, Durchführung, Interpretation der Ereignisse und die retrospektive Selbstreflexion des eigenen Handeln werden detailliert behandelt. Der Eingang auf die theoretischen Grundlagen der Methode sowie auf den historisch gewachsenen, aktuellen Kontext der Schule betten die Thematik ein.
Positiv herauszustellen ist insbesondere die anschauliche und interessante Fallbeschreibung; man merkt, dass sich die Autorin mit diesen Interaktionen intensiv auseinander gesetzt hat. Erfrischend ist dabei die Selbstreflexion der Autorin, die ihre Handlungen hinterfragt und dabei auch konkret darstellt, wie es ihre Meinung nach hätte besser laufen sollen.
Negativ anzumerken ist die gelegentlich fehlende Strukturierung des Fließtextes, es ist teils nicht klar, warum ein Punkt gerade an dieser Stelle im Text genannt wird. Unklar bleiben teils auch die genauen Methoden, auf deren Basis die Schlussfolgerungen getroffen wurden (z.B. über Erinnerung oder Videoaufzeichnung). Eine stärkere Systematisierung und Taxonomie der einzelnen Punkte hätte da Abhilfe geschaffen. Fraglich ist auch, ob die starke Betonung von Status und Gender seinem Einfluss gerecht wird. Die Auflösung der klassischen Rollen von Mann und Frau bzw. die Hierarchieabflachung in den heutigen Organisationen hat die Effekte von Geschlecht bzw. Status mit jeder neuen Generation weiter abgeschwächt.
Das Buch richtet sich klar an Fachpersonen, die sich Anregungen für Ihre Coachings anhand eines lebendigen Fallbeispieles samt Selbstreflexion wünschen. Die theoretischen Erläuterungen sind für fachfremde Personen zu knapp und dienen nur zur Auffrischung. Fachfremde Personen sollten zunächst auf ausführlich Standardwerke der psychoanalytischen Theorie(n) zurückgreifen und danach diese Punkte im Buch überspringen.
Um den (psychoanalytischen) Coaching-Prozess, gerade im Kontext der Schule, nachzuvollziehen und zu begreifen, ist dieses Buch jedoch durchaus zu empfehlen.


Immanuel Ulrich

Schul- und Unterrichtsforschung, Freie Universität Berlin



Dr. Immanuel Ulrich

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