Philippe Rosinski

Coaching Across Cultures. New Tools for Leveraging National, Corporate & Professional Differences (5. Aufl.). London: Nicholas Brealey Publishing.

Rezension von Dr. Michael Loebbert

4 Min.

Mit mindestens drei Erkenntnissen hat Philippe Rosinski für die praktische Orientierung und Gestaltung von kulturellen Kontexten im Coaching beigetragen:
Kulturelle Unterschiede beschäftigen uns beileibe nicht nur in internationalen Unternehmen und Kooperationen als mögliche Quelle von Missverständnissen. Sie spielen überall eine Rolle, wo Menschen zusammen arbeiten und in gemeinsame Leistungsprozesse eingebunden sind. Wenn sich Verkäufer mit Ingenieurinnen streiten, Versicherungsunternehmen mit Baufirmen verhandeln, Frauen und Männer, Afrika und Asien, Ärzte und Krankenpfleger, Familienunternehmen und Management aufeinandertreffen. Es geht um Unterschiede in Werten, unsere Art der Zeitwahrnehmung, wie wir Identität konstruieren und was wir für sinnvoll halten, wie wir unsere Organisationen gestalten, wie wir Territorien und Grenzen besetzen, welche Kommunikations-, Denk-, Fühl- und Handlungsmuster wir bevorzugen. Wie wir mit unseren kulturellen Unterschieden umgehen, entscheidet maßgeblich über die Qualität und den Wertbeitrag unserer Leistungen.
In geschäftlichen Austausch- und Kooperationsprozessen geht es um kulturelle Kompetenz. Erst im bewussten Verhalten zur Tatsache kultureller Unterschiede kann ich diese auch nutzen. "Ethnozentrische" Scheuklappen, von der gänzlichen Leugnung bis zur Trivialisierung kultureller Differenzen und ihres Einflusses, stören oder verhindern die Kommunikation; in ihrer chauvinistischen Ausprägung, der Abwertung fremder kultureller Merkmale, machen sie Zusammenarbeit unmöglich. Kulturelle Unterschiede müssen erst einmal als solche wahrgenommen und akzeptiert werden. Wir Menschen können uns anpassen und Kulturunterschiede im Alltag des Zusammenlebens und -arbeitens integrieren.
Die hohe Kunst ist allerdings, Kulturunterschiede zur Verbesserungen unserer Leistungen und unseres Lebens zu nutzen. Rosinski gebraucht hier den Begriff "Leveraging", für den ich keine wirklich gute Übersetzung ins Deutsche gefunden habe. Er zeigt an einer Vielzahl von Beispielen, wie kulturelle Unterschiede als "Hebel" für die Verbesserung von Leistungen in Teams und Untenehmen genutzt werden können. Bei der Integration eines Unternehmens mit einer stark operativ auf kurzfristige Erfolge zielenden Unternehmenskultur in einen Konzern mit Kernwerten wie strategischer Planung, Rationalität und Langfristdenken gelingt es, das Beste von beiden weiter zu entwickeln. Es geht nicht darum einzugliedern, sondern um die Bereicherung der zur Verfügung stehenden Handlungsmuster in ihrem jeweiligen situativen Kontext. Wie zum Beispiel die Integration von eher individualistischen westlichen Werten und asiatischen Vorstellungen von kollektiver Harmonie wie sie in einem asiatisch-australischen Versicherungskonzern vorgelebt wird. Wirkliches Engagement von Mitarbeitenden kann nicht getäuscht werden. Nur wenn Leistungen in Übereinstimmungen mit Werten und Sinngebung gefordert und erbracht werden, sind auch die Ergebnisse exzellent. - Das ist Rosinskis Behauptung für den Zusammenhang von "Commitment" und "Performance", für den es vielfache wissenschaftliche Belege gibt. - Polaritäten kultureller Merkmale wie Stabilität und Wandel, Hierarchie und Gleichheit, Mangel und Fülle, formelle und informelle Beziehungsgestaltung, oder auch analytisches und synthetisches Denken werden nicht nur balanciert, sondern auch in ihrer jeweils spezifischen Leistungsfähigkeit herausgearbeitet. Alles hat seine Zeit und seine Situation. Und nur, wenn eine Organisation, wenn Führungskräfte in Unternehmen, über eine große Breite von kulturellen Mustern verfügen können, werden in komplexen Zusammenhängen neue und innovative Lösungen erreicht.
Rosinski ist ein bekennender Idealist: Die Bestimmung des menschlichen Lebens, Merkmale einer reifen Gesellschaft, die Versöhnung von persönlicher Erfüllung und exzellenter Leistung, Einheit und Frieden innerer Strebungen und äußerer Realität sind seine Themen. - Und wahrscheinlich überzieht er im dritten Teil des Buches ein wenig mit dem Anspruch der Erlösung der Welt durch die richtigen Modelle … Doch der immer wieder gezogene pragmatische Rahmen, mit Coaching zu wirklichen Verbesserungen beizutragen, und mit der präzisen Darstellung, kulturelle Unterschiede wirklich zu nutzen für die Entwicklung von Leistungen, Wertbeiträgen und für persönliche Erfüllung, ist dieses Buch inzwischen zurecht ein Klassiker für die Arbeit mit kulturellen Themen im Coaching und für Coaching als Kulturarbeit.

Dr. Michael Loebbert

Programmleiter Coaching Studies FHNW – Fachhochschule Nordwestschweiz
www.coaching-studies.ch
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