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Konzepte

Empowerment im Business-Coaching

Bestärkung der eigenen Machtquellen

Empowerment gibt es immer schon – und freilich auch außerhalb von Coaching. Aber jedes „gute“ Coaching ist auch Empowerment, wenn es eine Verstärkung der Selbststeuerung des Klienten bewirkt. Empowerment heißt nicht, dass Power, Macht, Energie, Unternehmensmut und so weiter von außen in eine Person „hinein verlegt“ werden können. Wohl aber hat es klare inhaltliche und prozessuale Aspekte.

15 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 3 | 2009 am 25.08.2009

Empowerment bedeutet, dass vorhandene, aber wenig oder unvollständig genutzte Ressourcen und Kompetenzen entdeckt, gepflegt, wertgeschätzt, entfaltet, bestätigt, bestärkt und erweitert werden. Und in diesem Sinne sollte jede Art von Coaching – und jede Coaching-Sitzung – „Empowerment“ bedeuten; selbst wenn dabei ein Klient sehr ernst oder grundsätzlich mit bestimmten Aktivitäten in Frage gestellt wird.

Der Begriff Empowerment entstammt der amerikanischen „Gemeindepsychologie“. Der Sozialwissenschaftler Julian Rappaport (1981) versteht darunter ein Konzept, das sich durch eine Abwendung von einer defizitorientierten hin zu einer stärkenorientierten Haltung auszeichnet. Ebenfalls zu nennen wäre Saul D. Alinsky (1909-72). Er organisierte die „Habenichtse“ in den Slums von Chicago und hat seine Erfahrungen als „Anleitung zum Mächtigsein“ veröffentlicht (s. Kasten). Ich beschreibe Coaching als Empowerment – als Ermächtigung zu wesentlicher Lebenskraft – in vier Schritten:

  1. Der organisationale Rahmen von Business-Coaching
  2. Grenzen und Beziehungen im globalen Kontext
  3. Empowerment als Bestärkung der eigenen Machtquellen
  4. Beobachtung der Wirkungen von Coaching als Empowerment

„Anleitung zum Mächtigsein“ (Saul D. Alinsky, 1946) 

Ein anderes Wort als „Macht“ zu gebrauchen heißt, die Bedeutung von allem, worüber wir reden, zu ändern. Wie sagte noch Mark Twain einmal: „Der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem fast richtigen Wort ist der Unterschied zwischen der Erleuchtung und einem Glühwürmchen." (...) Die Korruption der Macht liegt nicht an der Macht, sondern an uns selbst. Und außerdem, was ist diese Macht, von der und für die die Menschen in einem starken Maße leben?

Macht ist das eigentlich Wesentliche, der Dynamo des Lebens. Durch die Macht des Herzens wird Blut durch den Körper gepumpt und erhält ihn am Leben. Es ist die Macht einer aktiven Beteiligung der Bürger, die eine vereinigte Stärke für ein gemeinsames Ziel schafft. Macht ist eine wesentliche Lebenskraft, die immer wirkt, entweder zur Veränderung der Welt oder zur Verhinderung von Veränderung. Macht oder organisierte Tatkraft kann ein tödlicher Explosionsstoff oder ein lebensrettendes Heilmittel sein. Mit der Macht eines Gewehrs kann man die Sklaverei aufrechterhalten oder die Freiheit erlangen.

Der organisationale Rahmen von Business-Coaching

Coaching im Kontext von Business trifft immer auf Macht; Definitionsmacht in Strukturen und in Prozessen, Macht in Erwartungen, Zuschreibungen und Bestätigungen. Doch soziale Systeme sind nicht statisch, auch wenn die Bilder, die wir uns in der Regel davon machen, „stehende“ Bilder, eher Fotos vergleichbar sind als einem Film. Wir sehen Organigramme, aber nicht, was sich prozessual permanent verändert. Umso mehr müssen Organisationen in ihrer Prozess- und Entwicklungsorientierung wahrgenommen und beschrieben werden. Business Coaching stellt sich in den Organisationskontext, indem es Vertraulichkeit und Transparenz kombiniert. Die Gespräche zwischen Coach und Klient sind vertraulich – aber das Coaching ist nicht geheim, weil es vom Unternehmen eingesetzt und in seiner Wirkung beobachtet wird.

Empowerment verortet im organisationalen Kontext die jeweiligen individuellen Erwartungen und die Art und Weise ihrer sozialen Zurechnung. Es klärt die sich daraus ergebenden Interaktionen. Es schärft den Blick für die Herausbildung und Entwicklung von Identitätsformationen in Selbst- und Fremdbildern. Es zeigt die Konstruktionsprinzipien der jeweils propagierten Werte. Es hebt die sozialen Konstrukte wie Autorität, Macht, Legitimität, Loyalität in den Bereich der Gestaltbarkeit. Wenn Empowerment allgemein den sozialen Boden einer Person sichert, dann weitet und konsolidiert empowerndes Coaching den sozialen Boden für den Klienten im organisationalen und beruflichen Kontext. Wenn Empowerment sowohl Standfestigkeit als auch Flexibilität in unterschiedlichen sozialen Systemen erhöht, dann erhöht es sie im Coaching konkret, situativ zugespitzt und in praktischen Handlungsoptionen.

Grenzen und Beziehungen im globalen Kontext

Alle sozialen Systeme unterliegen im Kontext der gegenwärtigen gesellschaftlichen und globalen Entwicklungen einer vielfältigen Dynamik, die aber in der Informationstechnologie einen gemeinsamen Angelpunkt hat. Raum, Grenzen und Reichweite haben sich durch die Informationstechnologie grundlegend und in dramatischem Tempo verändert. Innerhalb einer Generation sind Jahrtausende alte Beziehungsgefüge quantitativ und qualitativ anders geworden.

Am deutlichsten wird dies fassbar am menschlichen Relationsfeld, das in der Ausdifferenzierung und im Zusammenspiel zwischen Hand und Wort (André Leroi-Gourhan, 1980) für die Menschwerdung insgesamt konstitutiv ist. In diesem Relationsfeld zwischen Kopf/ Mund/Wort einerseits und Hand/ Werkzeug andererseits liegen sowohl die Begriffe als das, was „begriffen“, mit dem Verstand angeeignet worden ist, als auch die Instrumente, die die menschlichen Sinne „erweitern“ (als Signalhorn, als Lupe, als Greifzange) oder die Raum und Zeit überbrücken (als Leiter, Rad, Brücke, Kalender, Uhr).

Begriffe und Instrumente sind in immer schnellerem Tempo im Verlauf der letzten zehntausend Jahre entwickelt worden. Im 19. und im 20. Jahrhundert wurden die räumlichen Grenzen durch Eisenbahn, Dieselmotor, Telefon und schließlich die „Begehung“ des Weltraums ausgeweitet ins Globale. Maschinen, Fortbewegungsmittel und wissenschaftliche Instrumente haben zu einer universalen Durchdringung und Beherrschung des Planeten Erde geführt. Instrumente von immer weiterer oder tieferer Reichweite im Großen wie im Kleinen, vor allem Radio, Fernsehen und Telekommunikation haben das menschliche Relationsfeld alltagspraktisch ausgeweitet.

Im PC implodiert sozusagen diese expansive Dynamik. Sie schrumpft zusammen auf ein „Fenster“ im (antiquierten) Maß von 9 x 13 Zoll. Damit werden herkömmliche Beziehungen „auf den Kopf“ gestellt. Ehedem eindeutig materielle Beziehungen zu Gegenständen (Büchern, Karten usw.) und persönliche Beziehungen zwischen Menschen und Gruppen verflüssigen sich.

Mit dem PC engt sich das historisch differenzierte Relationsfeld der meisten modernen Menschen massenhaft und zeitlich beherrschend auf eine lokale „Gehäuse“-Struktur zwischen Kopf und Augen, Händen und Bildschirm ein.

Empowerndes Coaching „rekonstituiert“ den leibhaftigen Menschen als Mann oder Frau in ihrem jeweiligen Eigen-Sinn in der Gegenwart. Sozusagen als Gegengewicht zur virtuellen Grenzenlosigkeit und Ubiquität im Mensch-Computer-Relationsfeld, „rekonstruiert“ und nutzt es die Form vertraulichen Dialogs im „Gehäuse“ der Kutsche (Coach) – verlangsamend, reflexiv, deutend, in Frage stellend und bestärkend. Empowerndes Coaching führt aus dem globalen Kontext wieder zurück auf das Erleben des Organismus Mensch, auf den umgebenden Grenzraum (intime Distanz, Greifnähe) und auf körperferne Grenzräume außerhalb dieser Greifnähe, auf soziale Distanz, aber auch auf Kommunikation. 

Empowerment als Bestärkung der eigenen Machtquellen

Empowerment nutzt das Setting des Coachings: Auf der einen Seite nutzt es den Organisationskontext, der im Coaching verändert, verdoppelt ist (Organisationskontext des Klienten und Organisationskontext des Coachs) und dialogisch verläuft. Es nutzt und „beutet aus“ – sowohl die Erwartungen, Wünsche und Ressourcen der konkreten Kunden als auch die jeweils lokalen, situativen und strukturellen Spielregeln der Organisation. Es verbindet sie mit globalen, universellen, virtuellen Bezugspunkten, Prozessen, Entwicklungen. Auf der anderen Seite nutzt Empowerment unterschiedliche Prozessdynamiken, wie Co-Produktion und relationiertes Expertentum, die Entfaltung von innen nach außen sowie kritisches Denken.

Co-Produktion und relationiertes Expertentum

Im Coaching arbeiten Klient und Coach zusammen. Dies ist banal, aber doch nicht nur eine elementare Voraussetzung für das Stattfinden von Coaching, sondern auch ein unermesslicher Gestaltungsraum. Maria L. Staubach (2007) unterscheidet bloße Zusammenarbeit von kreativer, ergebnisreicher Co-Produktion. Zusammenarbeit ist keine nur zufällige und von Launen abhängige Folge von Gesprächen, sondern weist drei Dimensionen der Co-Produktion auf:

  1. Schon in der Auftragsgestaltung kann durch die Art und Weise, wie ein Coach dem Klienten Kompetenz und Kooperationsbereitschaft unterstellt, die Grundlage für Kreativität und Co-Produktion gelegt werden. In der Auftragsverhandlung ist der Klient eher als Experte des Anliegens und erwarteter „Lösungen“, der Coach mehr als Experte professioneller Gesprächsführung und Prozessgestaltung aktiv. Der Coach nutzt sein Nichtwissen, um relevante Informationen des Klienten zu bekommen – dieser ist in der Phase der Experte (seines Anliegens, seiner Geschichte, seiner bisherigen Erfolge und Veränderungsbereitschaft usw.). Vertrauen ist jeweils beiderseits eine Produktion als auch Co-Produktion, die reflexiv verstärkt werden kann. Die Prozesse der Veränderung des Klienten erfordern dann wiederum mehr Expertise vom Coach. 
  2. Das Dilemma des Coachs ist, zu „bestätigen, ohne zu bestätigen“. Er muss einerseits dem Klienten etwas Neues anbieten, sich aber auch an seiner Auffassung von Nützlichkeit orientieren. Um in diesem und möglichen anderen Dilemmata Co-Kreativität und Co-Produktivität zu ermöglichen und zu stimulieren, bedarf es besonderer Kompetenzen des Coachs. Staubach nennt dafür vier Parameter, die sich dynamisch aufeinander beziehen und wechselseitig beeinflussen: Kompetenz, sich an Theorie zu orientieren, Reflexionskompetenz, Kompetenz, in relevanten Kontexten zu operieren, sowie Prozesssteuerungskompetenz. 
  3. Co-Produktion bedeutet von Anfang an eine Einschränkung des Expertenstatus des Coachs. Sie läuft sodann auf eine Modellbildung von Kommunikation gegen den allgemeinen Trend hinaus. Diese Art co-produktiver Kommunikation unterscheidet sich von anderen durch die gegenseitige Bezugnahme der Kommunikationspartner Coach und Klient, deren jeweilige Professionalität geachtet und wertgeschätzt wird. Die reflexive Beziehung zwischen Kunde und Coach erfährt also eine Relationierung. Sie folgt der Dynamik und gestaltet sie in ihrer Veränderung. Sie orientiert sich an den relevanten Regeln, die sich aus den Rahmenbedingungen ergeben. Sie lässt sich nicht festschreiben, aber doch beschreiben, reflektieren, nutzen. Der Coach kann die eigene Beratungspraxis dann als erfolgreich ansehen, wenn eine Erhöhung der Annahmewahrscheinlichkeit seiner Kommunikationsangebote zu bemerken ist.

Wenn der Coach sich gleichsam tänzerisch zwischen dominantem Expertenstatus und Verweigerung von Expertise hindurch bewegen kann, wenn die Kundin oder der Kunde neue Schritte erkundet und ausprobiert, führt dieses co-produktive Empowerment zu neuen, robusten Handlungsoptionen.

Die Entfaltung der Prozessdynamik von innen nach außen

Wie entfaltet sich zwischen Klient und Coach ein vertrauensvoller Dialog, der zu Co-Produktivität und Empowerment führt? Wie kommt man vom gemeinsam verhandelten Dialograum zu Vertrauen, wie von Vertrauen zu reflexiver und sich selbst verstärkender Co-Produktion, wie von Co-Produktität zum Empowerment einer Seite der Partner im Dialog, nämlich des Klienten?

Jacqui Scholes-Rhodes hat diese Dynamik in einer eindrucksvollen Arbeit unter dem Titel „From the Inside Out“ (2003) beschrieben. Sie benennt fünf Dimensionen des Dialogs:

  1. Auf beiden Seiten, bei Coach und Klienten, findet ein Prozess des „intuitiven Strukturierens“ (intuitive structuring) statt. In den Dialog fließen zwei unterschiedliche Redeflüsse hinsichtlich Atem, Satzlänge, Expressivität, narrativer Distanzierung, personaler Selbstbeschreibung usw. ein. Aus einem anfänglich angenommenen strukturierten Muster (Sitzungsdauer, Sequenz, Abstände, Art der Vor- oder Nachbereitung, Themen, aber auch Dialogstruktur in Frage und Antwort, Pausen, Umschreibung etc.) verstärkt sich eine Struktur der Kooperation in spezifischer Art und Weise, so wie sie für den Dialog und das Vertrauen zwischen diesem Klienten und diesem Coach sinnvoll erscheint. Aus diesem intuitiven Strukturieren baut sich Empowerment auf. 
  2. In der Dynamik des Prozesses der Co-Produktion entfaltet sich sodann eine „verkörperte Wahrheit“ (unfolding an embodied truth). Klient und Coach sind körperlich anwesende Dialogpartner, unterschieden in Rasse oder Kulturraum, Alter, Geschlecht, Biografie, Karriere, Anliegen usw. Beide verkörpern das, was sie sind und was sie wollen, in diesem Dialog. Ihre jeweilige „Wahrheit“ ist die wichtigste Quelle von Co-Produktion. Dem Empowerment mag freilich eine solche Wahrheit diametral entgegenstehen, wenn Überzeugungen und Haltungen internalisiert worden sind und einen Menschen prägen im Sinne von „das kannst du nie“, „der Mensch ist unfrei und unfähig“, „wir in unserer Familie sind dafür nicht geboren“, „solche Wünsche kannst du dir aus dem Kopf schlagen“ usw. usf. Empowerment wird die Antithesen zu solchen Glaubenssätzen oder anderweitigen Restriktionen aufspüren und mit Respekt und Achtsamkeit die tiefere Bedeutung solcher „Wahrheiten“ ergründen. 
  3. Zugleich stellt sich im Prozess des Coachings ein gewolltes und wahrgenommenes Muster ein (intentional and attentional patterning). Beide Dialogpartner verständigen sich über ihre Anliegen, ihre Intentionen, über ihre Ziele, über das was sie wollen und anstreben. Beide bringen ihre je persönlich geprägte Art ein, Aufmerksamkeit zu schenken und zu lenken. Hieraus ergibt sich ein kommunikatives Muster. Der Coach mag als Profi in Gesprächsführung mehr in dieser Musterbildung bemerken, bei sich selbst oder bei Kunden. In die Musterbildung von Co-Produktivität sind aber beide gleichermaßen eingebunden. 
  4. Sprache erweist sich als lebendiger Ausdruck (language as a living expression). Im Coaching (nicht im virtuellen Coaching am Computer) wird in der Regel gesprochen. Es wird auch geschwiegen, gelacht, geseufzt, geweint, gestottert, es wird laut. Worte werden gesucht, auch gefunden. Beide gebrauchen ihr Mundwerk, auch wenn der Ge brauch des Mundwerks sozusagen das Handwerk des Coachs ist. Die jeweilige Sprache bleibt freilich die Sprache der Person, die spricht und denkt. Aber die hier im Dialog lebendig gesprochene Sprache ist Ausdruck der Eindrücke, die im Coaching entweder schon sichtbar, greifbar sind, oder die sich emergent andeuten und auftauchen. Lebendige Sprache nimmt Bezug auf die vorgenannten dynamischen Elemente des Strukturierens, des Verkörperten, der Musterbildung. Lebendige Sprache „erlebt“ sich. 
  5. Respektvolles und generatives Zuhören (respectful and generative listening) ist ein weiteres, wichtiges Element dafür, dass ein Mensch etwas aussprechen, „äußern“ kann. Inneres (Gedanken, Wünsche, Erfahrungen, Träume) nach Außen zu bringen, ist lebensnotwendig. „Wie will ich wissen, was ich denke, bevor ich sehe, was ich sage“ (Karl E. Weick, 1995) – ohne Feedback, ohne Dialog, ohne ausdrückliche oder implizite Antwort wissen wir nicht wirklich, was wir denken, was in uns vorgeht.

Je mehr in dem dialogischen Prozess von innen nach außen im Sinne dieser fünf Dimensionen vorkommen kann, also Ausdruck und Bestätigung findet, umso mehr findet Co-Produktion inhaltliche Anregung und verstärkt sich Empowerment für den Kunden.

Riskantes Denken

In den reflexiven Dialogen im Coaching geht es auf der einen Seite um Komplexitätsreduktion. Vor allem ist dies der Fall, wenn ein Klient in den unterschiedlichen Dynamiken und inmitten der von vielen Seiten auf ihn einströmenden Informationen nur schwerlich eine Richtung erkennen kann. Vertrauen reduziert Komplexität (Niklas Luhmann, 1968). Auf der Grundlage von Vertrauen kann im Coaching vielfach eine solch situative oder auch strukturelle Komplexität reduziert werden. Zugleich wird es immer auch darum gehen, neue Handlungsoptionen zu eröffnen und zu probieren. Dies kann neue Komplexität nach sich ziehen.

Vordergründig dient riskantes Denken nach Hans Ulrich Gumbrecht (2002) dazu, die Anschauungen von der Welt in unseren Organisationen und Gesellschaften komplexer und auch komplizierter zu machen, als es im Alltag üblich ist, wo routiniertes Verhalten und Handeln eingespielt sind.

Riskantes Denken geht bis an die Ränder, betrachtet die Grenzen von System und Umwelt, denkt interdisziplinär in eher unbekannte und fremde Gefilde hinein. Damit bewegt es sich immer auch im Feld des Nichtwissens. Riskantes Denken nutzt das Nichtwissen als Ressource, um verlockende Ziele und sinnvolle Wagnisse jenseits der eingefahrenen Gleise auszuloten. Wo es um Empowerment geht, spitzt das riskante Denken die Machtfragen auf Alternativen und Entscheidungen zu.

Riskantes Denken wagt es, aus dem Mainstream von Sicherheit und Konsens auszubrechen. Riskantes Denken pointiert die Fragen nach Maßstäben, nach der Qualität des Beitrages einer Leistung, nach dem Wert einer kulturellen oder meinungsbildenden Zugehörigkeit.

Empowerment setzt das riskante Denken vor das Wagnis des Risikos. Aber es ersetzt nicht das Wagnis durch gedankliches Durchspielen, sondern ermutigt zu klarem, konsequentem, nachhaltigem Handeln.

Beobachtung der Wirkungen von Coaching als Empowerment

Wie lassen sich Wirkungen von Coaching als Empowerment beobachten und beschreiben? Sicher wird primär und vor allen anderen Beobachtern der Klient zurückmelden, ob er Coaching als Empowerment erfährt und nutzt. Dabei wird es vor allem auch auf Nachhaltigkeit, auf Transfer, auf Musterbildung, auf dauerhafte Ressourcenorientierung und Langzeitwirkung ankommen. Einfache und kurzfristig eingesetzte Skalierungen sind zur Erhebung hilfreich, leicht und situativ einsetzbar.

Um Wirkungen mittlerer Reichweite zu erheben, ist es sinnvoll, eine Art 360°-Feedback durchzuführen. Es werden also vom Coach – nach vorgängiger Information durch eine E-Mail seitens des Klienten – Personen eines relativ kleinen Kreises angerufen und zu einigen entscheidenden Fragen interviewt. Die Ergebnisse dieser Befragung werden dann mit dem Kunden ausgetauscht. Von dieser Auswertung können dann wieder andere Beteiligte im Unternehmen, Sponsor oder HR-Verantwortliche, informiert werden.

Die langfristigen Wirkungen von Coaching als Empowerment werden am besten in einem Follow-up etwa ein Jahr nach Abschluss der Coaching-Zusammenarbeit eruiert. Hierbei lohnt insbesondere die Unterscheidung von Breitenwirkung und Tiefenwirkung. Zugleich lassen sich über Skalierung Entwicklungen in den Blick nehmen, die Selbstentwicklung, Selbststeuerung und Selbstveränderung betreffen. Für den Unternehmenskontext können zahlenbasierte Ergebnisse ebenso relevant sein wie Rückmeldungen in Feedbacks, Appraisals, Reviews oder Personalgesprächen, veränderten Aufgabenstellungen, Übertragung anderer Verantwortungsbereiche und so weiter. Wie verhält sich die Bewertung der Selbstkompetenz im Vergleich zu den Kompetenzzuschreibungen im Fremdbild?

Coaching als Empowerment kann in vielfältiger Weise sichtbar wirken. Häufig liegen diese Wirkungen außerhalb des Gesichtskreises des Coachs. Auf Seiten der Kunden werden Wirkungen des Coachings nach Abschluss häufig nicht mehr primär dem Coaching zugeordnet. Ein Auftraggeber oder Sponsor im Unternehmen beobachtet, wenn überhaupt, die Wirkungen von Coaching, solange der Prozess dauert.

Langfristige Wirkungen von Coaching können am ehesten von der Human Resources-Abteilung eines Unternehmens beobachtet werden. Dazu braucht es aber einen konzeptionellen Rahmen für den Einsatz von Coaching im Unternehmen, eine schriftliche Erfassung des anfänglichen Anliegens und der Vertragsgestaltung sowie einen Abschlussbericht. Ein solcher fällt je nach Autor (Klient selbst, Coach, Sponsor, 360°-Feedback) unterschiedlich aus, kann aber Kriterien liefern, die für übergreifende Evaluationen im HR-Bereich wesentlich sind. Solche unternehmensspezifischen Evaluationen sollten dann vermehrt auch wissenschaftlichem Vergleich und systematischer Auswertung zugänglich gemacht werden.

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